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Politik

Die neue Macht der Hisbollah

24. August 2017

Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah hat vom Krieg in Syrien profitiert. Als Speerspitze Irans konnte sie militärisch enorm aufrüsten. Durch ihre Präsenz in Syrien wird sie auch zu einer Bedrohung für Israel.

Libanon Grenzgebiet zu Israel Hisbollah Kämpfer
Ein Hisbollah-Kämpfer im libanesischen Grenzgebiet zu IsraelBild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

Die Nachricht hatte es in sich. Seit über fünf Tagen kämpft das libanesische Militär gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), deren Milizen in Teilen in das syrische Qalamoun-Gebirge eingedrungen sind. Dessen Ausläufer reichen bis in den Libanon. Die Dschihadisten des IS sind gut gerüstet. Darum führt das libanesische Militär den Kampf gegen sie im losen Verbund mit zwei Partnern: der Hisbollah und dem Iran.

Mit vereinten Kräften konnten die schiitisch dominierten Alliierten die sunnitischen Extremisten nun erheblich zurückdrängen. Das gab der stellvertretende iranische Außenminister, Hossein Jaberi Ansari, während eines Besuchs in Beirut bekannt: "Das libanesische Militär, unterstützt von der Widerstandsbewegung Hisbollah und der (iranischen, Anm. d. Red.) Nation verzeichnen einige bedeutende Siege über die IS-Terroristen."

Ein lange undenkbares Bündnis

Das libanesische Militär und die Hisbollah: Ein solches Bündnis war bislang undenkbar. Die nationale Armee des Libanon im Verein mit einer paramilitärischen Miliz, die ihre Wurzeln im Iran hat und von Teheran unterstützt wird. Das libanesische Militär als staatliche Institution verbündet sich mit einem nicht-staatlichen Akteur, der nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Eitan Azani "als Staat innerhalb eines Staates" operiert. "Die unabhängige Politik der libanesischen Organisation schuf Konflikte und Spannungen in ihrer Beziehung zum libanesischen Staat", so Azani in seinem Buch über die Hisbollah. "Einer der wesentlichen Konfliktpunkte zwischen der Bewegung und der Regierung bestand in der Widerstandspolitik der Hisbollah, die in vielen Fällen den Interessen der Regierung in jeder Hinsicht gegenüberstand und so den Prozessen schadete, die diese anzustoßen versuchte."

In Position: Jeeps der Hisbollah im Kampf gegen den "Islamischen Staat"Bild: Reuters/A. Hashisho

Diese aus den 90er Jahren resultierende Spannung besteht bis heute fort. Die Hisbollah ist ein eigenständiger Faktor in der libanesischen Politik. Sie ist seit 1992 zwar auch in der libanesischen Nationalversammlung vertreten, führt in ihrem militärischen Teil aber eine von dieser weitgehend unabhängige Politik. Im Jahr 2006 lieferte sie sich mit dem israelischen Militär ein Gefecht, das dann in einen rund einen Monat andauernden Krieg mündete. 

Der gespaltene Libanon

Seitdem ist der Libanon politisch gespalten. Auf der einen Seite stehen die Sunniten, Drusen und Teile der libanesischen Christen, auf der anderen Schiiten und Teile der christlichen Bevölkerung. "Die Koalition aus Maroniten, Sunniten und Drusen hat vor allem ein Anliegen", schreibt der türkische Analyst Timur Goksel, "die Hisbollah davon abzuhalten, ihre Waffen und ihr politisches Gewicht dazu zu nutzen, die politische und wirtschaftliche Balance des auf konfessionellen Grundlagen beruhenden Systems des Libanon zu verändern."

Dass die libanesische Armee mit diesem kaum zu kontrollierenden Partner nun militärisch zusammenarbeitet und zudem auch den Iran als Partner begreift, sorgt in Israel für erhebliche Besorgnis. Die Hisbollah, so die Befürchtung, könnte das Bündnis mit der libanesischen Armee dazu nutzen, ihre eigene gegen Israel gerichtete Agenda noch massiver durchzusetzen als ohnehin schon.

