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Politik

Die SPD regiert (vorerst) weiter

6. Dezember 2019

Die Sozialdemokraten haben neue Vorsitzende. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind zwar gegen die große Koalition mit der Union, den Ausstieg aber haben sie vertagt. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

SPD-Bundesparteitag - Saskia Esken Walter-Borjans
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Um kurz nach 16 Uhr glimmt er kurz noch einmal auf, der Funke der Revolution in der SPD. Auf dem Bundesparteitag der SPD hat eine frühere Vorsitzende der Jungsozialisten, Franziska Drohsel, das Wort. "Wo ist die Erneuerung, wo ist der inhaltliche Aufbruch, wo ist die Vermögenssteuer?", ruft sie den rund 600 Delegierten zu, die gerade darüber diskutieren, was die SPD bislang in der Regierungskoalition auf die Beine gestellt hat.

Es geht um die Halbzeitbilanz der SPD und die Frage, ob es der Partei gut tut, weiterhin mit CDU und CSU zu regieren. Franziska Drohsel ist erkennbar nicht dieser Meinung. "Wir müssen uns endlich trauen, das auszusprechen, was wir wollen, ohne Sachzwänge", sagt sie und fordert ein Nein zur großen Koalition und eine inhaltliche Neuausrichtung der Sozialdemokratie. Das gleiche fordert eine halbe Stunde später auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis: "Wir kommen nicht über 15 Prozent hinaus, wir werden als Anhängsel wahrgenommen, nicht als Antreiber."

Kritiker haben keine Chance

Doch Drohsel und die anderen Gegner der großen Koalition finden auf diesem SPD-Bundesparteitag kein Gehör. Mit großer Mehrheit folgen die Delegierten dem Leitantrag, also der Empfehlung der Parteiführung, die Regierung mit der Union erst einmal weiterführen. Allerdings soll es Gespräche mit der Union darüber geben, welche politischen Themen, abweichend oder ergänzend zum Koalitionsvertrag, in dieser Wahlperiode noch umgesetzt werden sollen.

Bekam ein deutlich besseres Ergebnis als seine Co-Vorsitzende: Norbert Walter-BorjansBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Die Gespräche werden die neuen SPD-Chefs führen. Nach dem Votum der SPD-Mitglieder vor einer Woche sind die 58-jährige Saskia Esken und der 67-jährige Norbert Walter-Borjans in Berlin auch offiziell zu Vorsitzenden gewählt worden. Die Informatikerin und Bundestagsabgeordnete erhielt 75,9 Prozent der Stimmen, der Ökonom und frühere nordrhein-westfälische Finanzminister 89,2 Prozent. Das Ergebnis macht klar: Die Delegierten wollen keine Revolte, sie folgen der Richtung, die die Parteiführung in der vergangenen Woche vorgegeben hat.

Die Revolution wurde abgesagt

Der Ausstieg aus der großen Koalition, den die beiden neuen Vorsitzenden in ihrem Wahlkampf um den Chefposten zwischen den Zeilen noch versprochen hatten, ist erst einmal vertagt. "Ich war und bin skeptisch, was die Zukunft dieser großen Koalition angeht, da habe ich meine Meinung nicht geändert", sagte Saskia Esken in ihrer Rede auf dem Parteitag. Sie verteidigte aber, dass die SPD nun erst einmal mit der Union über politische Inhalte reden will. Die von der SPD geforderten Verhandlungen seien "eine Chance auf die Fortsetzung der großen Koalition, nicht mehr und nicht weniger".

Wie lange hält die GroKo noch?

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In drei Bereichen soll mit CDU und CSU nachverhandelt werden: Klima, Investitionen und Mindestlohn. Der soll nach Möglichkeit auf 12 Euro steigen. "Die SPD kann wieder stark werden, wenn sie zu ihren Haltungen steht: standhaft, sozial, demokratisch", sagte die 58-jährige Bundestagsabgeordnete Esken in ihrer Rede. Auch Norbert Walter-Borjans forderte, die SPD müsse "wieder die Partei der Verteilungsgerechtigkeit" werden. In Deutschland gebe es eine Umverteilung von unten nach oben. "Es ist höchste Zeit, das wirklich mal zu ändern." Die SPD müsse dafür sorgen, dass hohe und höchste Einkommen und Vermögen wieder einen "angemessenen Beitrag" zur Finanzierung des Gemeinwohls leisteten, so der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister.

Der Union die schwarze Null ausreden

Die beiden neuen Vorsitzenden sind gegen ein prinzipielles Festhalten an der schwarzen Null, also der Vorgabe, der Bundeshaushalt müsse ohne neue Schulden auskommen. Die SPD wolle "unseren Kindern ein Land mit sauberer Luft", attraktiven Arbeitsplätzen und vor allem einer "hervorragenden Bildung" hinterlassen, so Walter-Borjans. Der Union sei allein wichtig, dass die kommenden Generationen "eine niedrige Schuldenquote" erben würden. Eine vergiftete Umwelt und eine marode Infrastruktur seien aber viel schlimmere Schulden, betonte der 67-Jährige.

600 Delegierte sind auf dem dreitägigen Parteitag in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Ob sich die Union auf die Forderungen der neuen SPD-Vorsitzenden einlassen wird? Walter-Borjans sagte, die SPD müsse "zu Kompromissen bereit sein, aber sie müssen vertretbar sein und sie dürfen nicht verwischen, wofür wir stehen". Die linke Kritikerin Hilde Mattheis ist skeptisch: "Die Schwarzen werden sich auf unsere Forderungen nicht einlassen."

Juso-Chef wird Stellvertreter

Eine Befürchtung, die nicht weniger Delegierte teilen. Trotzdem geben sie der neuen Führung grünes Licht für ihren Kurs. "Ich vertraue darauf, dass ihr in den Verhandlungen standhaft bleibt", sagt eine junge Delegierte. "Auf dem Parteitag müssen sich nun alle die Hand reichen", fasste ein anderer Delegierter die Stimmung zusammen. So sieht es auch der Chef der Jungsozialisten, Kevin Kühnert. Der erklärte GroKo-Gegner gilt als der Kopf hinter dem Erfolg von Esken und Walter-Borjans. Der 30-jährige wird einer ihrer fünf Stellvertreter. Eigentlich sollten es nur drei werden. Doch dann hätte es eine Kampfabstimmung zwischen den Kandidaten geben müssen und selbst diese Auseinandersetzung wollte man auf dem Parteitag vermeiden.

Demonstrative Einigkeit, das freut die Politprominenz in der SPD. Für sie war es ein Schock, dass die Mitglieder zwei bislang weitgehend unbekannte Politiker aus dem linken Lager auf dem Chefsessel gehoben haben. Fieberhaft hatten die Minister und die Bundestagsfraktion in der Woche zwischen dem Wahlergebnis und dem Parteitag daran gearbeitet, Esken und Walter-Borjans von ihrer harten Ablehnung der großen Koalition abzubringen. Das scheint zunächst funktioniert zu haben. Entsprechend entspannt wirkte die Ministerriege auf dem Parteitag.

Olaf Scholz darf sich freuen: Er kann Bundesfinanzminister bleibenBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Die Minister lächeln wieder

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hielt eine kurze, kämpferische Rede, in der er die Koalition lobte, die "großes" geleistet habe. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schlug in die gleiche Kerbe und endete mit einem flammenden Appell: Es müsse alles rausgeholt werden, was in der großen Koalition möglich sei. Und nach der nächsten Bundestagswahl müsse es dann ohne CDU/CSU weitergehen. "Dann müssen wir die Schwarzen plattmachen."

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