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Deutsche Online-Uni für entlassene türkische Forscher

5. Oktober 2017

Das Erdogan-Regime hat tausende Wissenschaftler auf die Straße gesetzt. Nun wollen sie mit Hilfe deutscher Kollegen im Internet weiterhin Seminare anbieten, sagt Initiatorin Julia Strutz im DW-Interview.

Türkei Universität von Istanbul
Freie Forschung und Meinungsaustausch ist an den Hochschulen in der Türkei kaum noch möglich. Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Morenatti

Deutsche Welle: An diesem Wochenende halten Sie in Berlin die Gründungs-Konferenz einer türkisch-deutschen Online Universität (Off-University) ab. Warum brauchen türkische Wissenschaftler und Studenten eine Universität im virtuellen Raum?

Julia Strutz: Nicht erst seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 werden Akademiker/innen in der Türkei verfolgt. Es ist schon ein sehr viel längerer Prozess. Aber seit dem letzten Jahr hat die Regierung eine neue gesetzliche Grundlage, um kritische Wissenschaftler/innen zu entlassen.

Durch Ausnahme-Dekrete wurden bisher 150.000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen. Das betrifft vor allem Anhänger der Bewegung von Fetullah Gülen aber eben nicht nur. Viele kritische oder auch politisch linke Wissenschaftler/innen und gewerkschaftlich organisierte Menschen hat das Regime ebenso rausgeschmissen.

Besonders betroffen sind auch Unterzeichner einer Friedenspetition, die im Januar 2015 gefordert hatten, dass der Krieg in den kurdischen Regionen der Türkei aufhört. Die werden jetzt als Unterstützer und Propagandisten der kurdischen Arbeiterpartei PKK verfolgt.

Die Betroffenen hatten also mit dem Putsch nichts zu tun, aber der Putsch gibt der Regierung eine neue gesetzliche Grundlage, die Forschungsfreiheit und die Lehre einzuschränken. Das hat zur Folge, dass Studierende und Lehrkräfte immer mehr Autozensur ausüben und sich nicht mehr trauen, sich frei zu äußern.

Mehrere hundert dieser Unterzeichner und andere Regimegegner sind jetzt im Exil – viele davon in Deutschland. Und daraus entstand die Idee, dass man einen kritischen, universitären Betrieb in der Türkei unterstützen kann, indem man von hier aus eine Online-Plattform aufbaut, in der die Lehrkräfte - die hier oder in anderen Ländern sind - weiterhin ihre Kurse abhalten können, um so die Studierenden in der Türkei weiter auszubilden.

Für die Studierenden stellt sich dann aber das Problem der Anerkennung ihrer Scheine und Diplome. Die Off-University ist nicht als echte Universität anerkannt. Wie kann sie dieses Problem lösen?

Historikerin Julia Strutz hat zehn Jahre in Istanbul geforscht. Die politischen Verhältnisse haben sie zur Rückkehr nach Deutschland bewogen. Bild: privat

Wir versuchen, das zweigleisig zu lösen: Die Kontakte zwischen Studierenden und Professoren sind noch sehr gut. Daran können wir anknüpfen und Angebote machen, bei denen die Scheine nicht das allerwichtigste sind.

Aber wir möchten uns auch in die ganze Welt der Open Online Courses einklinken. Das sind Seminare, die echte Universitäten online anbieten und die diese dann auch zertifizieren können. Wir möchten also Kooperationen mit Professoren eingehen, die an echten Universitäten lehren und sie mit Lehrkräften in der Türkei in eine Partnerschaft bringen - oder auch mit jenen, die woanders im Exil leben. Dann könnten sie gemeinsame Kurse für Studierende anbieten.

Die Off-University ist also eher ein Pool oder ein Vermittlungsforum, in dem sich Akademiker wiederfinden können, um die verlorenen Kontakte wiederzubeleben?

Es gibt ja auch innerhalb der Türkei weiterhin Versuche von Professoren und Studierenden, den Universitätsbetrieb außerhalb der Institution Uni weiterzuführen. Zehn solcher Solidaritäts-Akademien gibt es in verschiedenen türkischen Städten. Es gibt auch einen Zusammenschluss, der sich "Die Campuslosen" nennt.

Alle möglichen Initiativen, bei denen Professoren, die ihren Job verloren haben, die Kurse weiterhin außerhalb der Universität anbieten, sind im letzten Jahr entstanden. Auch für sie bilden wir eine Plattform, damit sie ihre Angebote verbreiten können.  

Sie selbst kommen aus München. Als Ort, um das Projekt ins Leben zu rufen, haben Sie aber eine über 100 Jahre alte Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin ausgewählt: DieAlice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf. Warum ausgerechnet diese Fachhochschule?

Die Alice-Salomon-Hochschule war für türkische Forscher/innen im Exil in den letzten Jahren eine starke Stütze. Im letzten Jahr sind mehr als 100 Akademiker/innen nach Berlin gekommen. Berlin ist eines der großen Zentren, sowohl für Akademiker/innen als auch Künstler/innen und Journalist/innen, die ja ganz ähnlichen Mechanismen politischer Verfolgung ausgesetzt sind.

Lehrkräfte der Alica-Salomon-Hochschule haben jüngst zahlreiche Fortbildungsangebote für Flüchtlinge gemacht.Bild: Alice-Salomon-Hochschule

Die Hochschule war einfach eine wichtige Anlaufstelle für viele. Sie konnten dort zunächst mal für einige Monate ein Büro nutzen. Es gab viele Diskussionsveranstaltungen. Die Studierenden zeigten einfach Interesse daran und wollten sich an so einem Projekt wie unserer Online-Universität beteiligen.

