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PolitikEuropa

Pro-russische Desinformationskampagne gegen die NATO

12. Februar 2023

Die Desinformationskampagnen Russlands entwickeln sich zu einem Parallelkrieg, und auch die NATO ist immer wieder Ziel. Das DW-Faktencheckteam zeigt, wie die russische Propagandamaschine funktioniert.

Brüssel NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Bild: Virginia Mayo/AP/dpa/picture alliance

Spätestens seit der Maidan-Revolution und der Krim-Annexion 2014 versucht Russland neben der staatlichen Propaganda im eigenen Land auch mit gezielten Desinformationskampagnen im Ausland Stimmung zu machen. Zwar lassen sich die Ausmaße der russischen Desinformation in den letzten zwölf Monaten nicht quantitativ messen, aber die von der DW befragten Experten sind sich einig: Sowohl die Intensität als auch die Verbreitungswege der russischen Desinformation haben sich vermehrt. Ein Narrativ, das sich besonders hartnäckig hält und das nicht erst seit Kriegsbeginn, ist, dass die NATO Russland bedrohe, sogar einnehmen wolle. 

Seit 2014 halten sich die Gerüchte um eine Einmischung der NATO in der UkraineBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Eine "Invasion als Verteidigung"  

Schon lange vor der Invasion der Ukraine im Februar 2022 verbreitete Russland solche Narrative, um den Krieg zu rechtfertigen. "(Die Falschbehauptungen) begannen wahrscheinlich schon beim Euromaidan, also um 2014 herum. Seitdem behaupten die Russen, dass sich der Westen in der Ukraine einmischt", sagt Roman Osadchuk vom Research Associate Atlantic Council im Gespräch mit der DW.

In vielen russischen Erzählungen würden Ursache und Wirkung umgekehrt, erklärt Lutz Güllner, Referatsleiter für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). "Es geht dabei immer wieder darum darzustellen, wie sehr Russland eigentlich bedroht ist, eingekreist ist, auch von der Ukraine bedroht wird und sich deswegen wehren muss und deswegen der Krieg nichts anderes ist als Verteidigung."

So behauptete der russische Präsident Wladimir Putin in einer TV-Ansprache wenige Tage vor dem Angriff, die NATO habe sich "immer weiter ausgedehnt" und ihre militärische Infrastruktur nähere sich den Grenzen Russlands. Putin spricht von der "Ausdehnung des NATO-Blocks nach Osten, die Annäherung seiner militärischen Infrastruktur an die Grenze Russlands".

Der russische Präsident Wladimir Putin behauptet kurz vor Kriegsbeginn, die NATO habe sich "immer weiter ausgedehnt"Bild: Aleksey Babushkin/Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Richtig an dieser Aussage ist: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden 14 osteuropäische Staaten in die NATO aufgenommen. Vier von ihnen grenzen an Russland. Auch der Ukraine wurde 2008 eine NATO-Beitrittsperspektive gegeben.

Ebenfalls richtig ist: Die NATO hat in ihren osteuropäischen Mitgliedsstaaten logistische Vorbereitungen getroffen und auch Flugplätze vorbereitet für die schnelle Verstärkung von Truppen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Sie hat das nach 2014 getan, als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Die NATO respektiert weiter die NATO-Russland-Grundakte von 1997. Die untersagt die zusätzliche dauerhafte Stationierung von substantiellen Kampftruppen in den NATO-Beitrittsstaaten. Putin konnte für seine Behauptung auch keine Beweise liefern. Und dennoch bediente er immer wieder das gleiche Narrativ: Die NATO bedrohe Russland.

Zudem behauptet Putin, die russischsprachigen Menschen in den selbsternannten Republiken Donezk und Luhansk seien seit Jahren dem Genozid durch die Ukrainer ausgesetzt und die Ukraine sollte "entnazifiziert" werden. 

Nicht nur Einheimische als Ziel der russischen Propaganda

Diese auch von der DW bereits widerlegten Falschbehauptungen wurden vor allem für ein einheimisches Publikum durch die russischen Staatsmedien verbreitet. Aber auch im Westen hat dieses Narrativ eine gewisse Wirkung erzielt. So stimmten im Oktober 2022, laut einer Studie des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), 19 Prozent der Befragten in Deutschland der Aussage zu, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eine alternativlose Reaktion Russlands auf Provokationen der NATO sei. 21 Prozent stimmten dem teilweise zu - insgesamt glauben also 40 Prozent der Deutschen zumindest teilweise diesem Narrativ.

