Hanna Schygulla hat den deutschen Nachkriegsfilm geprägt wie nur wenige Schauspielerinnen vor ihr. Am 25. Dezember wird "die Schygulla" 75 Jahre alt. Ein Rückblick auf ein Leben zwischen Ruhm und Kritik.
Anzeige
Fassbinder-Muse: Schauspielerin Hanna Schygulla wird 75
Regisseur Rainer Werner Fassbinder mischte in den 1970er Jahren das deutsche Nachkriegskino auf - und Hanna Schygulla war sein Star. Die Zusammenarbeit mit ihm war der Anfang einer großen Karriere.
Bild: picture alliance / dpa
"Die Schygulla"
Bei nur sehr wenigen Frauen ist der Nachname zur Marke geworden: Marlene Dietrich etwa wurde nur "die Dietrich" genannt. Auch "die Schygulla" hatte eine sehr eigene Art, ihre Rollen zu verkörpern. Als "träumerisch und doch pointiert" wurde ihr Spiel bisweilen beschrieben. Obwohl sie über vierzig Jahre in Paris lebte, huldigen ihr auch heutige deutsche Regisseure wie Fatih Akin.
Bild: KulturInitiative
Erster Film mit Fassbinder: Katzelmacher (1969)
Für Regisseur Rainer Werner Fassbinder war die junge Hanna Schygulla inspirierende Muse und herausforderndes Schauspieltalent zugleich. Sie war sein Mittelpunkt: Hanna Schygulla spielte - in nur zwölf Jahren - in 23 Filmen von Rainer Werner Fassbinder mit und wurde zum europäischen Filmstar.
Bild: AP
Fontane Effi Briest (1974)
Ihre Figuren lesen sich wie eine Reise durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts: Ob als Kindfrau Effi Briest in Fassbinders Fontane-Verfilmung von 1974, die an den gesellschaftlichen Normen im wilhelminischen Kaiserreich zerbricht, oder später als Sängerin Willie in Fassbinders "Lili Marleen", die als Star in Nazideutschland eine Affäre mit einem jüdischen Komponisten hat.
Bild: picture-alliance/United Archives
Herausfordernde Zusammenarbeit
Fassbinder liebte, verehrte und knechtete Hanna. In seiner oft impulsiven Unbeherrschtheit verlangte er am Set manchmal Unmögliches von ihr - nur um zu zeigen, dass er das Sagen hatte. "Eine leicht entzündliche Gewalt lag immer in der Luft. Er wollte immer wissen, wie weit er gehen konnte. Er hat mit dem Feuer gespielt", sagte Hanna Schygulla später.
Bild: picture alliance/dpa
Die Ehe der Maria Braun (1978)
Der Film markierte Fassbinders und Schygullas weltweiten Duchbruch. Für ihre Darstellung der Überlebenskünstlerin Maria Braun, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Bardame und Mätresse eines Industriellen durchs Leben schlägt, bekam Schygulla zahlreiche internationale Preise und ein "Filmband in Gold" der Deutschen Filmakademie.
Bild: picture alliance/dpa
Lili Marleen (1980)
In den 1970er und 1980er Jahren galt Hanna Schygulla als "Underground-Diva", die ihre Rollen mit einer Mischung aus naiver Unbekümmertheit und traumwandlerischer Sicherheit spielte. "Lili Marleen" wird der letzte gemeinsame Film vor dem frühen Tode Fassbinders 1982. Später arbeitete Schygulla mit internationalen Regie-Größen wie Jean-Luc Godard, Carlos Saura oder Ettore Scola zusammen.
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN
Die Geschichte der Piera (1983)
Marco Ferrinis "Die Geschichte der Piera" zeigt sie auf dem Zenit ihrer Schauspielkunst: Für die Rolle einer abenteuerlustigen Mutter, die sich in zahllose Affären stürzt und damit die Familie sprengt, wird sie 1983 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
Bild: picture-alliance/dpa/Fotoreport Ascot
Unter Frauen
Aber auch in Deutschland blieb sie weiterhin tätig. Unter anderem arbeitete sie mit Margarethe von Trotta, der bis heute erfolgreichsten deutschen Regisseurin. Selbstbewusst werden nun Geschichten konsequent aus weiblicher Perspektive erzählt.
Bild: picture-alliance/dpa
Zusammenarbeit mit deutschen Regisseuren
Danach wurde es erstmal still um die Schauspielerin, sie zog sich aus dem Rampenlicht zurück und kümmerte sich - bis zu deren Tod - um ihre kranken Eltern. Fast zwanzig Jahre später drehte sie 2005 wieder in Deutschland. 2007 bekam sie für ihre Nebenrolle in Fathi Akins "Auf der anderen Seite" viel Kritikerlob.
