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Die Schockwellen des NSU-Terrors

Marcel Fürstenau28. Dezember 2012

Seit der "Nationalsozialistische Untergrund" aufgeflogen ist, ist eine Debatte über Fremdenhass entbrannt. Sie wird auch weitergehen, falls die NPD verboten wird. Ein Zwischenbericht.

Ein Jahr nach dem Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" demonstrieren in Berlin zahlreiche Menschen mit Plakaten und Transparenten gegen Fremdenhass Foto: Kay Nietfeld (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Anfang Dezember 2012 ist es soweit: Die Innenminister von Bund und Ländern empfehlen nach monatelanger Prüfung, beim Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) zu beantragen. Seit dem Frühjahr sammeln Verfassungsschützer offen zugängliches Material, mit dem die Verfassungsfeindlichkeit der NPD nachgewiesen werden soll. Rund 1000 Seiten sind schon zusammengekommen. Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier, glaubt fest an einen Erfolg. Ziel der NPD sei es, die Demokratie abzuschaffen, meint der Christdemokrat aus dem Nordosten Deutschlands. Dort wie in Sachsen sitzen die Rechtsextremen mit mehreren Abgeordneten im Landesparlament.

So siegesgewiss wie Caffier sind längst nicht alle. Quer durch die Parteien gibt es skeptische Stimmen, darunter die der Bundeskanzlerin. Angela Merkel, Parteifreundin Caffiers, will sich wie der Bundestag erst im Laufe des nächsten Jahres entscheiden, ob sich die von ihr geführte Regierung einem Verbotsantrag anschließen wird. "Es gibt eine sehr eindrucksvolle Faktensammlung, es gibt aber auf der anderen Seite auch einige rechtliche Risiken", begründet Merkel ihr Zögern. Damit liegt sie ganz auf der Linie ihres Kabinettskollegen Hans-Peter Friedrich (CSU). Der Bundesinnenminister befürchtet, ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht könnte die NPD unnötig aufwerten.

Personelle Verflechtungen mit der Neonazi-Szene?

Gleichzeitig ist Friedrich von der Qualität des Beweismaterials überzeugt. Man könne der NPD ein "aggressiv-kämpferisches" Vorgehen gegen die demokratische Verfassung des Landes nachweisen. "Das ergibt sich insbesondere daraus, dass es auch personelle Verflechtungen mit der Neonazi-Szene gibt und keine eindeutige Distanzierung von Gewalt." Die NPD könne auch nicht behaupten, bei dem Material handele es ich um extremistische Einzelstimmen, die mit der Partei nichts zu tun hätten. Dass sich Friedrich dennoch Sorgen macht, hat vor allem mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu tun. Der hält ein Parteiverbot für das äußerste Mittel. Deshalb spekuliert die NPD im Falle ihres Verbots in Deutschland auf eine Revision des Urteils auf europäischer Ebene.

NPD-Chef Holger Apfel (r.) und sein Vorgänger Udo Voigt (l.) 2010 auf einer NPD-Demonstration in Dresden.Bild: picture-alliance/dpa

Glaubt man NPD-Chef Holger Apfel, wäre seine Partei sogar froh über ein Verbotsverfahren. Man habe "die Schnauze voll, dass unsere Partei ständig stigmatisiert, dass unsere Mitglieder kriminalisiert werden", tönte Apfel im Fernsehsender "Phoenix". Die NPD sei verfassungskonform und nicht "per se ausländerfeindlich". Apfel sagte aber auch, "dass Deutschland wieder das Land der Deutschen werden muss". Kriminelle Ausländer sollten ausgewiesen werden, das Gleiche gelte nach einer bestimmten Frist für arbeitslose Ausländer.

NPD-Propaganda mit Steuergeld

Es ist diese in Wahlkämpfen, aber auch in Landesparlamenten zu hörende Rhetorik, die Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) ärgert. Es sei "unerträglich, dass die NPD aus Steuergeldern Propagandamaterial finanzieren kann". Schünemann spielt damit auf die Gesetzgebung an, die allen Parteien ab einem bestimmten Wahlergebnis eine staatliche Teilfinanzierung garantiert. Demnach reichen 0,5 Prozent der Stimmen bei Bundestags- oder Europawahlen und ein Prozent bei Landtagswahlen, um in den Genuss von Steuergeldern zu kommen. Und zieht eine Partei ins Parlament ein, fließen weitere Mittel für Abgeordnete und die Fraktionsarbeit. So profitiert auch die NPD von staatlichen Mitteln, in diesem Jahr sind es über eine Million Euro. Sollte die rechtsextreme Partei verboten werden, wäre es damit vorbei, kalkuliert Schünemann.

Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD scheitert 2003, weil das Beweismaterial zu großen Teilen von hochrangigen NPD-Funktionären stammt, die gleichzeitig V-Leute des Verfassungsschutzes sind. Seitdem gilt ein zweiter Anlauf als nicht mehrheitsfähig. Erst das Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) im November 2011 löst einen Meinungsumschwung aus. Der Terrorgruppe werden zehn Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle zur Last gelegt. Die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nehmen sich das Leben, um ihrer Festnahme zu entgehen. Die Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, sprengt die gemeinsame Wohnung in Zwickau in die Luft, um Beweismaterial zu vernichten. Anschließend stellt sie sich der Polizei.

