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Politik

Die Smolensk-Katastrophe bleibt ein Politikum

10. April 2020

Vor 10 Jahren kamen Polens Präsident Lech Kaczyński und 95 weitere Menschen beim Flugzeugabsturz im russischen Smolensk ums Leben. Das nationale Trauma bestimmt bis heute Polens Politik und spaltet die Gesellschaft.

Flugzeugabsturz Smolensk
Russische Soldaten bewachen die Absturzstelle (Archivbild 2010)Bild: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Große Gedenkfeiern bleiben diesmal aus - wegen der zahlreichen Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Nur im kleinen Personenkreis haben der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und Premierminister Mateusz Morawiecki am Warschauer Opferdenkmal Kränze niedergelegt. Ganz anders während der letzten neun Jahre, als im ganzen Land jedes Jahr am 10. April in Kirchen und auf Kundgebungen der 96 Opfer der Flugzeugkatastrophe von 2010 gedacht wurde.

Eine doppelte Tragödie

Am 10. April 2010 waren hochrangige Vertreter Polens, darunter Staatschef Lech Kaczyński, die Führung der Streitkräfte, Politiker, Geistliche und Beamte an Bord des Präsidialflugzeugs auf dem Weg nach Katyn bei Smolensk. Sie wollten der Opfer des sogenannten Katyn-Massakers gedenken. 1940, genau 70 Jahre zuvor, hat der sowjetische Geheimdienst NKWD dort 22.000 Vertreter der polnischen Elite ermordet. Unter ihnen auch den Warschauer Staatsanwalt Boleslaw Skąpski.

Warschau 1938: Boleslaw Skąpski mit seinem einjährigen Sohn AndrzejBild: Privatarchiv von Izabella Sariusz-Skąpska

70 Jahre später, am 10. April 2010, saß sein Sohn Andrzej Sariusz-Skąpski, Chef des Verbands der Opferangehörigen von Katyn, in der Präsidentenmaschine, die beim Anflug auf den maroden russischen Flughafen verunglückte.

Die Tochter von Andrzej, Izabella Sariusz-Skąpska, ist mit Erinnerungen an den ermordeten Großvater aufgewachsen. Der 10. April ist für sie ein besonderer Tag des Gedenkens - an ihren Großvater und an ihren Vater.

Ein politisiertes Nationaltrauma

Vom Vater Andrzej hat sie das große Engagement für die Erinnerungsarbeit an die Katyn-Opfer geerbt. Nach seinem Tod wurde die heute 56-jährige Literaturwissenschaftlerin zur Vorsitzenden des Angehörigenverbands gewählt.

Andrzej und Izabella Sariusz-Skąpska im Jahr 2000 auf dem polnischen Friedhof in KatynBild: Privatarchiv von Izabella Sariusz-Skąpska

Das Flugzeugunglück werde immer stärker politisiert wird, berichtet Sariusz-Skąpska. Sie nennt es einen "Gründungsmythos" für das gegenwärtige Polen. Die Menschen würden in zwei Gruppen aufgeteilt. "Diese Spaltung ist von der Politik gekommen und in unseren Alltag eingedrungen. Es ist wie ein politisches und weltanschauliches Lackmustest: Glaubst du an ein russisches Attentat in Smolensk und bist Kaczyński-Unterstützer oder glaubst du an ein Unglück und bist liberal?", sagt Skąpska.

Die Suche nach der Absturz-Ursache 

Als sich am nebeligen Morgen des 10. April 2010 die Präsidentenmaschine, eine Tupolew 154M, im Anflug auf den Flughafen von Smolensk befand, hatten die russischen Fluglotsen dem polnischen Piloten von einer Landung abgeraten. Dann haben sie aber doch die Genehmigung erteilt. Das moderne Instrumentenlandesystem (engl. ILS), das Piloten bei der Landung unterstützt, hat es in Smolensk nicht gegeben. Die Piloten hatten nur ungenaue Anzeigen zur Flughöhe. Im dichten Nebel streifte die Maschine Baumzipfel, zerschellte am Rand des Flughafens und ging in Flammen auf.

