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Die neuen Ziele der NATO: Kann Deutschland das stemmen?

23. Juni 2025

Auf ihrem Gipfel in Den Haag will die NATO ambitionierte Ziele beschließen - mehr Geld für Verteidigung, mehr Truppen. Was bedeutet das für Deutschland?

Panzergrenadiere der Bundeswehr bei einer Übung. Man sieht Soldaten in Tarnuniform, die ihre Gewehre vor der Brust halten, den Lauf nach unten.
Die Bundeswehr wird in der NATO künftig stärker gefordert seinBild: Alexander Koerner/Getty Images

Schon vor dem NATO-Gipfel in Den Haag ist klar: Die hochgesteckten Ziele des Bündnisses werden Deutschland viel abverlangen. Zwar hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angekündigt, alle nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Bundeswehr zur konventionell stärksten Armee Europas zu machen. Doch die neuen Ziele der NATO haben es in sich: Geplant ist, dass die Mitgliedsstaaten fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Bisher waren es zwei Prozent - so viel und nicht mehr gibt Deutschland derzeit für die Verteidigung aus. 

Trump: Europäer sollen in der NATO mehr leisten

Es war US-Präsident Donald Trump, der die Zielmarke von fünf Prozent als erster in den Raum gestellt hat. Und zwar primär als Forderung an die europäischen NATO-Verbündeten: Zahlten die weiter so wenig wie bisher, werde er ihnen den Beistand verweigern, drohte Trump. Tatsächlich entfielen 2024 zwei Drittel der Verteidigungsausgaben aller NATO-Mitgliedstaaten auf die USA.

In vielen europäischen Ländern stößt Trumps Forderung auf Skepsis: Fünf Prozent seien viel zu hoch gegriffen. 2024 waren einige Länder sogar von den zwei Prozent noch weit entfernt. Wenige Tage vor dem Gipfel meldete NATO-Generalsekretär Mark Rutte Vollzug: 2025 werde die gesamte NATO das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen.

Doch das ist nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu noch höheren Ausgaben: Auf dem Gipfel in Den Haag sollen die fünf Prozent zur neuen Richtschnur erklärt werden. Auch die Bundesregierung stellt sich hinter die Formel, die Rutte vorgeschlagen hat: 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sollen in die Verteidigung fließen und 1,5 Prozent in Infrastruktur, die auch für die Verteidigung relevant sein kann. Das können Bahnstrecken, Brücken oder Häfen sein. Bis zum Jahr 2035 sollen dann die insgesamt fünf Prozent erreicht werden.

Fast die Hälfte des Bundeshaushalts für die Verteidigung?

Für Deutschland mit seiner starken Wirtschaft wäre das eine gigantische Summe, die sich auf geschätzt 225 Milliarden Euro pro Jahr beliefe. Der gesamte Bundeshaushalt lag im vergangenen Jahr bei 476 Milliarden Euro.

Zwar betont Bundeskanzler Merz, wichtiger als Prozentzahlen sei die Weiterentwicklung der militärischen Fähigkeiten. Doch beim Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, überzeugt das nicht jeden: "Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen", schreibt eine Gruppe von SPD-Linken in ihrem Manifest zur Friedenssicherung in Europa. Dafür gebe es "keine sicherheitspolitische Begründung". Auch Teile der Opposition üben scharfe Kritik. 

Durch die Aufnahme neuer Schulden will die Bundesregierung ihre Verteidigungsausgaben drastisch steigern: Bundeskanzler Friedrich Merz (links) mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte Bild: John Thys/AFP

Angesichts der Bedrohung durch Russland sehen Bundeswehr-Kenner durchaus gute Gründe dafür, mehr Geld in die jahrzehntelang vernachlässigten Streitkräfte zu investieren. "Es geht nicht darum, den Amerikanern zu gefallen und auch nicht darum, die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie zu füllen, sondern es liegt im nationalen Interesse Deutschlands, verteidigungsfähig zu sein", sagt Sicherheitsexpertin Aylin Matlé von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit der DW. Warum das notwendig sei, müsse die Bundesregierung gut erklären. Dennoch seien fünf Prozent der Wirtschaftsleistung "eine Wahnsinnssumme".

