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Die ratlosen Vier

Dirk Kaufmann11. März 2015

Die vier marktbeherrschenden Stromversorger in Deutschland haben in der Energiewende die Orientierung verloren. Die Konzerne schreiben rote Zahlen und suchen nach einem neuen Geschäftsmodell.

Symbolbild Eon Umstrukturierung
Bild: Reuters/I. Fassbender

"Der weitaus größte Teil unserer Mitarbeiter weiß, wo er ab dem nächsten Jahr arbeiten wird." Wessen Boss so etwas öffentlich sagt, wie Eon-Chef Johannes Teyssen vor der Bilanzpressekonferenz seines Konzerns am Mittwoch(11.03.2015), der weiß, dass ihm eher eine ziemlich ungewisse berufliche Zukunft bevorsteht. Denn Eon, so der Vorstandsvorsitzende, will "die größte Unternehmensspaltung, die jemals in Deutschland stattgefunden hat und eine der größten weltweit im Energiesektor" durchführen.

Der deutsche Branchenführer Eon, vor 15 Jahren aus der Fusion der Konzerne Veba und Viag hervorgegangen, beschäftigt gegenwärtig rund 60.000 Menschen. Zwei Drittel davon sollen ab 2016 mit der Ökostromproduktion befasst und für die Strom- und Gasnetze verantwortlich sein. 20.000 Mitarbeiter sollen in einer neuen Gesellschaft die Geschäftsfelder Öl- und Gasgeschäft, Energiehandel und Russland-Geschäft bearbeiten. Vor allem aber sollen sie die Stromproduktion mit den "veralteten" Energieträgern Öl, Gas und Atom betreiben.

Ratlos: Eon-Boss Johannes TeyssenBild: picture-alliance/dpa

Zurzeit jedoch drückt den Konzern eine abgrundschlechte Bilanz: Im vergangenen Jahr hat Eon einen Verlust von 3,16 Milliarden Euro - 2013 hatte der Konzern noch einen Gewinn von 2,09 Milliarden Euro gemacht. 2014 ging auch der Gewinn vor Steuern und Abgaben zurück, und zwar um rund neun Prozent. Als Folge der von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende hatte Eon bereits 2011 ein dickes Minus verbucht: Damals betrug der Verlust schon mehr als zwei Milliarden Euro.

Eine ganze Branche ächzt und jammert

Konkurrent RWE wird von den gleichen Problemen geplagt. "Es wird von Tag zu Tag schwieriger, ein Gas- oder Kohlekraftwerk am Leben zu erhalten", beklagte RWE-Chef Peter Terium bei der Bilanzvorlage seines Konzerns in Essen die Widrigkeiten, mit denen seine Branche zu kämpfen hat. RWE, Deutschland zweitgrößter Energieversorger, verzeichnet einen Rückgang des jährlichen Betriebsergebnisses um ein Viertel (minus 25 Prozent auf aktuell etwa vier Milliarden Euro). Die Nettoverschuldung des Essener Konzerns liegt unverändert hoch bei etwa 31 Milliarden Euro, ähnlich viel ist es bei Eon.

Nachdenklich: RWE-Chef Peter TeriumBild: picture-alliance/dpa

Die Nummer drei der Branche, der baden-württembergische Konzern EnBW, ist beim Umstieg auf erneuerbare Energieträger schon etwas weiter als die Mitbewerber. Ende 2013 erzeugten die Südwestdeutschen bereits jede fünfte Kilowattstunde aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse, bis 2020 soll der Anteil auf 40 Prozent verdoppelt werden. Doch auch für EnBW ist das Geschäft derzeit nicht einträglich: 20.000 Angestellte sorgten 2014 für einen Umsatz von 20 Milliarden Euro, mussten aber in den ersten neuen Monaten des Geschäftsjahres ein Minus von mehr als 770 Millionen Euro hinnehmen.