Wrack der bei Smolensk verunglückten polnischen RegierungsmaschineBild: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Die polnische Kommission zur Untersuchung von Flugunfällen wies in ihrem Bericht von 2011 auf die Fehler der beiden polnischen Piloten und der russischen Fluglotsen, aber auch auf den maroden Zustand des russischen Flughafens und das schlechte Wetter als Ursachen für die Katastrophe hin. Doch die regierende nationalkonservative PiS von Jarosław Kaczyński, dem Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten Lech Kaczyński, die seit 2015 in Polen wieder an der Macht ist, stellt diesen Bericht in Frage und bringt die Theorie eines russischen Attentats ins Spiel. Zudem will sie dem liberalen Ex-Premierminister Donald Tusk (2007-2015) die Verantwortung aufladen.

In den letzten Jahren wurde versucht, Explosionen oder Spuren von Sprengstoff in der Absturzmaschine nachzuweisen. 2016 wurde eine Untersuchungskommission mit neuen Analysen beauftragt. Laut Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz soll es bei der Vorbereitung des Berichts von 2011 zu Dokumentfälschungen und Vertuschung von wichtigem Beweismaterial gekommen sein. Dazu will der Ausschuss einen Bericht vorlegen, der den seit Jahren schleppend laufenden Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft neue Impulse geben soll.

Ein persönliches Trauma von Kaczyński

Darauf drängt auch Jaroslaw Kaczyński. Es sei "Zeit für ein Dokument, das für einen Gerichtsprozess einen Wert darstellen würde", sagte er im Gespräch mit dem privaten Hörfunksender RMF FM. Er wisse immer noch nicht, warum es zur Katastrophe gekommen sei. "Nach 10 Jahren denke ich jeden Tag an meinen Bruder und frage mich, warum es passiert ist. Ich kann diese Frage nicht beantworten", sagt der PiS-Chef.

Gründer der nationalkonservativen PiS-Partei: Jarosław Kaczyński Bild: Reuters/K. Pempel

Immer wenn die PiS ein mögliches russisches Attentat ins Spiel bringt oder wenn Kaczyński von einem "großen Regisseur" der Katastrophe spricht, werden in Polen Verschwörungstheorien laut. Wie verschiedene Umfragen aus den vergangenen Jahren zeigen, glaubt fast jeder dritte Pole an ein Attentat, und noch mehr Polen würden diese Theorie zumindest nicht ausschließen.

Einfache Erklärungen gesucht

Im Falle Russlands seien jegliche Verschwörungstheorien besonders leicht zu verbreiten, erzählt Izabella Sariusz-Skąpska: "Wenn jemand behauptet, dass es ein russisches Attentat war, dann glauben viele Menschen sofort daran, weil jeder Pole weißt, wie 'schlimm die Russen sind'. Das haben sie schon in den Schulbüchern gelesen. Die Namen unserer Verstorbenen werden in Vergessenheit geraten, aber die Verschwörungstheorien werden bleiben. Sie leben schon ihr eigenes Leben." Sariusz-Skąpska fügt hinzu: "Bei schwer begreiflichen Ereignissen sucht man vereinfachte Erklärungen".

Die Beziehungen zwischen Polen und Russland sind schon seit Jahrzehnten durch die NKWD-Verbrechen und durch die Zeit des Kommunismus schwer belastet. In den letzten Jahren haben anti-polnische Vorstöße des russischen Präsidenten Wladimir Putin für Empörung in Polen gesorgt, etwa als er im Dezember 2019 vom polnischen Antisemitismus sprach. Und noch etwas bestärkt das Misstrauen gegenüber Russland: Die Wrackteile der bei Smolensk verunglückten Tupolew 154M wurden bis heute nicht an Polen zurückgegeben.

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