Richtig los geht es dann sowohl in Berlin als auch im Internet…

Am 7. Oktober wird die Off-University mit einer Konferenz eröffnet. Da kann man gerne kommen. Es gib eine Podiumsdiskussion, wo wir nochmal das Engagement von Akademiker/innen, Künstler/innen und Journalist/innen in Antikriegsbewegungen diskutieren wollen.

Gleichzeitig geht eine Online-Konferenz los, die man auf www.off-university.de mitverfolgen kann. Die Konferenz dauert eine Woche und geht bis zum 15. Oktober. Es gibt dort die Gelegenheit, mit den Vortragenden einen Chat-Austausch zu machen, ein Frage-und-Antwort-Spiel.

Und wie laufen die Vorlesungen danach ab? 

Es gibt sie als Video aufgezeichnet – in verschiedenen Varianten. Die Lehrkräfte haben sich zum Teil zu Hause aufgenommen, während sie eine PowerPoint-Präsentation geben. Es gibt auch Leute, die einfach nur ihre Stimme aufgenommen haben. Viele der Vorträge wurden ins Deutsche und Englische übersetzt. Sie können über unsere Plattform angeschaut werden. Und dann gibt es Verabredungen zum Chat.

Haben Sie schon einen festen Stamm an Wissenschaftlern und welche Fachbereiche decken die ab?

Einen festen Stamm haben wir nicht, aber etwa 30 Wissenschaftler/innen gehören zum engeren Kreis der Organisation. Wir haben auch eine Liste von fast 100 Unterstützern/innen. Derzeit konzentriert sich unsere Arbeit sehr stark auf die Geisteswissenschaften. Die sind von der politischen Verfolgung in der Türkei im Moment besonders betroffen. Wir haben aber auch sehr bewusst Professor/innen der Physik oder Jura in unseren wissenschaftlichen Beirat gewählt. 

Jeder Lehrende, der möchte, kann sich an uns wenden. Wir können uns gemeinsam überlegen, wie wir neue Angebote im Einzelnen an eine Universität anbinden können oder ob wir etwas ohne Anbindung an eine Universität über unsere eigene Plattform anbieten.

Das Gründer-Team bei der Vorbereitung: Die Eröffnungs-Konferenz der Off-University läuft vom 7. bis 15. Oktober Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Es wäre auch ganz toll, wenn sich Leute bei uns melden, die nicht Sozial- oder Geisteswissenschaftler sind. Wir freuen uns auch über Leute, die nicht aus der Türkei kommen. Wir können uns nämlich vorstellen, dass die Plattform in Zukunft Angebote macht, die über die Türkei hinausgehen. Wir haben mit der Türkei angefangen, weil sich unser Netzwerk so aufgestellt hat, und weil es hier eine Notlage gibt. Aber in Zukunft möchten wir alle erreichen, die nationalstaatliche Grenzen nicht mehr überschreiten können oder vor politischer Verfolgung fliehen müssen.

Eine Frau gegen Erdogan

12:03

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Müssen die Professoren, die dort Lehrangebote machen, das ehrenamtlich tun?

Nein, unsere Aufgabe soll es vor allem sein, die wissenschaftliche Arbeit der Akademiker/innen materiell abzusichern. Das ist im Moment ja das allergrößte und dringlichste Problem.

Die entlassenen Wissenschaftler/innen wurden mit einem faktischen Berufsverbot belegt. Im Staatsdienst können sie nicht mehr arbeiten und selbst im privaten Sektor können sie nicht arbeiten, weil sie als Terror-Propagandisten gelten.

Wir haben uns an verschiedene Institutionen in Deutschland gewendet und machen zudem eine Crowdfunding-Kampagne. Was wir dringlich brauchen, versuchen wir dort quasi "in der Crowd" zu sammeln. Wir möchten gerne für jeden Konferenzbeitrag 200 Euro an die Vortragenden zahlen. Es soll als Honorar gelten, aber tatsächlich ein Beitrag zur materiellen Absicherung sein.

Soll es auch Studiengebühren geben?

Nein! Das wird allerdings eine Herausforderung, weil wir kein Geschäftsmodell haben, im Sinne der meisten übrigen Anbieter von Onlinekursen. Aber für uns ist es sehr wichtig, dass alle Kurse frei zugänglich sind und nichts kosten dürfen. Insofern sind wir auf öffentliche Förderung angewiesen und darauf, dass Leute, die die Idee richtig finden, uns auch finanziell unterstützen.

Die Historikerin Dr. Julia Strutz forscht am Institut für den Nahen und Mittleren Osten der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU)Ihre Forschungsschwerpunkte betreffen insbesondere die Städtebauliche Entwicklung und den Denkmalschutz in türkischen und südosteuropäischen Städten. Sie lebte die letzten 10 Jahre in Istanbul, bevor sie die politische Situation in der Türkei dazu bewogen hat, im vergangenen Jahr  wieder nach Deutschland zu kommen. Im Rahmen der Organisation für den Frieden e.V. (OFF) engagiert sie sich für den Aufbau der Online-Plattform "Off-University", die entlassenen Wissenschaftlern aus der Türkei eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit im virtuellen Raum ermöglichen soll.

Das Interview führte Fabian Schmidt 

 

 

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