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Politik

Die SPD geht in einen heißen Herbst

3. September 2019

Wohin steuern die Sozialdemokraten? Das wird maßgeblich von der neuen Parteispitze abhängen. Von den 17 Kandidaten für den Chefsessel wollen die meisten aus der Regierung raus. Sabine Kinkartz berichtet.

SPD-Flagge am Willy-Brandt-Haus
Bild: picture-alliance/A. Franke

Sie weht noch, die rote SPD-Fahne über dem Willy-Brandt-Haus in Berlin. In der Parteizentrale hat sich die Anspannung wegen der Landtagswahlen etwas gelöst. Zwar fuhr die SPD in Sachsen mit nur 7,7 Prozent der Stimmen ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl ein. In Brandenburg schafften sie es mit 26,2 Prozentpunkten aber knapp, stärkste politische Kraft zu bleiben.

Damit kann die SPD in sieben von sechzehn Bundesländern weiterhin den Ministerpräsidenten stellen. In weiteren vier Ländern und auf Bundesebene ist sie als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt. Im Bund kriselt es allerdings heftig. CDU, CSU und SPD wollen im Herbst eine Halbzeitbilanz ziehen, also auflisten, wie viele Projekte die Parteien umgesetzt haben und was für die Zukunft noch bleibt. Auf dieser Grundlage will die SPD auf einem Bundesparteitag Anfang Dezember entscheiden, ob sie bis 2021 in der Bundesregierung bleibt, oder vorzeitig aussteigt.

Nachfolgerin für Nahles gesucht

Auf dem Parteitag soll zudem der SPD-Vorsitz neu besetzt werden. Im Juni warf Andrea Nahles nach nur 14 Monaten den Job hin und stürzte die Sozialdemokraten damit noch tiefer in die Krise. So tief, dass die SPD nun ein Experiment startet. Zwei Monate lang konnte sich jedes SPD-Mitglied um den Chefsessel bewerben. Lediglich die formale Unterstützung von mindestens fünf Unterbezirken, einem Bezirk oder einem Landesverband der Partei war dafür nötig. Außerdem sind Team-Bewerbungen aus einem Mann und einer Frau gewünscht.

Die kommissarischen SPD-Chefs Schwesig, Schäfer-Gümbel und Dreyer (v.l.) legten die Spielregeln für die Bewerbungen festBild: Reuters/F. Bensch

Über 20 Meldungen gab es, darunter auch die des Satirikers Jan Böhmermann. Dass seine "Bewerbung" nicht nur in den sozialen Medien möglich erschien, zeigt, wie wenig Gewissheiten es in der SPD noch gibt. Am Ende treten nun acht Teams und ein Bundestagsabgeordneter als Einzelkandidat an.

Fünfeinhalb Wochen Vorstellungsmarathon

Wer von ihnen das Rennen machen wird, sollen zum ersten Mal in der SPD-Geschichte die rund 430.000 Mitglieder entscheiden. Weil das laut Parteistatut juristisch nicht möglich ist, spricht die SPD lediglich von einer Meinungsbekundung. Allerdings sollen sich die Delegierten aus den SPD-Landesverbänden an das Ergebnis halten, wenn sie Anfang Dezember auf dem SPD-Bundesparteitag formal die neue Parteiführung wählen.

Damit sich die Mitglieder eine Meinung über die Kandidaten bilden können, finden 23 Regionalkonferenzen, verteilt auf ganz Deutschland statt. Zweieinhalb Stunden sind für jeden Termin angesetzt. Start ist am 4. September in Saarbrücken, die letzte Konferenz findet am 12. Oktober in München statt. Ab dem 14. Oktober können die Mitglieder online oder per Brief abstimmen. Erhält keiner der Bewerber auf Anhieb die absolute Mehrheit der Stimmen, gibt es eine Stichwahl zwischen dem Erst- und Zweitplatzierten. Spätestens am 19. November soll ein Ergebnis vorliegen.

Zwei Teams wollen weiter regieren

Der prominenteste Name auf der Kandidatenliste lautet Olaf Scholz (61). Der Bundesfinanzminister und Vizekanzler hatte lange gezögert und warf seinen Hut erst in den Ring, als sich immer mehr Gegner der großen Koalition als Bewerber aufstellten. Scholz will die SPD unbedingt bis zu nächsten Bundestagswahl 2021 in der Regierung halten. So denkt auch Klara Geywitz (43), die sich gemeinsam mit Scholz als Führungsduo bewirbt. Zuletzt war sie Landtagsabgeordnete in Brandenburg, hat ihren Sitz im Parlament am Sonntag allerdings verloren. Sie möchte auch dafür sorgen, dass die Interessen der Ostdeutschen besser vertreten werden.