Bild: picture-alliance/J. Kalaene
Umzug nach Berlin
Seit 2014 wohnt die Schauspielerin in Berlin, im gleichen Jahr erschien ihre Autobiografie "Wache auf und träume". Inzwischen steht sie nur noch selten vor der Filmkamera. Hier liest sie 2014 beim Internationalen Literaturfestival im Berliner Haus der Festspiele Texte der griechischen Autorin Amanta Michalopoulos.
Bild: DW/Panagiotis Kouparanis
Ehre, wem Ehre gebührt
2010 bekam Hanna Schygulla auf der Berlinale den Goldenen Ehrenbären, 2017 den Ehrenpreis "Lebenswerk" des Deutschen Schauspielerpreises verliehen. Auf dem Foto ist sie zu sehen bei der Verleihung des 30. Europäischen Filmpreises im letzten Jahr. Ein Stück quicklebendige deutsche Kinogeschichte, "die Schygulla".
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene
11 Bilder1 | 11
Wie vom Blitz getroffen und glasklar will Rainer Werner Fassbinder gewusst haben, dass "die Schygulla" einmal der Star seiner Filme werden würde. So zumindest ist es nachzulesen in "R.W. Fassbinder: Illustriertes Werkverzeichnis 1969 - 1982", erschienen 2016. Heute gilt Fassbinder als der wichtigste Vertreter des Neuen Deutschen Films der 1970er und 1980er Jahre. Fassbinder macht Hanna Schygulla zum Gesicht seiner Filme und damit zur Ikone des deutschen Nachkriegsfilms.
Fassbinders Muse
1943 in Oberschlesien geboren, flieht Hanna Schygulla mit ihrer Familie nach München. Sie studiert Germanistik und Romanistik und nimmt Schauspielunterricht. In der Schauspielschule trifft sie 1963 den Autodidakten Fassbinder. Sie wird Teil seines von der "Nouvelle Vague" beeinflussten "Anti-Theaters" und des sogenannten "Clans" um ihn. Ihre erste Rolle als sinnliche Gangsterbraut in Fassbinders erstem abendfüllenden Spielfilm "Liebe ist kälter als der Tod" (1969) ist der Start ihrer Karriere. Bis zu Fassbinders frühem Tod mit 37 Jahren spielt sie in nur zwölf Jahren in 23 seiner Filme mit. Schygulla ist Fassbinders Muse, Antrieb und Inspiration für sein kreatives Schaffen. Für ihn ist sie mal die naive, zerbrechliche, mal die laszive, mysteriöse Frau, mal eine Mutterfigur.
Charakterdarstellerin von Frauenrollen
Schygulla wird, ähnlich wie ihre Schauspielkollegin Barbara Sukowa, Charakterdarstellerin bedeutender Frauenrollen der Nachkriegsfilmgeschichte. Sie brilliert in ihrer Rolle der "Effie Briest" (1974) und wird als "Lili Marleen" (1980) zur "Underground-Diva" der 1980er Jahre. Der internationale Durchbruch gelingt ihr schließlich mit ihrer Darbietung in "Die Ehe der Maria Braun" (1978), für die sie bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin ausgezeichnet wird. Fortan dreht sie mit internationalen Regisseuren wie Andrzej Wajda "Eine Liebe in Deutschland" (1983) und Marco Ferreri in "Die Geschichte der Piera" (1983). Auch hier erhält sie den Darstellerpreis.
In den Jahren 1981 bis 2014 verlegt Schygulla ihren Hauptwohnsitz nach Paris. Es wird etwas stiller um die Charakterdarstellerin. Sie kümmert sich vornehmlich um die Pflege ihrer kranken Eltern. 2005 dreht sie nach 20 Jahren erstmals wieder in Deutschland. Ihre Darbietung in Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" (2007) wird von Kritikern gut aufgenommen. 2010 wird sie auf der Berlinale mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. 2014 verlegt sie ihren Hauptwohnsitz zurück nach Deutschland. Seitdem ist sie Berlinerin.
Kritik um Äußerungen bei #MeToo-Debatte
Unter Kritik geriet die mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnete Schauspielerin und Chansonsängerin mit Aussagen, die sie im Zuge der #MeToo-Debatte machte. Ähnlich wie ihre im selben Jahr wie sie geborene französische Kollegin Catherine Deneuve stellte auch sie die #MeToo-Debatte öffentlich in Frage. Fassbinder habe sie bei der Zusammenarbeit geschlagen und sie habe es hingenommen, sie habe sich vor ihm gefürchtet, erklärte Schygulla. Dass ausgerechnet die Darstellerin bedeutender Frauenrollen, die selbst Opfer von Machtmissbrauch wurde, sich nicht auf die Seite der Betroffenen schlägt, stößt bei vielen auf Unverständnis und Kritik.
Gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit" hingegen erklärte Schygulla, es sei wichtig, dass diese Debatte um sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch in der Filmbranche geführt werde. Schygulla, die Mitunterzeichnerin der Initiative "For A Thousand Lives. Be Human", einem Appel gegen Populismus und Schweigen (2015), ist, blickt zurück auf ein imposantes Lebenswerk, das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde.