Manche Kinder freuen sich darauf, andere haben eher Scheu. Doch er kommt unvermeidlich: Der erste Schultag. Der Schulanfang in Deutschland wird mit vielen Ritualen gefeiert. Ganz wichtig dabei: die Schultüte.
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Was zum Schulanfang in Deutschland wichtig ist
Manche Kinder können ihn kaum erwarten, andere sehen das Ereignis skeptisch: Ihren ersten Schultag. Zum Schulanfang in Deutschland gibt es zahlreiche Traditionen, von denen manche über hundert Jahre alt sind.
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Ein Hörnchen voller Geschenke
Sie hat seit langem Tradition und ist für die Kinder in Deutschland stets ein wichtiger Teil des ersten Schultags: die Schultüte. Sie ist ein Symbol des Übergangs - in der Regel gefüllt mit Leckereien, Spielzeug und Dingen, die man für die Schule gebrauchen kann. Erste Belege für die "Zuckertüte", wie sie auch genannt wird, stammen aus dem späten 18. Jahrhundert.
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Das Leben verändert sich
Die meisten Kinder in Deutschland sind sechs Jahre alt, wenn sie im August oder September in die Schule kommen, je nach Bundesland. Viele haben die Jahre zuvor bereits im Kindergarten verbracht und kennen das Leben in der Gruppe. Die Schule aber bedeutet sowohl für die Kinder als auch für die Eltern einen neuen Lebensabschnitt.
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Der Schulranzen muss sitzen
Vor dem ersten Schultag bekommt jeder Erstklässler einen neuen Schulranzen. Viele haben einen festen Rahmen, damit die Hefte und Bücher nicht zerdrückt werden. Aber auch Schulrucksäcke werden immer beliebter. Wichtig für die Kinder sind Muster und Farbe. Die Auswahl ist riesig: Bei den Jungen ist Superman ein Dauerbrenner, viele Mädchen lieben Pferde- oder andere Tiermotive.
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Die wichtigen Extras
Der neue Schulranzen muss dann mit allen möglichen Utensilien wie Stiften, Mappen und Linealen gefüllt werden. Auch wichtig ist die Brotdose. Obwohl viele Schulen mittlerweile ein Nachmittagsprogramm inklusive Mittagessen anbieten, freuen sich die neuen Schüler über ein leckeres Frühstück zwischendurch.
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Bitte lächeln!
Auch das obligatorische Einschulungsfoto darf natürlich nicht vergessen werden. Die Kinder halten ihre Schultüten - die fast so groß sind wie sie selber - im Arm, bisweilen steht ein Schild daneben mit den Worten "Mein erster Schultag". Manche Kinder präsentieren sich stolz, andere finden das Foto-Shooting eher lästig.
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Segen zum Start
Der erste Schultag beginnt in der Regel mit einer Einschulungsfeier, zu der neben den Kindern auch Eltern, Verwandtschaft und Paten eingeladen werden. Auch ein christlicher Gottesdienst gehört meist dazu, um die frisch gebackenen Erstklässler mit einem Segen auf ihren Bildungsweg zu schicken. Einige Schulen bieten eine interreligiöse Zeremonie für muslimische Schüler an.
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Hilfe von den "großen" Kindern
Bei der Einschulungszeremonie werden die neuen Schüler begrüßt und willkommen geheißen. An vielen Schulen bekommen die Erstklässler auch einen Paten aus der dritten oder vierten Klasse zugewiesen, der oder die ihnen die ersten Tage hilft, sich zurechtzufinden und Tipps gibt.
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Das Klassenzimmer kennenlernen
Auch eine Schulführung gehört zum Einschulungsfest dazu. Den Erstklässlern werden ihre neuen Klassenzimmer gezeigt. Häufig gibt es mehrere erste Klassen an der Schule, die in A, B, C etc. aufgeteilt werden. Am nächsten Tag sollen die Neuen dann im Idealfall ganz allein ihren Weg ins Klassenzimmer finden - oder eben mit Hilfe ihres Paten aus den älteren Klassen.