Ermittler finden ein makaberes Video

In den Trümmern entdecken Fahnder ein makaberes Video, in denen sich die Autoren ihrer im Zeitraum 2000 bis 2007 begangenen Morde rühmen. Bei den Opfern handelt es sich um neun Männer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Die menschenverachtende Dokumentation ist der Schlüssel zur Aufklärung einer Mordserie, an der die Polizei schon lange verzweifelt ist. Denn schlagartig stellt sich heraus, dass die Taten mutmaßlich auf das Konto rechtsterroristischer Fanatiker geht. Das Tatmotiv ist Fremdenhass, verbrecherischer Rassismus.Die Ermittler stellen entsetzt fest, jahrelang einer falschen Fährte gefolgt zu sein. Sie glaubten an Morde im Mafia-Milieu. Eine Vermutung, die sich auch in der Medienberichterstattung widerspiegelte. Von "Döner-Morden" war all die Jahre bedenken- und geschmacklos die Rede. In welcher Richtung hauptsächlich ermittelt wurde, belegt auch der Name einer inzwischen aufgelösten Sonderkommission: "Bosporus"

Die Witwe (M.) des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik trauert am Gedenkstein für ihren Mann.Bild: picture-alliance/dpa

Präsident des Verfassungsschutzes tritt zurück

Elf Jahre nach dem ersten NSU-Mord erfährt die entsetzte Öffentlichkeit, dass ein Neonazi-Trio hinter der unheimlichen Serie steckt. Der Schock ist umso größer, weil die Taten zumindest teilweise vielleicht zu verhindern gewesen wären. Denn dem Verfassungsschutz sind die mutmaßlichen Täter seit den 1990er Jahren bekannt. Trotz intensiver Beobachtung verliert sich irgendwann ihre Spur. Mit dem Versagen der Sicherheitsdienste befassen sich seit Anfang des Jahres Untersuchungsausschüsse des Bundes und der Länder. Der langjährige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, legt im Sommer sein Amt nieder. Auslöser ist die angeblich ohne sein Wissen erfolgte Vernichtung wichtiger Akten in seiner Behörde.

Die Bundeskanzlerin verspricht den Hinterbliebenen der Opfer schonungslose Aufklärung. Sie empfinde Scham und Trauer, sagt Angela Merkel unter dem Eindruck der unfassbaren Mordserie. Auf der zentralen Gedenkfeier am 23. Februar in Berlin nennt sie es "beklemmend", dass die Täter jahrelang auch und vor allem im Umfeld der Opfer-Familien gesucht wurden. "Dafür bitte ich Sie um Verzeihung", sagt Merkel zu den Angehörigen. Im Auftrag der Bundesregierung kümmert sich die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John um die Angehörigen. Neben seelischem Beistand geht es auch um materielle Ansprüche, beispielsweise Opferrenten.Anfang November beklagt John gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, zunehmenden Rassismus in Deutschland. Beide bezweifeln, dass aus dem Bekanntwerden des NSU-Terrors die richtigen Konsequenzen gezogen werden. John kritisiert das "Eigenleben" der Behörden - nötig sei vor allem ein Mentalitätswandel. Kolat verlangt die Auflösung des Verfassungsschutzes in seiner bestehenden Form. "Er gefährdet den demokratischen Rechtsstaat", meint der Gemeinde-Funktionär. Anfang Dezember kündigen die Innenminister eine Reform an, unter anderem soll eine zentrale V-Leute-Datei eingerichtet werden.

Gedenkfeier in Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (M.) zwischen Angehörigen der Opfer sowie Bundestagspräsident Norbert Lammert (l.) und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Vosskuhle (r.).Bild: dapd

Der tiefe Wunsch nach vollständiger Aufklärung

Strafrechtlich steht die Aufarbeitung der Mordserie noch am Anfang. Die einzige noch lebende Hauptverdächtige, Beate Zschäpe, sitzt seit 13 Monaten in Haft. Die Bundesanwaltschaft hat inzwischen Anklage gegen sie und mutmaßliche Helfer erhoben, darunter ist der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Zschäpe ist unter anderem wegen Mordes angeklagt. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens wird die Auf- und Verarbeitung des NSU-Terrors das Land noch lange beschäftigen. Und der Kampf gegen Rechtsextremismus wird auch im Falle eines Parteiverbots weitergehen. "Das ist eine gemeinsame Aufgabe für unsere gesamte Gesellschaft", betont Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Angehörigen der Opfer müssen mit der Gewissheit leben, dass ihre Väter, Söhne und Geschwister mitten in Deutschland aus Fremdenhass umgebracht wurden. "Unser tiefer Wunsch nach vollständiger Aufklärung wird erst durch einen Richterspruch Geltung erlangen", sagt Kerim Simsek dem "Tagesspiegel". Sein Vater Enver, Blumenhändler in Nürnberg, ist am 9. September 2000 das erste NSU-Opfer

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