Verteidigungsminister Pistorius: "Das wird ein Kraftakt"

Neben den Finanzen wird es auf dem NATO-Gipfel auch um die militärischen Fähigkeiten gehen. Gebraucht werden zusätzliche Truppen in Europa. Zum einen als Signal der Stärke an Russland, zum anderen wegen der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die US-Präsenz in Europa zu reduzieren.

Was bedeutet das die Bundeswehr? Nötig seien 50.000 bis 60.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten, erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Anfang Juni in Brüssel. Bei ihrem dortigen Treffen haben die NATO-Verteidigungsminister die neuen Fähigkeitsziele des Bündnisses bereits festgelegt. Die Details sind geheim, doch Pistorius kündigte an, neue Großverbände zu bilden und voll auszustatten. "Das wird ein Kraftakt." Im Gespräch sind fünf bis sieben neue Brigaden mit je 5000 Soldatinnen und Soldaten, mit Panzern, Artillerie und der dazugehörigen Logistik. 

Wiedereinführung der Wehrpflicht: Vielleicht später

Wie die Bundeswehr in den kommenden Jahren Zehntausende zusätzlicher Berufssoldaten rekrutieren will, bleibt vorerst offen. Derzeit hat sie eine Stärke von rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten und wirbt aktiv um neues Personal. "Wir haben aktuell gute Personalzahlen, gute Einstellungszahlen und gute Bewerberzahlen. Das macht Mut", erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums Anfang Juni. In den vergangenen Jahren war die Zahl der Soldatinnen und Soldaten trotz aller Rekrutierungsbemühungen geschrumpft. 

Ein probates Mittel der Personalgewinnung könnte die Wehrpflicht sein, die 2011 ausgesetzt wurde. Doch sie soll vorerst nicht reaktiviert werden. Darauf haben sich die Koalitionspartner, die Sozialdemokraten und die konservative Union aus CDU und CSU, geeinigt. "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert", heißt es im Koalitionsvertrag. Das Wort Wehrpflicht kommt darin nicht vor.

Kasernen und Ausbilder fehlen

Angesichts der gestiegenen Anforderungen der NATO mehren sich in den Unionsparteien CDU und CSU die Forderungen, eine Wiedereinführung der Wehrpflicht jetzt schon vorzubereiten. Doch Bundeskanzler Friedrich Merz bremst: Vorerst bleibe es bei der Verabredung im Koalitionsvertrag. "Wir werden genau anschauen müssen, ob Attraktivitätsprogramme und Freiwilligkeit ausreichen. Wenn Freiwilligkeit nicht ausreicht, dann müssen wir sehr bald über zusätzliche Schritte miteinander sprechen."

Damit liegt Merz auf einer Linie mit SPD-Verteidigungsminister Pistorius. Der betont: "Uns nützt eine Wehrpflicht jetzt gar nichts, weil wir die Kapazitäten weder in den Kasernen noch in der Ausbildung haben. Deswegen müssen diese Kapazitäten aufwachsen. Bis dahin gilt Freiwilligkeit."

Mit der Nachwuchsgewinnung tut die Berufsarmee Bundeswehr sich schwerBild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Wer fängt den möglichen Abzug von US-Truppen auf? 

Wird das Modell des freiwilligen Wehrdiensts dauerhaft tragen? Sicherheitsexpertin Matlé geht davon aus, "dass das sehr schnell abgeräumt werden wird". Zumal der Druck auf Deutschland noch einmal wachsen könnte, sollten die USA tatsächlich Truppen aus Europa abziehen.

Dass die Trump-Administration das vorhat, hat sie bereits angekündigt. Mit genaueren Angaben wird erst nach dem NATO-Gipfel gerechnet. Dann könnten die Karten noch einmal ganz neu gemischt werden, vermutet Matlé. "Dann stehen die Europäer und damit auch Deutschland vor der Frage, wie sie das kompensieren wollen." Doch selbst wenn sich eine noch größere Lücke bei der Truppenpräsenz in Europa auftun sollte: Es sei "nicht sehr wahrscheinlich, dass Deutschland innerhalb der nächsten Jahre so viel mehr Soldaten auf einen Schlag zur Verfügung stellen kann".