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"Die Situation wird brenzlig für uns"

Das Gespräch führte Steffen Leidel 31. Mai 2006

Die Bundeswehr übernimmt das Kommando über die Internationale Schutztruppe ISAF in Nordafghanistan. Bislang galt die Region als ruhig. Jetzt nicht mehr, sagt Kurt Rudolf von der Deutschen Welthungerhilfe in Shebergan.

Blick ins Auto der getöteten HelferBild: AP

DW-WORLD.DE: In der Nähe des Einsatzgebietes der Bundeswehr im Norden Afghanistans sind am Dienstag vier einheimische Mitarbeiter der Hilfsorganisation ActionAid erschossen worden. Sie halten sich auch in der Gegend auf. Was wissen Sie über den Überfall?

Kurt Rudolf: ActionAid ist eine Organisation, die im NSP (National Solidarity Program) arbeitet. Es wurden der Fahrer erschossen und drei Frauen, die vom Feld zurück zu ihrem Büro in Shebergan (ca. 120 Kilometer westlich von Mazar-i-Sharif, d. Redaktion) fuhren. Der Anschlag soll von zwei Motorrädern verübt worden sein. Das Fahrzeug wurde erst von vorne und dann von der Seite beschossen. Die Insassen wurden regelrecht hingerichtet. Das Auto wurde nicht geöffnet, es wurde nichts gestohlen. Als die Sicherheitskräfte dorthin kamen, lief noch der Motor.

Stecken Taliban-Kämpfer hinter dem Anschlag?

Es gibt einige Hinweise, dass die Taliban direkt involviert sind. Am Montag gab es eine erste Meldung von BBC, dass man mit einer erhöhten Terrorgefahr im Norden zu rechnen hat - zwei Tage später kam es dann definitiv zum Anschlag. Gleichzeitig erzählen die Leute auf dem Land, dass von den Taliban Geld verteilt wird, dass Attentate ausgeführt beziehungsweise vorbereitet werden.

Der Norden Afghanistans galt bislang als sicher.

Das kann ich nur bestätigen. Ich arbeite seit mehr als zwei Jahren hier und bis jetzt war es absolut ruhig, es gab zwar einige Scharmützel zwischen einigen Commandern, aber es gab nicht diese Art dieser momentan bestehenden Bedrohung.

Hat sich die Sicherheitslage verschlechtert?

Ja, definitiv. Inwieweit das nun in Zusammenhang zu bringen ist mit den verstärkten Angriffen im Südosten durch US-Truppen gegen die Taliban, mit den Aufständen in Kabul und mit dem Umzug der Bundeswehr, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen. Aber es ist schon frappierend, dass in diesem Moment hier im Norden die Gewalt zunimmt. Der Norden war immer relativ ruhig.

Die Bundeswehr übernimmt am Donnerstag (1.6.2006) das Kommando über die Internationale Schutztruppe ISAF in ganz Nordafghanistan. Wie sieht die Bevölkerung das Engagement der Bundeswehr?

Die ISAF-Präsenz in den Dörfern ist bislang wohlwollend gesehen worden. Die Bundeswehr und andere ISAF-Kräfte fahren allerdings zunehmend mit zivilen, weißen Fahrzeuge durch die Gegend. Das ist ein großes Risiko für uns. Denn es war bislang immer das Kennzeichen der Hilfsorganisationen, dass wir weiße Autos haben.

Also Ihr Risiko wächst?

Ich bin ehrlich gesagt nicht besonders erfreut darüber, dass die Bundeswehr näher gerückt ist. In der letzten Zeit haben wir immer mehr Patrouillenfahrzeuge, die nicht einmal mit Nummerschild gekennzeichnet sind. Wo man nur sehen kann, dass da schwerbewaffnete Soldaten drin sitzen. Man nicht mehr erkennen, woher die kommen, das macht die Sache brenzlig für uns.

Was tun Sie vor Ort?

Wir arbeiten für das NSP (National Solidarity Program), das ist ein Weltbank-Fonds der an das Ministerium für menschliche Entwicklung gegeben worden ist. Wir bilden die Dorfbevölkerung aus für Wahlen, die erstmals unter Einbeziehung von Frauen stattfinden sollen. Jede Familie bekommt einen Fonds von 200 Dollar zugesprochen, den sie selber verwalten. Wir stellen einen Dorfentwicklungsplan auf. Da geht es um wichtige Sachen, die geregelt werden müssen, beispielsweise die Wasserversorgung, den Bau von Schulen und Wegen. Wir helfen den gewählten Dorfentwicklungsräte (Community Development Councils) ihre Projekte eigenständig durchzuführen. Wir arbeiten in 142 Dörfern in fünf Distrikten im Norden, westlich von Mazar.

Wie schwierig ist es, Frauen einzubeziehen?

Die Einbeziehung von Frauen bedeutet eine Aufbrechung der Situation, die vor allem während der Taliban-Zeit galt. Wir haben elf Schulprojekte, die vorletzte haben wir gestern eingeweiht und die letzte ist im Bau, dazu gehören einige Mädchenschulen. Hier gibt es Bedrohungen von Lehrerinnen und Schulleiterinnen. Hier gibt es Widerstand, dass Frauen Bildung zukommt.

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