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Das Familientreffen
Nach der offiziellen Zeremonie feiern die meisten Familien dann auch noch Zuhause. Großeltern, Verwandte, Paten und Freunde werden eingeladen, oft gibt es Kaffee und Kuchen und viele Küsschen für das neu eingeschulte Kind. Und ganz wichtig: Die Schultüte wird ausgepackt!
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Der zweite Schultag
Am nächsten Tag ist es dann soweit: Der ganz normale Unterricht beginnt - für die nächsten 12 oder 13 Jahre. Jetzt heißt es lesen, rechnen und schreiben lernen.
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Die Einschulung ist ein Wendepunkt im Leben eines Kindes und einer Familie - und er wird in Deutschland besonders ausgiebig gefeiert. Volkskunde-Expertin Christiane Cantauw erklärt im DW-Gespräch was in den verschiedenen Epochen in die Schultüte reinkam, wie viel Geld Eltern für den Spaß ausgeben, und wie der Brauch an ausländische Mitbürger weitergegeben wird.
DW: In Deutschland bekommt jedes Kind zur Einschulung eine Schultüte. Woher kommt dieser Brauch?
Cantauw: Es geht darum, dass man den Übergang von einem Status in einen anderen Status deutlich machen will. Dieser Übergang ist mit vielen Veränderungen für das Kind und für die Familie verbunden und das will man durch ein Ritual hervorheben.
Seit wann gibt es dieses Ritual?
Älteste Quellenbelege gibt es für das ausgehende 18. Jahrhundert. Damals können wir nicht von irgendwelchen vorgefertigten Schultüten sprechen, sondern das waren meistens Spitztüten wie sie im Handel auch verwendet wurden, um Süßwaren zu verpacken.
Erste Belege stammen aus Mitteldeutschland - Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, vielleicht noch Rheinland-Pfalz. Das sind die hauptsächlichen Verbreitungsgebiete - wie eine Bauchbinde quer durch Deutschland. Das sind auch genau die Gebiete, wo ein sehr ausgeprägtes Brauchtum um diese Schultüte herum entstanden ist.
Die Schultüte selber ist allerdings kein Brauch, sondern ein Brauchelement und auf der anderen Seite auch Verpackung. Sie wird manchmal auch Berufsschülern oder Fachschülern geschenkt. Daran sieht man, dass es ein Zeichen für ein Neubeginn ist.
Was befand sich in den Schultüten früher?
Darin befand sich eigentlich das, was heute zum Teil auch noch drin ist. Damals nannte man es "Zuckerzeug" - also Süßigkeiten. Heute hat man Süßigkeiten, etwas zum Spielen im weitesten Sinne und Schulsachen.
Wurde dieser Brauch in den letzten Jahrhunderten durchgehend umgesetzt - auch während der Weltkriege?
In diesem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet hat man sich schon bemüht, das weiterhin zu machen, weil man dem auch sehr viel Bedeutung beimaß. Natürlich haben wir rund um die Weltkriege herum das Problem, dass überhaupt nicht genügend Dinge vorhanden waren, die man in die Tüten hätte reintun können - gerade bei der ärmeren Bevölkerung. Da half man sich dann anders: Die Schultüte ist ja eigentlich Verpackung. Das heißt, man kann gar nicht reingucken und sie wird auch erst zu Hause aufgemacht. Das heißt, wenn ich wirtschaftlich nicht in der Lage bin, die Schultüte voll zu machen, kann ich die auch einfach ausstopfen. Da wurden dann zum Beispiel Kartoffeln und Papier reingetan. Ich habe in einem Fall gelesen, dass ein Holzschuh unten reinkam. Daran sieht man, dass dieses Insigne des Schulanfängers so wichtig war, dass man nicht darauf verzichten wollte.
Deutschland geht es zurzeit relativ gut. Wie hat sich der Brauch in den letzten Jahren geändert?
Wie bei vielen Dingen hypertrophiert es. Es wird unglaublich viel Geld dafür ausgegeben. Für die Tüte selber werden 3 bis 40 Euro ausgegeben. Ich habe eine kleine nicht-repräsentative Umfrage in Münster gemacht, was nicht das Hauptverbreitungsgebiet ist. Dort war es so, dass Dreiviertel der Befragten angegeben haben, die Tüte selber gebastelt zu haben und ein Viertel kauften eine.
Dann kommt ja noch der Inhalt dazu. Da wurde angegeben, der Inhalt würde zwischen 5 - das war aber der Ausreißer - und 100 Euro kosten. Das ist eine ganze Menge, aber nur die Spitze des Eisbergs.
In dem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet ist es so, dass zum ersten Schultag nicht nur eine Tüte verschenkt wird, sondern mehrere. Zweitens werden Kuchen mit dem Namen des Kindes vom Bäcker bestellt. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel ist das ganz üblich. Es wird - und wurde auch im 19. Jahrhundert schon - Tage vorher gebacken und gemacht und getan, um die Verwandten und Nachbarn zu verpflegen. Und es wurden auch für die Nachbarskinder kleine Geschenke verpackt.
Es gibt zurzeit viele neue Flüchtlingskinder, die an deutsche Schulen kommen. Wenn die Eltern mit dem Brauch nicht vertraut sind, stechen die Kinder heraus. Wie wird damit umgegangen?
In Leipzig ist es mir begegnet, dass Geld gesammelt wurde, um allen Kindern eine Tüte zukommen lassen zu können. Da wird schon eine ganze Menge getan, damit alle Kinder eine Tüte auf dem Arm halten können. In Leipzig ist das die "Aktion Zuckertüte" von der Leipziger Kinderstiftung. Das ist für alle Bürger in Leipzig, nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die, die es sich nicht leisten können.
Auf der anderen Seite ist es interessanterweise so, dass Menschen, die schon längere Zeit in Deutschland leben, das inzwischen kennengelernt haben. Auch Eltern, die selber keine Schultüte bekommen haben, schenken ihren Kindern eine.
Wenn Sie diese Woche eine Schultüte für Ihr eigenes Kind packen müssten, was würde reinkommen?
An Schulsachen, was zum Spielen und Süßigkeiten geht kein Weg vorbei. Ich würde darauf achten, nicht zu viel von allem reinzutun. Wichtig ist eher der Überraschungseffekt - und dass man so etwas einfach auch hat.
Christiane Cantauw ist Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission in Münster. Das Interview führte Kate Müser 2016.
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10 deutsche Kinderbuch-Klassiker
Spannend, nachdenklich, lustig oder mit erhobenem Zeigefinger: Wir haben eine Auswahl der schönsten deutschen Kinderbuch-Klassiker zum Vorlesen und Schmökern zusammengestellt.
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Die kleine Hexe
"Es war einmal eine kleine Hexe…" Die Protagonistin bei Otfried Preußler ist 127 Jahre alt - und möchte gute Taten vollbringen. Der beliebte deutsche Kinderbuchautor (1923-2013) verzaubert seit Jahrzehnten Kinderherzen, 2018 kam der Bestseller von 1957 in die Kinos - mit Karoline Herfurth in der Titelrolle.
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Geliebte Fantasiewesen
Millionenfach verkauft und preisgekrönt: Die Bücher von Michael Ende sind in Dutzende von Sprachen übersetzt worden, und stehen wohl in jedem deutschen Kinderbuch-Regal. In "Die unendliche Geschichte" erlebt der Junge Bastian Abenteuer im Land Phantásien. "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" erleben hingegen Spannendes mit ihrer Lokomotive, Scheinriesen und vielen anderen Wesen.
