Die Sorge vor dem großen Nachbar
28. März 2010Es ist ein Horrorszenario, das Abdulaziz Al-Sager vor Augen hat: ein nukleares Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten. Doch genau das könnte geschehen, so sagt der saudische Politikexperte, Chef des in Dubai angesiedelten Gulf Research Center, bei einem Besuch in Berlin. Wenn der Iran sich nicht dem Druck des Westens beuge und sein Nuklearprogramm fortsetze, dann könnten sich andere Staaten der Region gezwungen sehen, nachzuziehen und ebenfalls Atomprogramme aufzulegen.
"Die Türkei, Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien - das sind alles potenzielle Kandidaten", sagt Al-Sager. Wenn der Iran sich vom Atomwaffensperrvertrag NPT verabschiede, hätten diese Länder sechs Monate Zeit, um zu entscheiden, ob sie sich weiter an die Bestimmungen des Vertrages gebunden fühlten. Es sei zu vermuten, dass sie für sich die gleichen Freiheiten beanspruchen würden wie Teheran.
Hegemoniale Ansprüche
Im Golfkooperationsrat haben sich Saudi-Arabien, Oman, Katar, Kuwait, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate zusammengeschlossen. In diesen Ländern schaut man voller Unruhe auf den Iran. Man befürchtet, dass der große Nachbar auf der anderen Seite der Straße von Hormus seine hegemonialen Ansprüche mithilfe der Atombombe durchsetzen will. "Es geht nicht darum, ob die Iraner die Bombe tatsächlich gegen uns einsetzen werden", sagt Mustafa Alani, Sicherheitsexperte des Gulf Research Center. Es gehe darum, wer in der Region künftig das Sagen habe. Die Golfstaaten würden eine Vormachtstellung und Einschüchterungsversuche des Iran nicht akzeptieren. "Wir wollen das nicht. Wir sind unabhängige, reife Länder und wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, dass der Iran für uns unberührbar wird, weil er eine Nuklearbombe hat."
Vor allem Saudi-Arabien will eine iranische Supermacht an seiner Seite nicht akzeptieren. Aber auch die anderen sunnitischen Staaten fürchten den iranischen Einfluss. Schon jetzt mischten sich die Iraner überall ein, unterstützten schiitische Minderheiten und versuchten, ihren militanten Islamismus zu verbreiten, beklagt Abdulaziz Al-Sager. Für ihn ist daher klar: Wenn er eine Wahl treffen müsse zwischen einem Leben unter der iranischen Bedrohung oder einem Militärschlag gegen die iranischen Nuklearstätten, dann ziehe er die militärische Option vor.
Dafür kämen entweder Israel oder die Vereinigten Staaten in Frage. Israel habe den Vorteil, dass es weit weg sei und kaum mit ernsthaften und bedrohlichen Reaktionen des Iran rechnen müsse. Für die USA sei ein Angriff auf den Iran viel gefährlicher, weil es überall in der Region am Golf amerikanische Einrichtungen und Militärbasen gebe, die zur Zielscheibe von Vergeltungsaktionen werden könnten.
Wirtschaftssanktionen oder Militärschlag?
Al-Sager und sein Kollege Mustafa Alani fürchten, dass die geplanten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran nicht den gewünschten Erfolg haben werden. Darüber hinaus würden sie nur die Zivilbevölkerung treffen und daran könne den Golfstaaten als unmittelbaren Nachbarn des Iran nicht gelegen sein. Ein israelischer oder amerikanischer Angriff auf die iranischen Atomanlagen dagegen würde das Nuklearprogramm Teherans zwar wahrscheinlich nicht gänzlich stoppen, aber wenigstens aufhalten. "Wenn wir in der Region den Punkt erreichen, an dem wir uns entscheiden müssen, unser ganzes Leben unter der iranischen nuklearen Bedrohung zu verbringen oder mit einem Militärschlag zu leben, dann könnte die zweite Option die akzeptablere sein."
Doch ob diese Haltung von der Mehrheit der Golfaraber geteilt wird, ist fraglich. Denn traditionell sind der Iran und die arabischen Staaten am Golf eng miteinander verflochten. Der Handel zwischen Teheran und dem Golfkooperationsrat hat ein Volumen von 18 Milliarden Dollar, die Vereinigten Arabischen Emirate sind der wichtigste Handelspartner Teherans und iranische Geschäftsleute haben in den Emiraten schätzungsweise 300 Milliarden Dollar angelegt. Katar und Oman schließlich sind wesentlich pro-iranischer eingestellt als die übrigen vier Mitgliedsländer des Golfkooperationsrates und stehen auch dem iranischen Atomprogramm weniger skeptisch gegenüber.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Anne Allmeling