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Die Palästinenser und Israel: Was ist die Nakba?

14. Mai 2025

Angesichts des anhaltenden Krieges im Gazastreifen und der israelischen Pläne zur Vertreibung der Palästinenser fühlen sich viele an die Nakba erinnert. An welches Trauma erinnern sich die Palästinenser am 15. Mai?

Palästinenser auf einer Kundgebung mit übergroßen Schlüsseln. Der Schlüssel gilt den Palästinensern als Symbol ihrer Rückkehr in die Heimat
Der Schlüssel gilt den Palästinensern als Symbol ihrer Rückkehr in die HeimatBild: Nasser Nasser/AP Photo/picture alliance

Was bedeutet Nakba?

Das arabische Wort Nakba bedeutet Katastrophe oder Unglück. In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt wird der Begriff Nakba (auch: al-Nakba) verwendet, um daran zu erinnern, dass Hunderttausende Palästinenser zwischen 1947 und 1949 ihre Heimat verloren haben - vor der Unabhängigkeitserklärung Israels wie auch während und nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg von 1948. 
Man geht davon aus, dass damals etwa 700.000 Menschen aus dem heutigen Israel vertrieben wurden oder fliehen mussten. Der Begriff Nakba erinnert zudem daran, dass viele palästinensische Flüchtlinge bis heute staatenlos sind und Israel ihnen kein Rückkehrrecht gewährt.

Was ist der Nakba-Tag?

Der 15. Mai 1948, der Tag nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels, markiert den Beginn des ersten arabisch-israelischen Krieges. Seit langem ist der 15. Mai ein Tag, an dem Palästinenser auf die Straße gehen und gegen den Verlust ihrer Heimat protestieren. Viele tragen palästinensische Flaggen, bringen die Schlüssel ihrer ehemaligen Häuser mit oder tragen Transparente mit einem aufgemalten Schlüssel, ein Symbol für die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat. Ein Recht, das erstmals von den Vereinten Nationen in der Resolution 194 bekräftigt wurde. Diese besagt, dass "Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies gestattet werden sollte".

Graffiti zur Erinnerung an die Nakba im Flüchtlingslager Dschenin im Westjordanland, Mai 2022Bild: RONALDO SCHEMIDT/AFP/Getty Images

In der Vergangenheit kam es bei Protesten auch immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee. Israel wirft der Hamas und anderen Organisationen, die unter anderem von der EU als Terrororganisationen eingestuft werden, vor, den Tag für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Der Begriff Nakba-Tag wurde 1998 vom damaligen Palästinenserführer Jassir Arafat geprägt. Er legte das Datum als offiziellen Tag des Gedenkens an den Verlust der palästinensischen Heimat fest.

Warum mussten die Palästinenser fliehen oder wurden vertrieben?

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs befand sich Palästina als Teil des Osmanischen Reichs unter türkischer Herrschaft. Danach fiel das Gebiet unter britische Kontrolle, als britisches Mandatsgebiet. Besonders in dieser Zeit - die in Europa von wachsendem Antisemitismus geprägt war - zog eine steigende Zahl von Juden aus aller Welt in das Land, das für sie Eretz Israel war, das gelobte Land der Bibel und die Heimat ihrer Vorfahren, in der immer schon Juden gelebt hatten, wenn auch in geringerer Zahl. 

Auch unter dem Eindruck des Holocaust in Nazi-Deutschland nahm die UN-Generalversammlung 1947 einen Teilungsplan für das britische Mandatsgebiet Palästina an. Die Arabische Liga lehnte den Plan ab. Die Jewish Agency for Palestine akzeptierte ihn. Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen.

Als Reaktion darauf griff eine Koalition aus fünf arabischen Staaten Israel an, wurde aber 1949 von dem jungen Staat militärisch besiegt. Bereits vor dem Krieg wurden 200.000 bis 300.000 Palästinenser vertrieben oder haben das Land verlassen. Während der Kämpfe kamen weitere 300.000 bis 400.000 hinzu. Die Gesamtzahl der Vertriebenen und Geflüchteten wird auf etwa 700.000 Palästinenser geschätzt.

Vor und während des Krieges wurden mehr als 400 arabische Dörfer zerstört und Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten begangen. Das Massaker von Deir Yassin - einem Dorf an der Straße zwischen Tel Aviv und Jerusalem - ist bis heute wichtiger Bestandteil der palästinensischen Erinnerung. Mindestens 100 Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden bei diesem Angriff getötet, der noch vor dem offiziellen Ausbruch des arabisch-israelischen Krieges stattfand. Das Massaker steigerte die Angst unter vielen Palästinensern und trieb viele zusätzlich zur Flucht. Zwischen 1947 und 1949 fanden über ein Dutzend weiterer Massaker an Palästinensern statt, verübt von Milizen und der israelischen Armee. Am Ende des Krieges besaß Israel etwa 40 Prozent des Gebiets, das im UN-Teilungsplan von 1947 für die Palästinenser vorgesehen war.

