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Die Revolution, die steckenblieb

8. November 2018

Franzosen, Amerikaner, Russen haben eine; Kuba, Mexiko und Iran ebenfalls. Auch die Deutschen könnten auf eine zurückblicken, aber im eigenen Land ist sie fast vergessen: Die demokratische Revolution vom November 1918.

Novemberrevolution 1918 - Rede Scheidemanns
Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft die Republik ausBild: picture-alliance/akg-images

Das soll sich jetzt ändern. Nicht mit einer History-App oder im Museum, sondern ganz im Stil von damals: "Mitzubringen sind: vier rote Fahnen und acht Plakate, je vier Mal 'Nieder mit dem Krieg!' und 'Freie Wahlen!' sowie 120 rote Armbinden."  So die Requisitenliste der Aktion "Die Revolution rollt".  Anfang November bewegt sie sich quer durch Deutschland zu den Schauplätzen des Umbruchs von 1918,  veranstaltet vom Verein "Weimarer Republik".

Zu den Aktionen auf Straßen und Plätzen der einstigen Revolutionsstädte geht es mit der Eisenbahn. So wie die Bahn auch damals die Revolution innerhalb weniger Tage ins ganze Land streute. Insgesamt sollen 47 Bahnhöfe abgefahren werden, an jedem Halt sollen dann "15minütige Flashmobs mit Schauspielern und Komparsen" aufgeführt werden, "die einen Eindruck davon geben, wie vor 100 Jahren die Demokratie erkämpft wurde", so der Veranstalter.

Die Flotte sollte noch einmal auslaufen

Wann genau "die" Revolution begann, ist auch im Rückblick kaum auszumachen. Ende Oktober 1918 wollte die kaiserliche Marineleitung die Hochseeflotte zu einem letzten Gefecht, zum "Heroischen Untergang" auslaufen lassen. Doch der Krieg war da bereits verloren; Ende September hatte die Oberste Heeresleitung - die Generäle Ludendorff und Hindenburg - nach Berlin gemeldet, dass Deutschland nicht mehr siegen könne und bei den Westalliierten um einen Waffenstillstand bitten müsse.

Kaiser Wilhelm II (Mitte) 1917 mit den Generälen Hindenburg (l.) und Ludendorff. Der Kaiser musste 1918 abdanken.Bild: picture alliance/dpa/Everett Collection

Die Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven verweigerten die Befehle zum Auslaufen. Aus der Meuterei wurde ein Aufstand, Heeressoldaten schlossen sich an, bald auch Arbeiter. Schon am 3. November formierten sie sich in "Räten" und formulierten klare politische Forderungen: Kaiser Wilhelm II sollte abdanken, der Krieg sofort beendet werden. Der revolutionäre Funke sprang bald über auf andere Garnisonen, auch in Hamburg, Bremen und Lübeck bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Am 7. November dankte in München der letzte Wittelsbacher König ab, danach stürzten die gekrönten Häupter überall im Reich. Das Deutsche Reich war damals ein Bundesstaat: ein Verbund von 26 Föderationssubjekten, 22 von Ihnen waren Königreiche, Herzog- oder Fürstentümer.

Die Ereignisse überschlagen sich

Am 9. November erreicht die Revolution Berlin. Und in der Reichshauptstadt überschlagen sich die Ereignisse. Ministerpräsident Max von Baden, Chef der erst seit kurzem amtierenden Übergangsregierung, gibt die Abdankung von Kaiser Wilhelm II bekannt. Der weilte im militärischen Hauptquartier im belgischen Spa und hatte seinen Thronverzicht noch gar nicht erklärt. Er tat es dann am Nachmittag doch, unter dem Druck der Ereignisse.

Mittags um 14 Uhr rief der sozialdemokratische Abgeordnete Philipp Scheidemann aus einem Fenster des Reichstagsgebäudes die Republik aus: "Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt, das Alte ist nicht mehr." Damit kommt Scheidemann dem linkssozialistischen Politiker Karl Liebknecht um gut zwei Stunden zuvor: Liebknecht, der sich auf die "revolutionären Obleute" der Berliner Arbeiterschaft stützte, proklamiert vor dem Berliner Stadtschloss die "sozialistische Republik Deutschland".

Die Vorstellungen von der politischen Zukunft Deutschlands gingen sehr weit auseinanderBild: picture-alliance / dpa

Die politische Linke in Deutschland hatte sich wegen der Frage der Kriegskredite in SPD und Unabhängige Sozialdemokraten (USPD) gespalten. Der 9. November machte dies erneut deutlich. Während die (Mehrheits-)Sozialdemokraten um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann eine parlamentarische Demokratie wollten und glaubten, ohne die alten Machteliten Deutschland nicht regieren zu können, beschritten viele "Unabhängige" einen anderen Weg.

