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Politik

Die Opioid-Krise aus den USA erreicht Europa

Anabel Hernández
10. Oktober 2019

Nicht nur den kriminellen Organisationen, die längst mit hochdosierten Schmerzmitteln handeln, muss die Aufmerksamkeit der Behörden gelten, sondern auch den Unternehmen die sie legal produzieren, meint Anabel Hernández.

Doku KW 35 - Süchtig nach Schmerzmitteln
Bild: Medea Film

Vor wenigen Wochen erst, Ende August, wurde in einem Motel im New Yorker Stadtbezirk Queens der leblose Körper von Andrea Zamperoni gefunden, der italienische Chefkoch des renommierten Restaurants Cipriani Dolci im Grand Central Terminal in Manhattan. Er starb an einer Überdosis Fentanyl. Es war dieser Fall, der in Italien erst die Aufmerksamkeit auf die Opioid-Krise lenkte, unter der die USA seit einigen Jahren leiden.

Der diesjährige Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen hat den gestiegenen Konsum und die tödliche Wirkung von Fentanyl betont und müsste eigentlich Alarm in ganz Europa auslösen.

Legale Opioide fordern inzwischen mehr Todesopfer

Bisher redet man eher über die Gefahr, die von kriminellen Organisationen wie den mexikanischen Drogenkartellen ausgeht, die ihr Rauschgift in der ganzen Welt verkaufen und so die Gesundheit und gar das Leben von Millionen von Menschen aufs Spiel setzen. Heroin, Kokain, Marihuana und Metamphetamine stehen dabei normalerweise im Blickpunkt.

DW-Kolumnistin Anabel Hernández

Aber in den Vereinigten Staaten, zumindest seit 2016, sind es nicht die illegalen Drogen, welche die meisten Todesfälle durch Überdosierung verursachen, sondern verschreibungspflichtige Medikamente, die in normalen Apotheken legal mit Rezepten von normalen Ärzten verkauft werden. Eines dieser Medikamente ist das weitverbreitete synthetische Opioid Fentanyl, das zur Behandlung bei starken Schmerzen verschrieben wird. Andere Medikamente dieser Art sind Oxycontin und Hydrocodon.

Der Jahresbericht 2016 der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA führte aus, dass von den 129 täglichen Todesfällen an Überdosierung in 2014, 52 durch die Verwendung von verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln starben. Das waren 40 Prozent und entsprach 18.980 Menschen innerhalb eines Jahres.

Im Jahresbericht von 2018 stellt die DEA fest, dass von den durchschnittlich 172 Todesfällen in 2016 pro Tag aufgrund einer Überdosis, diesmal 116 an der Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten starben. Das sind 67 Prozent und waren konkret 42.000 Menschen.

US-Ärzte verschreiben zu schnell

Die DEA beschreibt in ihrem jüngsten Bericht, dass die meisten Personen, die ungerechtfertigt an diese Medikamente kamen, über starke körperliche Schmerzen klagten. In der täglichen Praxis verschreiben viele Ärzte in den USA viel zu häufig Opioid-Schmerzmittel, die sogar Kinder mit Zahnschmerzen per Rezept erhalten.

Legale verschreibungspflichtige Medikamente liegen inzwischen auf dem zweiten Platz der meistkonsumierten Drogen in den Vereinigten Staaten. Nur Marihuana wird mit 18 Millionen Konsumenten von noch mehr Amerikanern verwendet.

Fentanyl ist so stark, dass es in einigen US-Bundesstaaten auch für Hinrichtungen verwendet wirdBild: picture-alliance/AP Photo/R. Bowmer

Der Konsum des Schmerzmittels Fentanyl ist in den USA so weit verbreitet und so gewinnbringend, dass nun auch die mexikanischen Drogenkartelle angefangen haben, illegales Fentanyl zu produzieren und zu verkaufen. Die Verpackung sieht der des legalen Fentanyls täuschend ähnlich. Jedoch wird der Fälschung noch etwas Heroin, meist Kokain, oder auch Methamphetamin beigemischt, was den Konsum noch viel gefährlicher macht. Dieses illegale Fentanyl wird in China oder Mexiko produziert.

Die Welle schwappt nun auch nach Europa

Und nun erreicht der Konsum dieser synthetischen Opioide auch Europa. Die italienische Tageszeitung "La Stampa" berichtete am 9. September, dass laut dem italienischen Mafia-Experten Antonio Nicasio und Erkenntnissen italienischer Behörden, die kalabrische Mafia Ndrangheta 2017 begonnen habe, Fentanyl aus Kanada zu importieren und in Europa zu vertreiben. "In Europa klagt jeder fünfte Erwachsene über chronische Schmerzen", schreibt die Zeitung und verwies so auf den potenziellen Markt für Produkte wie Fentanyl: "In Italien werden Opioide wie Fentanyl vier Mal so häufig verschrieben wie noch vor zehn Jahren."

"Synthetische Opioide stellen eine ernst zu nehmende Bedrohung für die Gesundheit da, gerade durch die zunehmende Zahl von Todesfällen aufgrund Überdosierung in den USA und die Ausweitung des Handels mit Fentanyl und seinen Generika in Europa", warnt der diesjährige UN-Drogenbericht. In ihm wird auch bemerkt, dass, obwohl das Thema in den europäischen Medien bisher kaum beachtet wird, "es dringend eine höhere internationale Aufmerksamkeit erfordert".

Donald Trump hat wegen der Opioid-Krise bereits 2017 den nationalen Gesundheitsnotstand in den USA ausgerufenBild: Reuters/C. Barria

Der UN-Bericht stellt zudem fest, dass - obgleich der Markt für Fentanyl in Europa noch überschaubar ist - es bereits beunruhigende Entwicklungen gibt. Eine davon ist die Zunahme der beschlagnahmten Menge in West und Mitteleuropa: Während es 2013 nur ein Kilogramm war, stieg die Menge an beschlagnahmten Fentanyl in nur vier Jahren auf das 17-Fache.

Illegale Handelsware aus legaler Herstellung

Normalerweise geht man davon aus, dass international nur zehn Prozent der gehandelten Drogen beschlagnahmt werden. Dies würde bedeuten, das bei einer beschlagnahmten Menge von 17 Kilo Fentanyl im Jahr 2017 in West und Mitteleuropa, mindestens 170 Kilo auf diesem Markt gehandelt werden. Laut dem Bericht der Vereinten Nationen stammt "der größte Teil des auf dem illegalen Markt gehandelten Fentanyl aus legaler Herstellung".

Das bedeutet, dass nicht nur kriminellen Organisationen, die Fentanyl illegal handeln und verkaufen, konsequent verfolgt werden müssen. Sondern auch die Unternehmen, die dieses Schmerzmittel legal herstellen, müssen viel stärker kontrolliert werden.

In wenigen Tagen wird die US-Drogenbehörde DEA ihren neuen Jahresbericht veröffentlichen. Man sollte ihn nicht nur in den USA, sondern auch in Europa aufmerksam lesen.

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