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Die "Pille" für den Mann

22. Juni 2009

Die Weltgesundheitsorganisation testet zurzeit ein hormonelles Verhütungsmittel für Männer. "Frühestens 2012 kommt es auf den Markt", schätzt der Leiter der WHO-Studie, Michael Zitzmann, im Gespräch mit DW-Wissenschaft.

Ein Piekser alle zwei Monate reicht, um die Spermienproduktion zu stoppen (Foto: Picture alliance)
Ein Piekser alle zwei Monate reicht, um die Spermienproduktion zu stoppenBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Herr Zitzmann, würden Sie die Pille für den Mann nehmen?

Prof. Michael Zitzmann: Ja! Auf jeden Fall!

Weshalb wird eigentlich immer von der Pille für den Mann gesprochen, auch wenn es gar keine Pille ist?

Das ist fast so etwas wie ein Produktname, weil die Pille für die Frau so bekannt ist. Es gibt für den Mann in der Tat kein einziges Präparat, das oral verfügbar ist und das ähnliche Ergebnisse bringt, wie die Pille für die Frau. Bei Männern wirken Spritzen, Implantate und Gele, die man auf die Haut schmiert.

Michael Zitzmann, Zentrum für Reproduktionsmedizin, Universitätsklinikum MünsterBild: Michael Zitzmann

Und wie funktioniert diese Pille für den Mann?

Bei dieser hormonellen Kontrazeption für den Mann wird das natürliche Testosteron zusammen mit Gestagen, einem Vorläufer des Testosterons, appliziert. Ziel ist es, die Hormone, die die Bildung von Spermien im Hoden anregen, komplett zu unterdrücken.

Wie viel Testosteron und Gestagen braucht man?

Man nimmt die Dosis, die auch für Männer verwendet wird, die beispielsweise eine Hodenerkrankung haben und Testosteron zu Ersatzzwecken brauchen. Diese Männer müssen, um Mangelerscheinungen, wie Depressionen, Osteoporose und Blutarmut zu vermeiden, Testosteron ersetzen.

Gibt es da eine Größenordnung, die Sie nennen können?

1000 Milligramm. Also ein Gramm Testosteron alle zwei Monate.

Sie sagen, die Spermienproduktion wird zu 100 Prozent zurückgefahren. Das ist aber nicht irreversibel?

Nein, natürlich nicht! Dann könnte man ja gleich die Samenleiter unterbinden. Das ist voll reversibel, das hat man bei allen Männern gesehen. Es dauert ungefähr vier Monate, manchmal auch nur zwei. Etwa solange, wie die Spermien für ihre Neu-Bildung brauchen.

Genauso lange dauert es auch, bis die Spermien verschwinden. Denn die Spermien durchlaufen im Hoden gewisse Reifeprozesse. Wenn diese Prozesse schon angelaufen sind, dann sind sie hormonunabhängig. Das heißt, die Spermien reifen auch ohne Hormone weiter heran. Wir haben zwar bei einigen Männern gesehen, dass schon nach vier Wochen nichts mehr da war. Aber im Schnitt dauert es zwei bis vier Monate.

Enttäuschung oder Aufatmen? So wird Mann mit Pille nicht aussehen!Bild: AP

Verändert eigentlich das männliche Hormon Testosteron, das Sie zugeben, den Körper des Mannes? Denn Testosteron lässt einen sofort an muskelbepackte Bodybuilder und Doping denken.

Es kommt auf die Dosis der Hormone an! Wenn Sie einem gesunden Mann genau die Dosis Testosteron geben, die er selber produzieren würde, dann fährt er seine eigene Produktion, zusammen mit der Spermienproduktion herunter. Das heißt, es ändert sich an seinen Hormonspiegeln überhaupt nichts. Und weder sein Aussehen noch sein Befinden verändern sich.

Herr Zitzmann, wie weit ist man mittlerweile? Denn die Idee, so etwas wie eine hormonelle Verhütung für den Mann herzustellen, die gibt es ja schon sehr lange und auch die Forschungsprojekte dazu ...

... die gibt es auch schon sehr lange. Was man zuerst mal machen musste war, zu überprüfen, wie funktioniert das Ganze überhaupt? Wie gut funktioniert es und welche Nebenwirkungen werden gesehen? Die Nebenwirkungen, über die berichtet wurde, wurden schließlich anhand von Placebo-kontrollierten Studien überprüft. Das heißt, einige Männer haben Scheinmedikamente erhalten.

Die Nebenwirkungen lagen alle auf Placebo-Niveau - dass sich ein paar Männer schlecht fühlten oder schlecht schliefen, hatte also nichts mit dem Präparat zu tun, sondern lag vielleicht an dem Wissen, dass sie an dieser Studie teilnahmen oder es war einfach reiner Zufall.

Ein Cocktail aus Testosteron und Gestagen macht männliche Hoden arbeitslosBild: Michael Zitzmann

Also keinerlei Nebenwirkungen?

Der einzige Effekt ist, dass die Hoden etwas kleiner werden, weil sie ja nicht mehr arbeiten. Sie gewinnen aber ihre normale Größe zurück, wenn die Pille für den Mann wieder abgesetzt wird.

Wann wird die Pille für den Mann auf dem Markt sein?

Das hängt natürlich auch davon ab, wie die Pharmaindustrie das letzten Endes sehen wird und ob die Weltgesundheitsorganisation die Lizenz erhält. Ich denke, dass die Studie der WHO, die ja gerade durchgeführt wird, gut verlaufen wird, denn wir wissen aus vorhergehenden Studien, dass es funktioniert. Aber was wir natürlich auch wissen müssen ist: wie sehen die Paare das? Fühlen sie sich damit wohl? Das kann ich bis jetzt nicht beantworten, das müssen wir erst herausfinden. Aber nehmen wir an, alles verläuft gut, dann könnte es frühestens 2012, 2013 soweit sein.

Ist die Pharmaindustrie denn interessiert?

Ja, denn die Substanzen, die dafür nötig sind, sind ja schon auf dem Markt. Sie sind nur für andere Zwecke zugelassen und müssten für diesen Zweck eben noch einmal mit den Daten aus der jetzigen Studie bei den zuständigen Behörden eingereicht werden. Dann könnte die Industrie die Pille für den Mann relativ schnell auf den Markt bringen.

Das Gespräch führte Judith Hartl

Redaktion: Dеnnis Stutе