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Die SPD, der Wahlkampf und der Krieg in der Ukraine

20. Juli 2024

Der Osten Deutschlands steht vor Landtagswahlen. Fast jeder zweite Bürger kritisiert die Unterstützung der Ukraine. Die SPD muss im Wahlkampf damit umgehen, auch wenn Außenpolitik in den Landtagen keine Rolle spielt.

Dresden Kanzler Scholz | SPD Wahlkampf zu Sachsenwahl
Bundeskanzler Olaf Scholz in Dresden mit sächsischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Neben ihm steht die SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping (in schwarz)Bild: Sabine Kinkartz/DW

"Ich will nicht, dass mein Geld in die Ukraine geht", sagt ein Mann laut und zornig. In Jeans und weißem T-Shirt steht er an einem heißen Sommertag auf dem Schlossplatz in Dresden, der Landeshauptstadt des ostdeutschen Bundeslandes Sachsen. "Ich will, dass mein Geld hierbleibt und in unsere Schulen geht", fügt er hinzu und reckt dabei ein großes Schild in die Höhe, das an einer langen Holzstange befestigt ist.

Das Schild ist sichtbar schwer, der Mann muss es mit beiden Händen vor dem Oberkörper festhalten. "Wer Grüne, SPD, FDP oder CDU/CSU wählt, wählt den Krieg und Faschismus!", steht darauf. Die Worte Krieg und Faschismus sind unterstrichen. 

Demonstrant in Dresden, im Hintergrund die Kundgebung der rechtsextremistischen Partei Freie SachsenBild: Sabine Kinkartz/DW

Es ist Wahlkampfzeit. In drei ostdeutschen Bundesländern wird im September ein neues Landesparlament gewählt, unter anderem in Sachsen. Zum Wahlkampfauftakt hat die sächsische SPD auf dem Dresdner Schlossplatz eine große Bühne aufgebaut. Davor einige Sitzreihen, rundherum Absperrgitter. Sächsische SPD-Kandidaten treten auf und SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz ist aus Berlin angekündigt. 

Olaf Scholz will sich nicht beirren lassen

Das Interesse an den Sitzplätzen bleibt überschaubar, die meisten Zuschauer ziehen es vor, außerhalb der Absperrgitter zu stehen. Ein Sinnbild für den Zustand der SPD in Sachsen. Ihre Ausgangslage für die Wahl ist miserabel. Die Sozialdemokraten haben immer kämpfen müssen, seit in Sachsen im Oktober 1990 die erste Landtagswahl nach der Wiedervereinigung stattfand. Doch aktuell dümpelt die Partei in Wahlumfragen nur noch zwischen fünf und sieben Prozent und muss befürchten, im September an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern und nicht wieder in den Landtag einzuziehen. 

Einige Stühle vor der SPD-Bühne blieben frei, als Kanzler Olaf Scholz in Dresden auftratBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Kanzler Olaf Scholz weiß, wie es sich anfühlt, abgeschlagen im Rückstand zu sein. Seit der Bundestagswahl 2021 ist die SPD auf Bundesebene um mehr als zehn Prozent abgesackt und kommt in Umfragen derzeit nur noch auf halb so viel Zustimmung wie die CDU/CSU, die größte Oppositionsfraktion im Bundestag. Nur nicht beirren lassen, nach dieser Devise macht Scholz in Berlin Politik.

Lautstarker Protest von Rechtsextremen

In Dresden empfängt ihn laustarker Protest. In etwa 100 Metern Entfernung von der Bühne haben sich Anhänger der sächsischen AfD und der Partei Freie Sachsen mit Trommeln und Pfeifen in Stellung gebracht. "Hau ab", rufen sie Scholz zu, und: "Kriegstreiber". Beide Parteien sind vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die AfD liegt in Umfragen gleichauf mit der CDU bei rund 30 Prozent.

Protest-Kundgebung der rechtsextremen Partei Freie Sachsen in Dresden - Regierungsmitglieder stellt die Partei als Kriminelle darBild: Sabine Kinkartz/DW

Der Krieg in der Ukraine ist neben der Migration das Thema, mit dem die Rechtsextremisten in Ostdeutschland punkten können. In Umfragen wie dem ARD-Deutschlandtrend lehnen deutlich mehr Menschen als im Westen die Ukraine-Politik der Bundesregierung ab. Fast jeder Zweite ist gegen die Waffenlieferungen und auch die gegen Russland verhängten Sanktionen werden häufig kritisch gesehen. 

