Die Regierung rechnet mit der Opposition ab
5. August 2009Am 5. August 1906 gestatte der iranische König die Gründung der Nationalen Beratenden Versammlung, des ersten iranischen Parlamentes. Seitdem, seit mehr als 100 Jahren träumen die Iraner von der Demokratisierung des Landes, von bürgerlichen Rechten und freien Wahlen. Aber noch immer gibt es Schauprozesse mit politischen Gefangenen. So wie am Wochenende, als mehr als 100 Angeklagte mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, sie seien vom Ausland gesteuert worden und hätten den Sturz der islamischen Republik beabsichtigt. Es gab keine Verteidiger im Gerichtssaal, dafür aber die Kameras des staatlichen Fernsehens. Vermeintliche Geständnisse wurden in alle Winkel des Landes gesendet.
Diese Geständnisse sollen aber unter Folter erzwungen worden sein, lautet der Vorwurf der Opposition. Die Tochter eines Verhafteten schildert mit zitternder Stimme grausame Haftbedingungen: "Mein schwer behinderter Vater musste bei mehr als 40 Grad lange in der Sonne stehen." Danach hätte man ihn wieder in seine Zelle gesteckt und mit Eisbrocken beworfen, erzählt Zeinab Hajarian. "Meine Mutter ist Ärztin. Letztes Mal, als sie ihn besuchen durfte und ihn untersuchen konnte, hatte er schwere Herzrhythmusstörungen und weinte die ganze Zeit."
Schauprozesse sollen die Opposition schwächen
Saeed Hajarian gehört zur iranisch-islamischen Partizipationsfront. Er wurde 2000 in Teheran niedergeschossen, überlebte aber schwer verletzt. Sein zentrales Nervensystem ist seither geschädigt und er schwerbehindert. Grund für das Attentat auf ihn waren seine Enthüllungen über Serienmorde an Intellektuellen im Auftrag der Regierung Ende der 1990er Jahre. Saeed Hajarian ist nun pflegebedürftig, er kann kaum sprechen. Trotzdem wurde auch er nach der Wahl verhaftet. Seine Tochter ist überzeugt ihr Vater solle umgebracht werden. "Sie wollen ihre Arbeit zu Ende bringen und ihn jetzt auf diese Weise umbringen - was sie damals nicht geschafft haben."
Hajarian wird vorgeworfen, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Eine Anschuldigung, die auch gegen mehr als 2000 andere festgenommene Oppositionelle und Demonstranten vorgebracht wird. Am vergangenen Samstag (01.08.2009) hat der erste Prozess gegen sie begonnen: Zunächst wurden mehr als 100 Angeklagte wegen Verschwörung und dem Schüren von Unruhen vor Gericht gestellt. Unter ihnen sind auch prominente Reformpolitiker wie der ehemalige Vize-Präsident Mohammed Ali Abtahi.
Sein Anwalt, Saleh Nikbakht wurd erst am Prozesstag selbst von dem Beginn des Verfahrens unterrichtet. Als er daraufhin zum Gericht eilte, wurde ihm der Zugang verwehrt . Saleh Nikbakht sollte neben Mohammed Ali Abtahi auch Mustafa Tajzadeh verteidigen, einst stellvertretender Innenminister in der Regierung Chatami. Seine Mandanten durfte er nach eigenen Aussagen nicht besuchen, die Anklageschrift wurde ihm vorenthalten.
Entgegenkommen des Religiösen Führers?
Erst vor knapp einer Woche hatte Irans geistliches Oberhaupt Ali Chamenei befohlen, es dürfe keine "Ungerechtigkeiten" gegen Oppositionelle geben. Der Ayatollah ließ sogar ein Gefängnis schließen, in dem auch oppositionelle Demonstranten inhaftiert waren.
Die vom Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats, Said Dschalili, vorgetragene offizielle Erklärung: In der Haftanstalt seien die nötigen Standards nicht eingehalten worden. Saleh Nikbakht ist auch Sprecher des "Vereins zur Unterstützung Gefangener". Seinen Informationen zu Folge hätte das Kahrizak-Gefängnis bereits vor zwei Jahren geschlossen werden sollen: "Was im Kahrizak-Gefängnis geschieht, war der iranischen Justiz längst bekannt", erklärt Nikbakht. "Trotzdem wurden die festgenommenen Demonstranten dorthin gebracht." Nikbakht fordert nun Aufklärung, wer dafür verantwortlich ist.
„Das Gegenteil meiner Aussagen ist wahr"
Ob je dazu kommen wird, ist ungewiss. Die Justiz hat zum Prozessauftakt gegen die Regierungskritiker behauptet, die Angeklagten hätten gestanden, mit dem Feind in Kontakt gestanden zu haben und den Sturz der Islamischen Republik betrieben zu haben. Die Angeklagten hätten ferner Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl als "Lüge" bezeichnet und bedauert, an Protestkundgebungen teilgenommen zu haben.
Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mir Hussein Mussawi erklärte dazu im Internet, diese Geständnisse seien durch "mittelalterliche Foltermethoden" erzwungen worden. Auch Mustafa Tajzadeh, einst stellvertretender Innenminister in der Regierung Chatami, hat ein Geständnis unterzeichnet. Doch seine Frau bezweifelt, dass dieses Geständnis echt ist. "Mustafa hat uns immer gesagt: wenn ich im Gefängnis lande und danach etwas behaupte, solltet ihr wissen, dass das Gegenteil stimmt."
Autorin: Shabnam Nourian
Redaktion: Sarah Mersch