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Gesellschaft

Die Schattenseiten des Tourismus

20. August 2018

Jahr für Jahr bricht die Tourismusbranche ihre eigenen Rekorde, mittlerweile reisen jährlich gut 1,3 Milliarden Menschen um die Welt. Doch vielerorts ächzen Bewohner und Umwelt unter der Last der Menschenmassen.

Massentourismus Gran Canaria - Playa de las Canteras
Sandstrand und Sonnenbrand: Im Sommer ist die "Playa de las Canteras" auf Gran Canaria überfülltBild: picture-alliance/Bibliographisches Institut/H. Wilhelmy

Es ist wieder diese Zeit im Jahr. Gerade sind in vielen Teilen der Welt besonders viele Menschen verreist und tummeln sich als Touristen in Bangkok, am Mittelmeer oder auf einem Kreuzfahrtschiff.

In Deutschland etwa macht dem ADAC Reisemonitor zufolge mittlerweile jeder Dritte zwei Urlaubsreisen im Jahr, die mindestens fünf Tage dauern. Jeder Sechste macht sogar noch mehr solcher Urlaube. Die Deutschen reisen immer öfter und immer weiter – und damit sind sie nicht allein.

Die enormen Zuwächse im Tourismus ergeben sich aus immer mehr Flügen zu immer niedrigeren Preisen sowie mehr Menschen, die sich Urlaube leisten können, etwa in Indien oder China. Reisten 1995 noch 531 Millionen Menschen in andere Länder, so waren es im vergangenen Jahr gut 1,3 Milliarden.

Die Welt ein Dorf

Ob eine Backpackertour durch Südamerika, Tauchen auf den Philippinen oder All-Inclusive-Urlaub in der Türkei - dank Billigfliegern, Airbnb & Co ist heutzutage fast alles möglich. Dass Freunde auf Instagram nahezu live mitverfolgen können, wer gerade welche Destination aufsucht, spielt laut Tim Freytag, Professor für Humangeographie an der Uni Freiburg, eine wichtige Rolle.

"Reisen ist so zum wesentlichen Bestandteil unserer Selbstdarstellung geworden", sagt er. Bei manchen Urlaubern dränge sich gar der Eindruck auf, dass sie ihr Reiseziel nach seiner "Instagram-Tauglichkeit" aussuchten, und Fotos und Videos zu posten dann ihre Hauptbeschäftigung sei.

Diagnose: Touristifizierung

An touristischen Top-Destinationen gehen die auswärtigen Besucher, die sich vor bekannten Kulissen auf Selfies verewigen, der einheimischen Bevölkerung jedoch schon längst auf die Nerven - so etwa in Venedig, wo von Kreuzfahrtschiffen stündlich tausende Passagiere von Bord gehen.

Das Luxus-Kreuzfahrtschiff "Queen Victoria" vor Venedig (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/Ansa/A. Merola

Auch die Mallorquiner haben genug von überfüllten Stränden, Wassermangel und angetrunkenen Gästen aus dem Ausland - im Herbst 2017 organisierten die Inselbewohner die bislang größte Demonstration gegen Massentourismus. 

Insbesondere Städtereisen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. "Die Folge ist, dass In manchen Vierteln Wohnraum rar und Mieten teurer werden", erklärt Humangeograph Freytag. Die Nutzungsstrukturen änderten sich ebenfalls, die Geschäfte passten sich die Bedürfnisse der Touristen an.

Freytag: "Die sogenannte Touristifizierung hat einen vergleichbaren Effekt wie die Gentrifizierung. Ärmere Bewohner werden verdrängt, und die Wohnviertel werden immer homogener."

Typisch bayerisch? 

"Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet", schrieb der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bereits Ende der fünfziger Jahre. Dass Kultur zur bloßen Kulisse verkommen kann, wenn zu viele Touristen kommen, bestätigt auch Freytag - allerdings mit Einschränkungen. 

"Ein gewisses Maß an Authentizität geht sicherlich verloren, jedoch liegt diese auch immer im Auge des Betrachters. Während einem Deutschen das Schloss Neuschwanstein mit seinen Besuchermassen als eine künstlich inszenierte Attraktion erscheinen mag, schätzen es viele Ferntouristen als einen Schauplatz, der typisch deutsch oder eben typisch bayerisch und deshalb besonders authentisch ist."

Schloss Neuschwanstein im bayerischen Allgäu ist eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten DeutschlandsBild: picture-alliance/C. Wallberg

Auf Kosten der Umwelt

Nicht zuletzt sind da auch noch die Folgen für die Umwelt. Tourismusforscher Jürgen Schmude zufolge ist Tourismus für circa fünf Prozent der globalen Emissionen verantwortlich und treibt somit den Klimawandel mit voran. "Besonders An- und Abreise, die immer häufiger mit dem Flugzeug bestritten werden, sorgen für wachsenden CO2-Ausstoß. Ausgleichszahlungen, die man als Fluggast inzwischen bei vielen Airlines tätigen kann, werden übrigens kaum genutzt." 

Vor Ort könnten und würden Touristen natürlich ebenfalls ökologische Schäden anrichten, etwa durch Müll, übermäßigen Wasserverbrauch, Skifahren oder unvorsichtiges Tauchen. Auch der Kreuzfahrt-Tourismus sei alles andere als nachhaltig, so der an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätige Professor.

Der Traum vom "sanften" Tourismus

Bleibt die Frage, was gegen die Folgen des Massentourismus getan werden kann. Schmude erklärt: "Es gibt kein Patentrezept, aber grundsätzlich müssen Politik und Reiseveranstalter immer im Blick behalten, wo die kritische Grenze eines Ortes ist. Man kann dann versuchen, die Nebensaison zu stärken oder die Anzahl der Quartiere zu beschränken."

Wenn die Handlungsmöglichkeiten schon jetzt begrenzt sind, wie wird dann die Zukunft aussehen? Im Jahr 2030 soll es noch einmal doppelt so viele internationale Touristen geben wie heute. "Das könnte ein großes Problem werden, auf das bislang niemand eine Antwort hat. Zwar werden auch neue Urlaubsziele hinzukommen, aber die werden die wachsende Zahl von Touristen nicht auffangen."

Statt einer Fernreise mal einen Wanderurlaub im eigenen Land? Warum nicht! Bild: DW/Chase Winter

Trotz der alarmierenden Pognose wehrt sich Humangeograph Freytag dagegen, Tourismus nur negativ zu sehen. Denn die Branche sei weiterhin wichtig etwa für die Entwicklung bestimmter Regionen und den kulturellen Austausch.

Jeder Urlauber habe es zudem selbst in der Hand, im Rahmen seiner Möglichkeiten nachhaltiger zu reisen, Stichwort "Sanfter Tourismus" oder "Ökotourismus". Wie wäre es also mit einem Wanderurlaub im Harz, und zwar in der Nebensaison?

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