Außenpolitik wird in Berlin gemacht, nicht in Dresden

Dabei haben die Landesregierungen und die Parlamente in den Bundesländern überhaupt keine außenpolitischen Befugnisse. Das ist Sache der Bundesregierung und des Bundestags in Berlin. "Es geht um die Landtagswahl, darum, was wir hier in Sachsen machen wollen", ruft die sächsische SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping auf dem Schlossplatz in Dresden und zählt Themen wie Gesundheit, Pflege, Bildung und Löhne auf. 

Doch schon bei der Europawahl Anfang Juni hat der Krieg in der Ukraine eine große Rolle gespielt. Alle Parteien in Deutschland machten die Erfahrung, dass das Thema an den Wahlkampfständen immer wieder angesprochen wurde. Zudem zeigte sich bei der Europawahl, dass viele Wähler SPD, Grüne und FDP an der Wahlurne dafür abstraften, dass sie mit der Politik der Bundesregierung sehr unzufrieden sind. 

Die Landtagswahl als Abstimmung über die Ampel

Ähnliche Reaktionen sind auch bei den Landtagswahlen zu erwarten - auch wenn der sächsische SPD-Vorsitzende Henning Homann hofft, dass es nicht so kommen wird. "Es tun ja manche so, als wäre die Landtagswahl eine Abstimmung über die Ampel. Aber das ist Quatsch, das hier ist eine Landtagswahl", sagt er fast beschwörend.

Auch die AfD macht Wahlkampf mit dem Krieg in der UkraineBild: Sabine Kinkartz/DW

Doch selbst der Kanzler beginnt seine Rede nicht mit Themen, die in der sächsischen Landespolitik eine Rolle spielen, sondern mit dem Krieg in der Ukraine. Er spricht vom "Bruch der europäischen Friedensordnung", kritisiert die "imperialistischen Träume" des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der in Geschichtsbüchern blättere und schaue, was "irgendein Zar einmal gehabt" habe. "Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden", ruft der Kanzler mit Nachdruck.  

Putin opfere so viele Landsleute. Fast 400.000 Männer hätten ihr Leben bislang dafür gelassen, das Territorium Russlands "um ein paar Quadratmeter" zu erweitern. Er dürfe keinen Erfolg haben. "Und darum werden wir die Ukraine weiter unterstützen."

Keine deutschen Raketen auf Russland

Doch der SPD-Kanzler versucht auch, die Bedenken der Bürger zu zerstreuen, die Angst davor haben, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Die NATO habe klargestellt, dass der Krieg in der Ukraine nicht zu einem Krieg zwischen Russland und dem westlichen Verteidigungsbündnis eskalieren dürfe. 

Gibt sich zupackend: Bundeskanzler Olaf Scholz in DresdenBild: Matthias Wehnert/Future Image/IMAGO

Er wäge daher bei der Hilfe für die Ukraine immer ab und erfülle nicht jede Forderung, so Scholz. "All die Wünsche, dass wir mit unseren eigenen Waffen Raketen und Flugzeuge abschießen, dass wir Soldaten dahin schicken, das ist nicht der richtige Weg."

Ein kämpferischer Kanzler wirbt für Friedensverhandlungen

Man werde und müsse die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland weiter unterstützen. Gleichzeitig müsse man sich aber auch "um Frieden bemühen, indem wir Friedensverhandlungen unterstützen", so Scholz. "Davon hat es schon viele Gespräche gegeben, zuletzt eines in der Schweiz, wo viele Länder zusammengekommen sind. Und ich bin sehr froh, dass der ukrainische Präsident sagt, wir wollen auch, dass beim nächsten Treffen Russland dabei ist. Das ist auch richtig."

"Frieden in Europa nur mit Russland" - ein rechter Demonstrant in Dresden am Rand der SPD-KundgebungBild: Sabine Kinkartz/DW

Etwa 25 Minuten redet Olaf Scholz. Ohne Manuskript, und das tut seinem Auftritt gut. Der Kanzler wirkt kämpferisch und selbstbewusst. Dabei hilft ihm, dass die Bühnenbauer große Lautsprecher gewählt haben, die so ausgerichtet sind, dass die Zuschauer ihn gut verstehen können und das Trommel- und Pfeifkonzert der AfD und der Freien Sachsen übertönt wird.

Am Ende stellen sich die sächsischen SPD-Wahlkämpfer noch zu einem Gruppenbild mit Olaf Scholz auf der Bühne auf und winken zuversichtlich in die Menge. Dann verschwinden sie hinter einem Sichtschutz neben der Bühne.

Der Mann mit dem Schild, der dagegen ist, dass Deutschland die Ukraine unterstützt, redet unterdessen auf einen Passanten ein, der neben ihm steht. "Sollen sie doch um Spenden für die Ukraine werben", sagt er wütend. "Das Geld können sie dann dorthin schicken."