Tief gespaltene Linke

Vor allem der "Spartakusbund" unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sah in der Sowjetunion und in der russischen Revolution von 1917 ein Vorbild für Deutschland. "Alle Macht den Räten", lautete bald seine Parole; kurz vor Jahresende 1918 spaltete sich der Spartakusbund ab, aus seinen Reihen wurde die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet. "Wir schauen auf Deutschland wie auf eine Mutter, die eine Revolution gebiert, und sollten uns die Deutschen nicht dazu zwingen, werden wir nicht die Waffen gegen sie erheben, ehe das Kind geboren ist", schrieb der eigens aus Russland angereiste Journalist Karl Radek, ein Berater Lenins. Nun gab es drei marxistisch orientierte, linke Parteien in Deutschland – (M)SPD, USPD und KPD.

Am 6. Dezember kam es in Berlin zu ersten schweren Barrikadenkämpfen zwischen ultralinken Aufständischen und Soldaten; es gab die ersten Toten. Die Unruhen weiteten sich aus zum "Spartakusaufstand" – de facto ein Bürgerkrieg, der auch in anderen Städten gekämpft wurde; schätzungsweise 5.000 Menschen kamen im Frühjahr 1919  ums Leben. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Wortführer des Aufstands, wurden von rechten Freikorps-Kämpfern bestialisch ermordet.

Mehrheitssozialdemokraten und Reichswehr vereint

Der zentrale Arbeiter- und Soldatenrat Berlins hatte sich zuvor mit großer Mehrheit für allgemeine Wahlen zu einer Nationalversammlung ausgesprochen. Die provisorische Regierung, geführt von Mehrheitssozialdemokraten, ging mit der Reichswehr ein Bündnis ein, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und um die Angriffe der revolutionären Linken abzuwehren. Der Umstand, dass ein sozialdemokratischer Wehrminister die Kämpfe der Reichswehr und der ultrarechten Freikorps-Milizen gegen die linke Arbeiterschaft befehligte, hat das Verhältnis von Sozialisten und Kommunisten zur Sozialdemokratie in Deutschland auf Jahrzehnte vergiftet.

Regierungstruppen zur Niederschlagung eines Aufstands haben auf dem Brandenburger Tor Stellung bezogenBild: ullstein bild

Nach der Niederschlagung des Spartakusaufstandes wählten die Deutschen am 19. Januar eine verfassungsgebende Versammlung. Als Wahlsieger gingen SPD (37,9 Prozent), das katholische Zentrum (19,7) und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (18,5) aus ihr hervor. Die drei Parteien gingen eine Koalition ein. Die radikalen antirepublikanischen Kräfte der Rechten und die revolutionäre Linke waren in der Nationalversammlung deutlich in der Minderheit.

Deutungsstreit um die Weimarer Republik

Die Nationalversammlung tagte nicht im politisch unruhigen Berlin, sondern wich in das beschauliche Weimar aus. Der Tagungsort sollte der Republik, die hier begründet wurde, ihren Namen geben. "Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution", eröffnet Reichspräsident Friedrich Ebert die konstituierende Sitzung. "Sie wird es in die Hände der Nationalversammlung zurücklegen."

Und doch: Die Weimarer Republik wurde im Rückblick eine "Demokratie ohne Demokraten" genannt. Da war bereits klar, dass die Republik dem Zangengriff von links und rechts unter den Bedingungen einer Weltwirtschaftskrise nicht standgehalten hatte. Viel ist in Deutschland darüber nachgedacht worden, inwieweit das revolutionäre Geschehen selbst den neuen Staat mit dem Keim des Scheiterns infiziert habe. Die Spaltung der Arbeiterbewegung, der äußere Druck durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die soziale Krise, die sich im Massenelend nach vier Jahren Hungerblockade und ruinierter Währung ausdrückte.

Millionen litten am Ende des Krieges unter Hunger und Elend Bild: picture-alliance/akg-images

Historiker nennen die Ereignisse im November 1918 eine "steckengebliebene Revolution": Junker und "Schlotbarone" behielten Privilegien und ihren politischen Einfluss, die traditionell konservative Beamtenschaft blieb auf ihren Dienstposten, und das Militär mit seinem nationalistischen Offizierskorps wurde ebenfalls nicht angetastet.

Auch wenn diese auf das Scheitern der Republik bezogene Analyse zutrifft, so überwand die Revolution doch "ein überlebtes, autoritäres System und stellte einen wichtigen Aufbruch Deutschlands in die Demokratie dar". Dieses Fazit ziehen die Initiatoren von  'Weimarer Republik', die nicht wollen, dass die Novemberrevolution in Vergessenheit gerät. Doch in der kollektiven Erinnerung der Deutschen scheint der Ruf dieser Revolution ruiniert – weil die Republik, die sie begründete, nach wenigen Jahren politisch so ausgehöhlt war, dass sie 1933 unterging.   

 

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