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Die neuen EU-Außengrenzen: Chance oder Schrecken für den Balkan?

24. März 2003

- Die Slowenen besiegeln in einem rechtlich bindenden Volksentscheid ihren Beitritt zu EU und NATO / Von Andrej Smodiš

Köln, 24.3.2003, DW-radio

Die Karten sind verteilt, ein neues Spiel beginnt. Die Frage ist allerdings, ob sich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, dass die Spielregeln geändert wurden.

Den Slowenen darf man unterstellen, dass sie wissen, worauf sie sich einlassen. Die phänomenale Zustimmung von beinahe 90 Prozent zum EU-Beitritt - ein absoluter Rekord - beweist, dass die Bevölkerung des kleinsten Landes Mittel-Süd-Ost-Europas keine Angst hat. Kein Wunder: die Wirtschaftsdaten sind besser als die so mancher heutiger EU-Mitgliedsstaaten.

Dass die Zustimmung zum NATO-Beitritt in diesen Kriegszeiten mit 66 Prozent ebenfalls ungewöhnlich hoch ausgefallen ist, dürfte mit einem EU-Effekt zu erklären sein. Die Regierung in Ljubljana hat offenbar erfolgreich die beiden Beitritte zu zwei Seiten einer einzigen Medaille erklärt mit dem Slogan: "Zu Hause in der EU, sicher in der NATO."

Die neuen Spielregeln heißen nun also: europäischer Binnenmarkt und NATO-Bündnisverpflichtungen. Das erstere bringt unangenehme Konkurrenz und Probleme für den Agrarsektor, das zweite erfordert erhebliche Mehrausgaben im Rüstungsetat. Aber das ist in Slowenien bekannt und wurde am Sonntag (23.3.) akzeptiert.

In den Ländern Südosteuropas hingegen stehen die neuen Spielregeln nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Durch den Beitritt Sloweniens und Ungarns rückt die EU-Außengrenze kräftig nach Süden. Der Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Slowenien wird zunächst einmal schwieriger, der Personenverkehr in noch viel stärkerem Maße.

Das kleine Land wird dadurch an Gewicht gewinnen - psychologisch nicht einfach für Wirtschaft und Politik vor allem in den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Und der Besuch von Freunden und Verwandten in Slowenien - vor allem für Bosnier und Albaner von Bedeutung - wird deutlich erschwert werden. Aber der Mangel an offiziellen Reaktionen in den Balkanländern zum Referendum spricht Bände: Man nimmt die neuen Gegebenheiten am liebsten einfach nicht zur Kenntnis.

Dabei sollten die Regierungen von Zagreb über Bukarest bis Tirana die neue Lage nicht nur wegen der möglichen negativen Auswirkungen klar wahrnehmen. Es steckt auch eine Menge Positives im Doppel-Beitritt der slowenischen Nachbarn.

Die Zeiten, wo sich das offizielle Ljubljana um jeden Preis vom Balkan abgrenzen wollte, sind seit langem vorbei. Längst gibt es einen Erfahrungsaustausch auf parlamentarischer und ministerieller Ebene. Abgeordnete und Regierungsbeamte aus fast ganz Südosteuropa informieren sich bei den Slowenen über mögliche Rezepte oder auch Fehler beim Umgang mit der Brüsseler Bürokratie. Und je stärker es diesen Ländern gelingt, neben korrekten politischen Beziehungen vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren, desto stärker wird sich Slowenien innerhalb der EU für die Heranführung des Balkan an die Union engagieren. Eine neue Spielregel lautet dementsprechend: es gibt einen Grund mehr, mit den Nachbarn in Südosteuropa gute Beziehungen aufzubauen, vor allem mit Slowenien.

Wer sich an die äußerst erfolgreiche finnische Präsidentschaft der Europäischen Union erinnert, weiß, dass auch ein kleines Land am Rande der EU einiges bewegen kann.

Und vielleicht zum Schluss eine Spielregel, die immer noch vielen neu vorkommen wird: das alte Ex-Jugoslawien ist absolut endgültig Vergangenheit. Die Slowenen haben sie mit 90 Prozent ad acta gelegt. (lr)