Blick in das Flüchtlingscamp Schatila in Beirut, April 2023 - dort leben überwiegend palästinensische FlüchtlingeBild: ANWAR AMRO/AFP/Getty Images

Wo wurden Palästinenser aufgenommen?

Die meisten Palästinenser landeten seinerzeit als staatenlose Flüchtlinge im Gazastreifen, im Westjordanland und in arabischen Nachbarländern - nur eine Minderheit zog damals ins weiter entfernte Ausland. Bis heute hat nur ein Bruchteil der nachwachsenden Generationen von Palästinensern in der Region eine andere Staatsbürgerschaft erhalten. Infolgedessen ist die Mehrheit der inzwischen rund acht Millionen Palästinenser im Nahen Osten bis in die dritte oder vierte Generation staatenlos.

Wo leben sie heute?

Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge UNRWA leben die meisten Palästinenser in der Region immer noch in Flüchtlingslagern. Diese haben sich im Laufe der Zeit zu Flüchtlingsstädten entwickelt. Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge leben heute hauptsächlich im Gazastreifen, im besetzten Westjordanland, im Libanon, in Syrien, Jordanien und in Ostjerusalem.

Die internationale palästinensische Diaspora außerhalb der Region des Nahen Ostens ist Schätzungen zufolge inzwischen auf rund 7,4 Millionen Menschen angewachsen. Falls dies zutrifft, betrüge die Gesamtzahl der Palästinenser insgesamt heute rund 15 Millionen Menschen. Es gibt jedoch keine offizielle Stelle, die die Zahl von Palästinensern in der Diaspora verlässlich erfasst.

Gibt es ein Recht auf Rückkehr?

Gemäß der Resolution 194 der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1948 sowie der UN-Resolution 3236 aus dem Jahr 1974 und der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) haben Palästinenser, die als palästinensische Flüchtlinge gelten, ein "Recht auf Rückkehr".
Israel lehnt ein Recht auf Rückkehr für Palästinenser und ihre Nachkommen hingegen ab - mit der Begründung, dies bedeute das Ende der Identität Israels als jüdischer Staat. Israel lehnt zudem eine Verantwortung für Flucht oder Vertreibung der Palästinenser ab und verweist darauf, dass zwischen 1948 und 1972 rund 800.000 Juden aus arabischen Ländern wie Marokko, Irak, Ägypten, Tunesien und dem Jemen vertrieben wurden oder fliehen mussten.

Palästinensische Frauen auf der Flucht 1948Bild: Eldan David/Pressebüro der Regierung Israels/picture alliance /dpa

Warum haben so viele den Eindruck, dass die Geschichte sich wiederholt?

In den vergangenen 77 Jahren gab es verschiedene Ansätze zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Der wichtigste ist nach wie vor die Zweistaatenlösung, die einen künftigen Staat Palästina neben dem israelischen Staat vorsieht und Jerusalem in zwei Hauptstädte teilen würde. Allerdings gibt es auf beiden Seiten massiven Zweifel daran, dass diese Option noch realistisch ist. Kritiker verweisen in diesem Zusammenhang unter anderem auf die wachsende Zahl jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland, die ein zusammenhängendes palästinensisches Gebiet als Grundlage eines künftigen Staats unmöglich machen könnten.

Nach Angaben der UN sind mindestens 1,9 Millionen Menschen - oder etwa 90 Prozent der Bevölkerung - im gesamten Gaza-Streifen seit Beginn des jüngsten Krieges vertrieben worden. Viele wurden mehrfach vertrieben, manche zehn Mal oder öfter. Seit den jüngsten Vertreibungsbefehlen sind noch mehr Menschen gezwungen, auf der Suche nach Sicherheit zu fliehen.

Im Zuge des  Krieges zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen, der durch die Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, hat die israelische Regierung erneut wiederholt eine Zwei-Staaten-Lösung ausgeschlossen.

Stattdessen hat sich Israel für Pläne ausgesprochen, die den Gaza-Streifen unter israelische Kontrolle stellen und die dort lebenden Palästinenser gewaltsam vertreiben würden. Die UN haben diese Pläne als "ethnische Säuberung" bezeichnet. So haben viele Palästinenser das Gefühl, die Geschichte der "Nakba" wiederhole sich.

Israel und die Araber: eine Geschichte von Hass und Gewalt?

13:44

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Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Dieser Artikel wurde erstmals am 15. Mai 2023 veröffentlicht und zuletzt am 14. Mai 2025 um neuere Zahlen aktualisiert.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.