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Auf nach Panama
Ein Bär und ein Tiger leben glücklich und zufrieden zusammen in einem Haus, bis sie eines Tages eine Kiste finden, auf der "Panama" steht. Sie riecht nach Bananen. Die beiden machen sich auf, dieses Land zu finden, das Land ihrer Träume. Ist das eine Story? Nicht wirklich. Aber Kinder lieben diese Logik. Und das macht den Charme der Bücher des Autors Janosch aus.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch
Wundersames Urmel
In Max Kruses Büchern wimmelt es nur so von merkwürdigen Wesen: Die Sau Wutz, der See-Elefant Seele-Fant, Wawa, der Waran, Ping Pinguin und Professor Habakuk Tibatong finden ein riesiges Ei - und aus dem schlüpft: das Urmel. Auch das Puppenspiel ist ein Riesenvergnügen für Kinder. Die Wesen haben fast alle einen Sprachfehler - das Urmel zum Beispiel lispelt kräftig.
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Migrantenschicksal 1933
Judith Kerr erzählt in ihrem Buch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" über die Flucht eines jüdischen Mädchens von den Nazis. Die neunjährige Anna und ihre Familie müssen sich ein neues Leben in Großbritannien aufbauen. Das einfühlsame Buch der britischen Schriftstellerin, die 1923 in Berlin geboren wurde, erhielt 1974 den deutschen Jugendliteraturpreis.
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Das Gute im Menschen
"Emil und die Detektive", "Das doppelte Lottchen" und "Das fliegende Klassenzimmer"- keine Liste der deutschen Kinderbuch-Klassiker wäre komplett ohne Erich Kästner. Seine humorvollen, scharfsinnigen Bücher wurden in über 100 Sprachen übersetzt und teilweise verfilmt. Auch der Spruch "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" stammt von Erich Kästner.
Die Lausbubengeschichte "Max und Moritz" ist ebenfalls ein Klassiker im Kinderbuch-Regal. 1865 wurde er erstveröffentlicht. Der Schöpfer der frechen Buben, der humoristische Dichter und Zeichner Wilhelm Busch, ist eine Art Urvater der heutigen Comics. Etliche Zeilen aus seinen vielen Werken sind zu geflügelten Worten geworden - zum Beispiel "Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei / Mit der Übeltäterei!"
Bild: Karikaturmuseum Wilhelm Busch
Wenn Kinder nicht artig sind
Der "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann ist noch älter, nämlich von 1845. Das Buch wurde in viele Sprachen und Mundarten übersetzt. Es gibt sogar ein antiautoritäres Gegenstück, den "Anti-Struwwelpeter". Die Lehre aller zehn Geschichten: Wenn Kinder nicht brav sind, sind die Konsequenzen mitunter grausam. Auch hier wurden Verse zum geflügelten Wort: "Nein, meine Suppe ess' ich nicht".
Bild: gemeinfrei
Meggie mit der magischen Gabe
"Tintenherz", der mehrfach ausgezeichnete erste Band von Cornelia Funkes Tintenwelt-Trilogie, erschien während der "Harry Potter"-Manie - und wurde ein Hit. Das Buch um die Abenteuer der zwölfjährigen Meggie, die mit der Gabe gesegnet ist, beim Vorlesen fiktive Figuren und Gegenstände aus einer Geschichte heraus- oder Reales hineinzulesen, wurde auch erfolgreich verfilmt.
Freundliches Wesen mit Wunschpunkten im Gesicht
Rote Haare, Rüsselnase, praller Bauch und Punkte im Gesicht: Das ist das freche kleine Sams, die Hauptfigur einer beliebten Kinderbuchreihe von Paul Maar. Wegen der vielen Wortspiele sind die "Sams"-Bände schwer in andere Sprachen zu übersetzen, aber etliche Teile wurden verfilmt. Das Sams lebt bei Herrn Taschenbier, isst so ziemlich alles - und versteht Kinder gut.