"Das ist eine ziemlich hohe Zahl, und das ist mutmaßlich eine Folge sowohl von Desinformationskampagnen als auch von vorhandenen Überzeugungen und Einstellungen gegenüber der NATO", so Julia Smirnova, leitende Analystin des Institute for Strategic Dialogue (ISD), die auch die Verbreitung der Desinformation in diesem Krieg untersucht.

Die NATO und Ukraine-Unterstützer als Kriegsparteien? 

Zu Beginn der Invasion wurde auch behauptet, es gäbe von den USA finanzierte Biowaffen-Labore in der Ukraine, diese stellten sich später als Fake heraus. Die Geschichte über die angebliche Vorbereitung der sogenannten "schmutzigen Bombe" wurde durch das russische Außenministerium in den Umlauf gebracht, wobei die sogenannten "Beweise" als ältere Bilder von russischen Atomkraft-Anlagen sowie von Rauchmeldern in Slowenien enttarnt wurden.

Die Unterstützung der Ukraine durch die westlichen Partner (finanzielle Hilfe, Waffenlieferungen, Sanktionen) wird auch genutzt, um die Behauptung von Wladimir Putin am Tag der Invasion zu untermauern, die Ukraine sei "vollständig unter externe Kontrolle gestellt" und werde "verstärkt von bewaffneten Streitkräften der NATO-Länder erschlossen und voll mit den modernsten Waffen gepumpt". 

In den russischen staatlichen Medien wurde sogar verbreitet, NATO-Truppen seien aktiv in den Krieg in der Ukraine involviert und einige Militäreinheiten stünden de-facto unter dem Kommando westlicher Offiziere oder Instrukteure. Als Beleg wurden dabei des Öfteren die Bilder und Videos der ausländischen Freiwilligen genutzt, die an der Seite der Ukraine kämpfen. 

"Tatsächlich kämpft gegen uns der NATO-Block, dessen Mitglieder das Kiewer Regime mit schweren Waffen, Munition und Geheimdienstinformationen versorgen und Militärspezialisten ausbilden", erklärte Anfang Oktober 2022 Nikolai Patruschew, Putin-Vertrauter und Sekretär des Sicherheitsrates Russlands. 

Im Mai 2022 behaupteten Nutzer sozialer Medien fälschlicherweise, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Begriff seien, sich an dem Konflikt zu beteiligen. In einem Video - mit einem BBC-News-Logo - wurde behauptet, der polnische Militärgeneral habe einen Befehl unterzeichnet, Armeeabteilungen in "volle Alarmbereitschaft" zu versetzen. Das Video war ein Fake. Die BBC bestätigte, dass sie keine derartige Meldung produziert hatte und ihr Logo zur Erstellung eines gefälschten Videos verwendet worden war. Polnische Regierungsvertreter beschuldigten Moskau, Informationsangriffe gegen das Land zu starten.

Die NATO wird immer wieder zum Thema für Desinformation

Auch die jüngste Entscheidung Deutschlands, Panzer an die Ukraine zu liefern, wurde in den sozialen Medien als Eingeständnis von Olaf Scholz gedeutet, die NATO führe Krieg gegen Russland.

Noch vor der Bekanntgabe kursieren bereits Videos, die angeblich die Lieferung deutscher Leopard-2-Panzer an die Ukraine zeigen sollenBild: Sean Gallup/Getty Images

Noch vor der Bekanntgabe kursieren bereits Videos, die angeblich die Lieferung deutscher Leopard-2-Panzer an die Ukraine zeigen sollen. Für Roman Osadchuk ist es kein Zufall, dass sich solche Videos rund um die Entscheidung, Deutschlands Panzer an die Ukraine zu liefern, massenhaft verbreiten. "Aus russischer Perspektive kann die Verbreitung solcher Inhalte dem Ziel dienen zu verdeutlichen, dass Europa sich bereit macht, Russland zu attackieren."