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Gesellschaft

Die Sache mit dem Kopftuch

9. Mai 2018

Die Diskussion um Kopftücher bei muslimischen Lehrerinnen ist ein Dauerbrenner. Nun urteilten Richter in Berlin, dass eine Lehrerin nicht mit Kopftuch an einer Grundschule unterrichten darf.

Berlin Kopftuch
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Eigentlich ist es doch ganz einfach: Entweder dürfen religiöse Symbole in öffentlichen Bildungseinrichtungen getragen und gezeigt werden, oder eben nicht. In Frankreich etwa wird eine harte, aber klare Schiene gefahren: Weder Lehrerinnen noch Schülerinnen dürfen auf dem Schulgelände ein Kopftuch tragen, auch Kippa und Kruzifix sind tabu. 

In Deutschland ist die Lage verworrener. Rechtlich steht die Trennung von Staat und Religion - als Lehrerin ist man ja Repräsentantin des Staates - dem Grundrecht auf Religionsfreiheit und dem Verbot religiöser Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen Ämtern gegenüber. Auch kann etwa das Recht der Lehrerin auf Religionsfreiheit mit demselben Recht der Schüler kollidieren, da diese dem Kopftuch als religiösem Symbol im Unterricht nicht ausweichen können. Und in der Praxis kocht, da Bildung Ländersache ist, jedes Bundesland ohnehin sein eigenes Süppchen.

Andere Länder, andere Sitten

In Nordrhein-Westfalen wird beispielsweise im Einzelfall geprüft, "ob durch das Tragen religiöser Symbole ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten begründet ist“. Die Neutralitätspflicht ist im Landesschulgesetz geregelt. Demnach dürfen Lehrkräfte keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden gefährden oder stören.

In Berlin dagegen unterrichten aufgrund des Berliner Neutralitätsgesetzes gar keine Lehrerinnen mit Kopftuch an öffentlichen allgemein bildenden Schulen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres befindet dazu auf Anfrage: "Gerade weil in der Berliner Schule viele Religionen und Weltanschauungen aufeinandertreffen, ist es wichtig, dass die Lehrkräfte neutral vor die Klassen treten. Wenn ich eine Lehrkraft mit Kopftuch vor mir habe, ist das nicht neutral.“

Passend dazu wies das Berliner Arbeitsgericht nun in erster Instanz eine muslimische Lehrerin ab. Die hatte gegen das Land geklagt, weil sie mit Kopftuch an der Grundschule unterrichten wollte. Das Gericht erachtete das in Berlin geltende Neutralitätsgesetz nicht als verfassungswidrig. Vor ihrer Einstellung hatte die Frau bejaht, dass sie das Neutralitätsgesetz kenne.

"Besonders in der Grundschule lassen sich Schüler beeinflussen"

Der Deutsche Lehrerverband begrüßte das Urteil. "Wir stehen dem Kopftuch bei Lehrpersonen kritisch gegenüber", so Präsident Heinz-Peter Meidinger im Gespräch mit der Deutschen Welle. Anders verhalte es sich freilich bei Schülerinnen an weiterführenden Schulen, die ab dem 14. Lebensjahr religionsmündig seien. Aber Lehrer, so Meidinger, müssten sich an den Grundsatz der staatlichen Neutralität halten, ganz besonders in der Grundschule: "Dort lassen sich die Schüler ja noch viel mehr beeinflussen. Das Kopftuch hat da eine große suggestive Wirkung, selbst wenn sich die Lehrerin ganz korrekt verhält."

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und ein KruzifixBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Doch wie steht der Lehrerverband dann zu Kruzifixen, die in vielen deutschen Klassenzimmern an der Wand hängen? Nach dem Willen der bayerischen Landesregierung ist das sogar die gewünschte Regel. Nur wenn ein Lehrer oder Schüler "begründet widerspricht", muss es im Einzelfall abgehängt werden. 

Meidinger findet: "Es gibt einen Unterschied zwischen einer kopftuchtragenden Lehrkraft, die die zentrale Vermittlerin von Wissen und Erziehung ist, und einem Kreuz, das in der Ecke des Zimmers hängt und gegen das niemand Einspruch erhoben hat. Die Beinflussungsfähigkeit ist eine andere." In einigen staatlichen Schulen wird darüber hinaus in Bayern morgens gebetet - auch wenn, so betont Meidinger, niemand zum Mitbeten gezwungen werde und es oft auch eigene Gebetsräume für Andersgläubige gebe.

Staatliche Neutralität muss kein Kopftuchverbot bedeuten

Vildan Aytekin ist Mitbegründerin des Netzwerks für muslimische Lehrerinnen und Lehrer (Nele) und sieht vieles anders als der Präsident des Lehrerverbandes. Der Begriff der staatlichen Neutralität wird ihrer Meinung nach oft nicht richtig verstanden. In einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung erklärt sie, staatliche Neutralität sei so definiert, dass der Staat - und nicht einzelne Bedienstete des Staates - alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen fördern müsse und sich nicht auf eine Seite schlagen dürfe.

Karriere mit Kopftuch?

02:35

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Das Kopftuch der Lehrerin könne demnach der Person und nicht dem Staat zugerechnet werden. "Die Frage ist doch auch, ob es wirklich das Kopftuch ist, an dem sich Neutralität festmachen lässt. Wie oft habe ich in meinen Praktika Situationen erlebt, in denen nicht-muslimische Lehrerinnen vor den Schülern sehr politische Positionen bezogen haben", erklärt Aytekin weiter.

Letzen Endes, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld in dem Interview, würden Muslimas auf diese Weise diskriminiert. "Jahrzehntelang hat man diesen Frauen vorgeworfen, dass es ihnen an Deutschkenntnissen und Ausbildung fehle und sie deshalb nicht auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten. Wenn muslimische Frauen nun aber einen Hochschulabschluss vorweisen, bleibt ihnen der Zugang zu bestimmten Positionen in staatlichen Institutionen trotzdem verwehrt."

Wohl nur wenige Leherinnen betroffen

So sehr das Ja oder Nein zum Kopftuch bei Lehrerinnen ein gesellschaftliches Reizthema ist - zahlenmäßig betrifft es, im Moment zumindest noch, nur wenige Personen. Meidinger schätzt, dass von rund 800.000 Lehrkräften in Deutschland um die 1000 muslimisch sein dürften. Und von denen ist wiederum nur ein Teil weiblich, von dem auch nicht alle das Kopftuch tragen wollen. 

Genaue Zahlen zum Anteil muslimischer Lehrkräfte gibt es allerdings nicht - die angefragten Schulbehörden einzelner Länder konnten zumindest keine nennen. Im Dokument "Zur Situation Kopftuch tragender Lehrerinnen in ausgewählten Bundesländern" des Deutschen Bundestags  von 2017 ist nachzulesen: "Kopftuch tragende Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen sind in den einzelnen Bundesländern nur vereinzelt im Schuldienst vertreten." Allerdings nennt auch dieses Papier als Quellen lediglich die Presseberichterstattung und verschiedene parlamentarische Anfragen.

Am Ende ist es Auslegungssache, was staatliche Neutralität genau zu bedeuten hat. Fakt ist jedoch, dass die meisten Klagen muslimischer Lehrerinnen, die ein Kopftuch am Arbeitsplatz tragen wollten, bisher abgelehnt wurden. Das Kruzifix dagegen hängt durchaus noch in Klassenräumen. Dass religiöse Symbole keinen Platz in öffentlichen Bildungseinrichtungen haben sollen, scheint für einige mehr und für andere weniger zu gelten.

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