Auch Konkurrent Vattenfall aus Schweden, auf dem deutschen Markt die Nummer vier, leidet unter dem schwieriger werdenden Marktumfeld. Die Skandinavier mussten Rückgänge bei Umsatz und Gewinn verkraften, unter anderem wegen der Rücklagen, die sie wegen des deutschen Atomausstiegs bilden mussten. Für 2015 hat Vattenfall einen strikten Sparkurs angekündigt und erwägt den Verkauf seiner Braunkohletagebaue in Sachsen und Brandenburg.

Die Probleme werden noch zunehmen

Ist die Energiewende tatsächlich verantwortlich für die roten Zahlen einer ganzen Branche? Nein, ruft die Umweltorganisation Greenpeace laut und vernehmlich dazwischen. Die Konzerne hätten ihre beklagenswerte Lage selbst verschuldet. Zu diesem Schluss kommt eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie der Westfälischen Hochschule Recklinghausen, die am Dienstag veröffentlicht wurde.

Unabhängig von der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrer vorläufig letzten Wende in der Energiepolitik, dem Ausstieg aus der Atomkraft, veranlasst hatte, sei das Geschäftsmodell der deutschen Energiekonzerne schon vor vier Jahren nicht mehr zukunftsfähig gewesen. Ihre Konzentration auf die Atomkraft sei ein "strategischer Fehler" gewesen, so die Studie. Die Konzerne, sagt der Autor der Studie, Heinz-Josef Bontrup, hätten ihre Augen vor einem "neuen Energiemarkt verschlossen. Jetzt rächt sich das Festhalten an einem überkommenen Geschäftsmodell."

Die Untersuchung malt die Zukunft der vier großen Stromversorger in düsteren Farben: Ihr Schuldenstand sei zu hoch, ihr Kreditrating zu schlecht und der Wert ihrer Kraftwerke sänke weiter. Dazu werde der Druck durch den steigenden Anteil der Erneuerbaren Energien weiter zunehmen. Ralf-Michael Marquardt, ebenfalls als Autor für die Studie verantwortlich: "Diese Schraubzwinge wird für die 'Big 4' nicht lockerer werden, sondern enger."

In dem von Vattenfall betriebenen Braunkohlekraftwerk "Schwarze Pumpe" wird Kohle aus dem Lausitzer Braunkohlerevier verstromt.Bild: picture-alliance/Andreas Frank

Reaktionen auf Fukushima

Während in Deutschland die japanische Reaktorkatastrophe von 2011 wohl zum absehbaren Ende des Atomstroms geführt hat, ist das in anderen Ländern nicht so - auch in Japan selbst nicht. Dass nicht nur dort, sondern sogar in Europa neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen, hält der Energie-Experte Hans-Joachim Ziesing nicht für sehr bedenklich. Zum einen seien es gar nicht so viele, das würde "manchmal dramatisch überschätzt", sagt er im DW-Interview. Und man solle nicht übersehen, dass ein solcher Kraftwerksbau "eine der teuersten Investitionen ist, die man sich vorstellen kann. Das wird nur gebaut, weil es auch Subventionen dafür gibt."

Die deutsche Reaktion auf die Fukushima-Havarie, nämlich den Ausstieg aus der Atomkraft, hält Ziesing dagegen für durchaus gelungen. Die Abschaltung von acht deutschen Kraftwerken habe gezeigt, dass die befürchteten Nachteile nicht eingetreten seien: "Der Strompreis ist nicht rauf, sondern runter gegangen. Die Stromexporte sind gestiegen und nicht gesunken und die Emissionen von klimaschädlichen Gasen ist nicht so gestiegen, wie befürchtet worden ist."

Ziesing kommt zu dem Schluss, dass "mit der Stilllegung etlicher Kernkraftwerke viel erreicht werden kann – und zwar positives". Ob das die 'Big 4' inzwischen auch so sehen, ist allerdings sehr fraglich. Doch auch wenn sie diesen Standpunkt nicht teilen, müssen sie sich über kurz oder lang den Realitäten eines veränderten Marktes anpassen und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Sonst sind die 'Großen Vier' bald die zu Beginn des 21. Jahrhundert ausgestorbenen Dinosaurier der Stromerzeugung.

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