Ein Hisbollah-Kämpfer überquert die Grenze zu Israel: Ausschnitt aus einem von Haaretz veröffentlichten Video des israelischen MilitärsBild: haaretz.com

Nasrallahs Drohungen

Bereits vor Monaten stieß Hisbollah-Führer Hasran Nasrallah massive Drohungen gegen Israel aus. Sollte Israel den Libanon oder Syrien angreifen, erklärte er im Juni dieses Jahres, stünden "Hunderttausende" arabische und muslimische Kämpfer bereit, um zurückzuschlagen. Im Fall eines solchen Angriffs sei es offen "ob dieser Kampf sich auf Libanon und Israel oder Syrien und Israel beschränkt", erklärte er.

Mitte August griff er das Thema noch einmal auf. Bei einem Angriff würde Israel auf einen Gegner stoßen, der "hundertmal" stärker sei als in vorhergehenden Konflikte. Zugleich drohte er, die Hisbollah könnte den israelischen Atomreaktor bei Dimona angreifen. Zuvor hatte er bereits einen riesigen Ammoniak-Tank bei Haifa als mögliches Ziel genannt. Dessen Explosion hätte verheerende Folgen für die Stadt und ihre Bevölkerung. Das löste in Israel eine Diskussion um die Verlagerung des Tanks in ein sicheres Gebiet aus.

Immer deutlicher zeigt sich, dass die Hisbollah, im Verein mit Iran, einer der großen Gewinner des Krieges in Syrien ist. Nasrallahs selbstbewusstes Wort zur hundertfachen Stärke der Organisation mag in Teilen überzogen sein, deutet aber an, dass die Hisbollah von ihrer Funktion als militärischer Arm Irans enorm profitiert. Zunächst hatte der Iran das Ziel, Syrien - seinen wichtigsten und zugleich einzig staatlichen Verbündeten in der Region - nicht zu verlieren. Im Laufe der Kriegsjahre aber schälte sich ein neues Ziel heraus: ein ununterbrochener Landweg, quer durch den Irak und Syrien, bis in den Libanon.

"Einen Steinwurf von der Grenze entfernt"

Das heißt zugleich: Irans Einflussgebiet reicht direkt bis nach Israel. "Die Hisbollah ist nur einen Steinwurf von der israelischen Grenze entfernt", umriss der Chef des israelischen militärischen Aufklärungsdienstes, Herzl Halevi, die neue Situation. Damit erhält die Hisbollah ein ganz neues Gewicht. Da sie zudem in Syrien präsent ist und es auf absehbare Zeit auch bleiben wird, stellt sie auch geostrategisch für Israel eine ganz neue Gefahrenqualität dar: Sie könnte nun nicht mehr allein von der libanesischen Süd-, sondern auch von der syrischen Westgrenze aus angreifen. Damit würde sich die Länge der Front fast verdoppeln.

Ein Angriff ist derzeit eher unwahrscheinlich, da ein Drittel der Hisbollah-Kämpfer im syrischen Kriegsgebiet engagiert ist. Zudem hat die Organisation herbe personelle und finanzielle Verluste erlitten. Langfristig aber besteht die Gefahr eines Krieges durchaus.

Allgegenwärtige Eskalation: Krieg in Syrien, hier ein Bild aus RakkaBild: Reuters/Z. Bensemra

Israel wappnet sich

Israel zieht aus der neuen Lage mehrere Konsequenzen. Zum einen werden Stimmen mit der Forderung laut, nicht mehr zwischen der Hisbollah und der regulären libanesischen Armee zu unterscheiden. "Die libanesische Armee ist ein Flügel der Hisbollah", sagt Mordechai Kedar vom Begin-Sadat-Center for Strategic Studies in Ramat Gan im Gespräch mit der Jerusalem Post. Die Zeitung selbst weist zudem darauf hin, dass Waffenlieferungen westlicher Länder - sie nennt Frankreich und die USA - an die libanesische Armee über kurz oder lang in den Händen der Hisbollah landen.

Außerdem hat Israel erstmals eingestanden, Waffenlieferungen an die Hisbollah angegriffen zu haben - und zwar "Dutzende Male" während der vergangenen Jahre, wie die Zeitung Haaretz einen namentlich nicht genannten israelischen Kommandanten zitiert. Die Eskalation bis hin zu einem Krieg sei im Nahen Osten ein "triviales" Phänomen, zitiert Haaretz Amir Eshel, den Kommandanten der israelischen Luftwaffe. Eine solche Eskalation wolle man vermeiden. Die Armee, fügte er hinzu, könne einen solchen Krieg zwar nicht innerhalb einiger Stunden gewinnen. Sie sei aber so weit entwickelt, dass sie ihn "dramatisch verkürzen" könne.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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