Olaf Scholz (vorne links) und Klara Geywitz am Abend der Landtagswahl in PotsdamBild: Getty Images/AFP/M. Skolimowska

Scholz bringt Erfahrung und viel politisches Gewicht mit. Seit 18 Jahren gehört er dem SPD-Bundesvorstand an. Er war Generalsekretär der Partei unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesarbeitsminister der ersten großen Koalition mit der Union und regierte anschließend erfolgreich als Bürgermeister in Hamburg, bevor er erneut Minister in Berlin wurde. Regieren kann er, aber kann er auch motivieren?

Favoriten sind sie, aber was heißt das schon?

Als Stimme des Ostens versteht sich auch Petra Köpping (61). Die sächsische Integrationsministerin hat ein Buch über die Ostdeutschen geschrieben und ihr Gefühl, abgehängt zu sein. Sie kämpft engagiert gegen Rechtsextremismus und tritt zusammen mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (59) für den SPD-Vorsitz an. Der trägt den Spitznamen "roter Scheriff", weil er eine harte Sicherheitspolitik vertritt, die auf die Angst zahlreicher Menschen vor Kriminalität Rücksicht nimmt. Auch Köpping und Pistorius wollen, dass die SPD in der Bundesregierung bleibt.

Beide Teams gehen laut einer Meinungsumfrage des Forsa-Instituts als Favoriten ins Rennen um den SPD-Parteivorsitz. Was aber nicht heißt, dass sie auch gewinnen werden. Denn ihre positive Haltung zur großen Koalition passt nicht zur Stimmung in der SPD. Der Widerwille gegen das Regierungsbündnis mit CDU und CSU ist massiv. Die Partei ist in diesem Punkt faktisch gespalten. Das spiegelt sich auch im Bewerberfeld um den SPD-Vorsitz wider.

Rückt die SPD nach links?

Kritisch stehen beispielsweise Norbert Walter-Borjans (66) und Saskia Esken (58) der GroKo gegenüber. Der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen wurde vor allem durch seinen Kampf gegen Steuerbetrug durch illegale Geldtransfers in die Schweiz bekannt. Die Informatikerin Esken sitzt seit 2013 im Bundestag und ist Mitglied im Innenausschuss und im Ausschuss Digitale Agenda.

Das Team Gesine Schwan und Ralf Stegner: Auch sie sind keine GroKo-BefürworterBild: Reuters/F. Bensch

Für einen Ausstieg aus der GroKo stehen auch Hilde Mattheis (64) und Dierk Hirschel (49). Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums "Demokratische Linke 21" innerhalb der SPD und der Funktionär bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi würden die SPD auch deutlicher nach links ausrichten. Ähnliches gilt für Karl Lauterbach (56) und Nina Scheer (47). Die Bundestagsabgeordneten treten unter der Überschrift "Sozial. Ökologisch. Klar" an. Insgesamt ist die Mehrheit der acht Teams gegen einen Verbleib im Berliner Regierungsbündnis.

Heißer Herbst erwartet

Das Thema GroKo ist inzwischen so dominant, dass Generalsekretär Lars Klingbeil und Interims-Parteichefin Manuela Schwesig die Kandidaten bereits davor warnen, auf der Vorstellungs-Tour über nichts anderes zu diskutieren. Stattdessen sollten "die großen Zukunftsfragen" im Mittelpunkt stehen und das, "was die Menschen umtreibt", so Klingbeil.

Trotzdem dürfte die Wahl der neuen Spitze zu einer Richtungswahl für den zukünftigen Kurs der Partei werden. Denn eine der ersten Aufgaben der neuen Chefs wird die politische Bewertung der Halbzeitbilanz der GroKo sein. Wie viel sozialdemokratische Politik durchgesetzt wurde, ist für die Gegner des Bündnisses dabei zweitrangig. Entscheidend wird die Tatsache sein, wie sich die Umfragewerte der SPD in dieser Zeit entwickelt haben. Da steht die Bilanz bereits fest. Es ging immer nur abwärts.

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