Der Maler Marc Chagall eröffnete 1918 in Witebsk eine Kunstschule, die er zum Zentrum der russischen Avantgarde machte. Das Centre Pompidou zeigt Werke von Chagall, Lissitzky und Malewitsch nun in einer Ausstellung.
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Die russische Avantgarde und die Quadratur der Kunst
Die Kunstschule in Witebsk war ein Inkubator für neue Ideen. Von Chagall über Lissitzky bis Malewitsch - sie alle waren Teil einer neuen Künstlergeneration. Das Centre Pompidou würdigt sie in einer Ausstellung.
Bild: Stedlijk Museum Amsterdam/Foto: DW/S. Oelze
Wegbereiter der Moderne
Es war der Beginn des Suprematismus, den Malewitsch begründete und zum Nullpunkt der Malerei erklärte. Anlässlich der Ausstellung "Chagall, Lissitzky, Malewitsch. Die russische Avantgarde in Witebsk" im Centre Pompidou haben wir einen Blick auf sein Werk geworfen...
Bild: Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau
Kämpfer für eine neue Kunst
Kasimir Malewitsch wurde 1879 in Kiew geboren und starb 1935 in Leningrad. Er gilt nicht nur als Wegbereiter des Kubismus, sondern auch als Erfinder des Suprematismus. Die Utopie eines neuen Menschen zog sich durch alle Lebensbereiche: Malewitsch schuf Architekturmodelle, arbeitete als Lehrer und entwarf Kostüme für eine futuristische Oper. Über allem stand die Suche nach der Gegenstandslosigkeit.
Bild: picture-alliance/dpa
Französischer Einfluss
Der Weg in die Abstraktion verläuft in Etappen. Anfangs ist Malewitsch vom französischen Impressionismus beeinflusst: Die Landschaft mit dem rosafarbenen Haus könnte auch von Monet oder Cézanne stammen. Das Gemälde ist aus dem Jahr 1911. Damals galt Moskau als Paris des Ostens.
Bild: Privatsammlung, Courtesy Schroder Trust SA
Avantgarde im Aufbruch
In den 1910er Jahren schließt sich Malewitsch verschiedenen Avantgardebewegungen an: Dem Neoprimitivismus folgend - der Name drückt die Begeisterung für primitive Formen aus - malt er folkloristische Motive: Bauern mit Sense und Arbeiter im Wald. Doch allmählich ist der Weg in die Abstraktion erkennbar: Dieses Gemälde heißt "Mädchenkopf" und beschreibt schon den Übergang zum nächsten "-ismus"...
Bild: Stedelijk Museum Amsterdam
Kubofuturismus
Beim Kubofuturismus werden Erfahrungen und Elemente des Kubismus und des Futurismus miteinander verschmolzen. Malewitsch zerlegt gegenständliche Motive in zylindrische Formelemente. Das Gemälde "Leben im Grand Hotel" malt er 1913. Der Kubofuturismus war ein Schritt in Richtung des von Malewitsch begründeten Suprematismus.
Bild: Regionales Kunstmuseum, Samara
Moderne Ikonen
Von der russischen Volkskunst übernimmt Malewitsch die geometrischen Formen und auch die Farbsymbolik. Dabei greift er meist auf die sieben Farben der Ikonenmalerei zurück: Schwarz, Weiß, Gelb, Blau, Rot, Grün und Rosa. In der Ikonenmalerei stehen die Farben Schwarz und Weiß für den Anfang und das Ende, zwischen denen sich das Leben des gesamten Kosmos entwickelt.
Bild: Regionales Kunstmuseum F. A. Kowalenko, Krasnodar
Gegenstandslosigkeit als höchstes Gut
Der Höhepunkt der Reduktion ist das "Schwarze Quadrat auf weißem Grund" aus dem Jahr 1915. Für Malewitsch ist es eine moderne Ikone. Das Schwarze Quadrat darf die Tretjakow Galerie in Moskau aus konservatorischen Gründen nicht mehr verlassen. Das Schwarz bildet einen starken Kontrast zum weißen Grund und übt eine suggestive Wirkung aus.
Bild: public domain
Handschrift des Malers
Malewitschs suprematistischen Bildern sieht man immer an, dass sie mit der Hand - und nicht etwa mit der Schablone - gemalt wurden. Ob Kreuze oder schwebende Linien auf weißem Hintergrund: Die Formen haben eine stark gemalte Präsenz. Damit bewahrt Malewitsch den individuellen und authentischen Charakter seiner Kunstwerke.
Bild: Staatliches Museum für Theater und Musik, St. Petersburg
Kunsterziehung
Die Utopie eines neuen Menschen ist bei Malewitsch allgegenwärtig: Er ist nicht nur Künstler, sondern auch Theoretiker und Lehrer. In den 1920er Jahren kommt er über Warschau nach Berlin und verbreitet seine Manifeste auf Deutsch. Die "Organische Kunstkultur" entsteht in dieser Zeit. Darin sind auch die von ihm präferierten Farben seiner Werke zu erkennen.
Bild: Stedlijk Museum Amsterdam/Foto: DW/S. Oelze
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Vor über 100 Jahren führte die Oktoberrevolution Russland in eine neue Ära. Neben den politischen Veränderungen brachte dieses Ereignis auch einen tiefgreifenden kulturellen Wandel mit sich. Die Erneuerung der Kunst wurde auf die Spitze getrieben, die Stilrichtungen Suprematismus und Konstruktivismus entstanden. Einer der wichtigsten Vertreter dieser neuen Stilrichtungen war Marc Chagall. In Petrograd (heute Sankt Petersburg) geboren, war der jüdische Maler Chagall von der bolschewistischen Revolution stark beeinflusst. Ein neues Gesetz, das religiöse und nationale Diskriminierung verbot, trat in Kraft. Für Chagall die langersehnte Freiheit und die Anerkennung als russischer Staatsbürger. Es war der Beginn seiner produktivsten und kreativsten Zeit. Das Werk "Über der Stadt" aus dem Jahr 1918 zeigt Chagall und seine Frau Bella frei in den Wolken fliegen.
Im selben Jahr wurde Chagall zum Kommissar für Schöne Künste der Region Witebsk ernannt, eine Position, die es ihm ermöglichen würde, seine akademischen Ziele zu verwirklichen. Chagall fühlte sich inspiriert, jungen Künstlern zu helfen, auch solchen mit jüdischem Hintergrund wie seinem eigenen. Er beschloss, die kostenlose Volkskunstschule zu gründen. Die Institution hat die Provinzstadt Witebsk, die heute zu Weißrussland gehört, zu einem wichtigen künstlerischen Zentrum erhoben, obwohl sie weit von den russischen Metropolen entfernt lag.
Die Kunstschule von Chagall - ein Inkubator für neue Ideen
Die Volkskunstschule öffnete im Januar 1919 ihre Pforten. Chagall engagierte Künstler wie El Lissitzky, um Workshops für Druck, Grafikdesign und Architektur zu organisieren. Lissitzkys Mentor, der berühmte Künstler Kasimir Malewitsch, schloss sich ebenfalls bald der Schule an und führte dort den Suprematismus ein - eine Kunstbewegung, die abstrakte geometrische Formen und kräftige Farben benutzt.
Als der Suprematismus die Welt im Sturm eroberte, gewann Malewitsch mit seinem Lehrstil und Charisma langsam die Sympathien der Studenten und der Mitarbeiter der Schule. Auf der anderen Seite jedoch begannen sich Chagalls Klassenzimmer zu leeren. Dieser verließ schließlich 1920 Witebsk und arbeitete fortan für das Moskauer Jüdische Theater. Seine Abneigung gegen Malewitsch war kein Geheimnis. Laut der Kuratoren der neuen Ausstellung in Paris war Chagall davon überzeugt, dass Malewitsch eine Verschwörung gegen ihn anführte.
Paris im Zeichen der russischen Avantgarde
Die Kunstschule blieb bis zur Schließung im Jahr 1922 eine kreative Brutstätte. Malewitschs sogenannte UNOWIS-Studentengruppe ("Bestätiger der Neuen Kunst" / "Utwerditeli Nowowo Iskustwa") organisierte Ausstellungen in ganz Russland und machte den suprematistischen Kunststil einem breiteren Publikum bekannt.
Die aktuelle Ausstellung im Pariser Centre Pompidou zeigt über 250 Werke und Dokumente aus dieser dynamischen Periode der russischen Avantgarde-Kunstgeschichte. Die Werke sind Leihgaben aus Museen in Moskau, St. Petersburg, Minsk und Museen in den USA und Europa.
"Chagall, Lissitzky, Malewitsch. Die russische Avantgarde in Witebsk" ist noch bis 16. Juli 2018 im Centre Pompidou in Paris zu sehen.