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Die Sportauswanderer

Arne Lichtenberg15. September 2012

In Deutschland ist es für Leistungssportler sehr schwer, ihren Sport und eine passende Ausbildung zu vereinbaren. Bessere Bedingungen finden sie in den USA - dank Sportstipendien.

Philipp Liedgens (Mitte) berät bei der "EINSTIEG Abi" in Berlin am Stand "Sport-Scholarships.com" zwei junge Frauen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Michael Schwinn wollte es versuchen. Nach dem Abitur setzte er voll auf den Fußball. Und seine Voraussetzungen waren nicht schlecht: Schon zu Beginn der Oberstufe war Schwinn in die Nachwuchsabteilung des 1. FC Köln gewechselt, lebte bei einer Gastfamilie und absolvierte nebenher seine Hochschulreife auf einem Gymnasium. Mit 19 Jahren bekam der Torwart einen Einjahresvertrag in der zweiten Mannschaft der Geißböcke. Doch schon zu Beginn der Saison merkte Michael, dass ihm etwas fehlte: "Nur Fußball, das war nichts für mich. Ich habe dann versucht, ein Fernstudium an der Fern-Uni Hagen aufzunehmen. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es nicht so einfach ist, mich abends aufzuraffen und noch etwas für das Studium zu tun, wenn ich am Tag schon zweimal trainiert hatte."

Über einen Artikel wurde er auf das College-Sportsystem in den USA aufmerksam. An den dortigen Unis können gute Sportler mit einem Stipendium zu günstigen finanziellen Bedingungen studieren, gleichzeitig aber auch ihren Sport weiterhin auf hohem Niveau betreiben. Also ließ Schwinn bei der Münsteraner Vermittlungsagentur sport-scholarships.com seine Chancen auf ein US-Sportstipendium einschätzen. Dazu musste er seinen sportlichen und schulischen Werdegang dokumentieren. Die Bewertung fiel positiv aus, und so ergaben sich erste Kontakte zu US-Colleges und den dortigen Fußballtrainern.

"Nur Fußball ist zu wenig. Ich brauche auch etwas für den Kopf", sagt Michael SchwinnBild: DW/Arne Lichtenberg

Schaufenster für die großen Clubs

Im Februar 2012 präsentierte Michael dann mit anderen Bewerbern an der Sportschule Duisburg-Wedau vor US-Trainern seine fußballerischen Qualitäten. Am Ende des Tages kehrte Schwinn mit einem Sportstipendium der San Jose State University in Kalifornien heim. 29.000 US-Dollar an Studiengebühren werden ihm damit pro Jahr erlassen. Nur für seine Unterkunft auf dem Campus muss er monatlich 600 US-Dollar beisteuern.

In den USA wird der Sport nicht in Vereinen, sondern in den Schulen und vor allem an den Universitäten organisiert. Die sportliche Betätigung der Schüler wird gefördert, es gibt Wettkämpfe gegen andere Schulen, allerdings immer im Einklang mit den akademischen Verpflichtungen. Sport und Schule stehen auf einer Stufe. Niemand soll durch seinen Sport etwas in der Schule verpassen.

Der Collegesport ist allerdings noch einmal eine Nummer größer. Hier werden Milliarden umgesetzt. Die Spiele der Universitäten werden im TV übertragen, die Ligen dienen als Schaufenster für die großen Basketballclubs der NBA oder American-Football-Clubs der NFL. Für die Hochschulen ist es enorm wichtig, sportlich zu überzeugen, denn nur so kommen sie an Gelder aus TV- und Sponsoring-Verträgen - und positive Sportergebnisse lassen die Unis in einem guten Licht erstrahlen.

College-Football in den USA ist ein MillardengeschäftBild: AP

Schule und Sport in Deutschland schwer vereinbar

In Deutschland ist der Sport hingegen stark in Vereinen verankert. Der Sportunterricht an den Schulen bietet eine breite sportliche Ausbildung in diversen Sportarten, allerdings gibt es kaum Wettkämpfe gegen andere Schulen. Wer eine Sportart intensiver oder gar als Leistungssport betreiben will, muss in einen Verein eintreten. Nimmt er an einem Wettkampf teil, muss er sich unter Umständen vom Unterricht befreien lassen. Der Sportler ist auf die Nachsicht und Unterstützung seiner Lehrer angewiesen. Auf der anderen Seite klagen deutsche Sportvereine über einen steigenden Nachwuchsmangel, da immer mehr Schüler von Ganztagsschulen keine Zeit mehr finden, nachmittags noch zu trainieren.

Ausbildung und Leistungssport harmonieren in Deutschland nur selten miteinander. Eine Möglichkeit bietet die Sportfördergruppe der Bundeswehr. Hier können sich Leistungssportler für eine gewisse Dienstzeit verpflichten, bekommen ein festes Gehalt und können sich voll auf ihre Wettkämpfe und ihr Training konzentrieren. Allerdings stehen sie nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr möglicherweise vor dem beruflichen Nichts. Eine Ausbildung oder ein Studium erhalten sie bei der Sportförderkompanie nämlich nicht.

Haben die deutschen Sportsoldaten ausgedient?

Seit den Olympischen Spielen in London stehen auch die deutschen Sportsoldaten in der Kritik. Zwar stellten sie 29 Prozent der deutschen Olympiamannschaft, aber nur jeder siebte Sportsoldat brachte eine Medaille nach Hause - während jeder vierte Zivilist Edelmetall gewann. Das ergab eine Studie des Hamburger Wirtschaftsprofessors Wolfgang Maennig unter dem Titel: "London 2012 - das Ende des Mythos vom erfolgreichen Sportsoldaten". Seiner Meinung nach entwickelten sich Sportsoldaten nicht so gut, weil sie sich in ihrem Alltag langweilten, sagt Maennig: "Das überträgt sich dann auch auf die Trainingshaltung. Durch die eindimensionale Verengung des Sportleralltags können Medaillen verloren gehen."

Philipp Liedgens: "Das US-Modell kann man nicht eins zu eins nach Deutschland übertragen."Bild: DW/Arne Lichtenberg

Abschlüsse hinterhergeworfen

Ähnliches erlebte auch der junge Torhüter Michael Schwinn, als er merkte, dass ihm die Fokussierung nur auf den Sport nicht gut bekam. "Sich nur auf den Fußball verlassen, dass kann man nicht machen, das ist zu riskant", sagt Schwinn. Aber ist das US-amerikanische Sportsystem, für das er sich entschieden hat, wirklich das bessere? Auch in den Staaten ist nicht alles Gold, was glänzt. Man hört von Bachelorabschlüssen, die Sportlern fast nachgeworfen werden, oder von Footballspielern, die während ihrer Uni-Zeit bei kaum einer Prüfung anwesend waren. 

Philipp Liedgens betreut in Münster die Vermittlungsagentur sport-scholarships.com und half auch Michael Schwinn bei seinem Sportstipendium. "Man muss wissen, dass das US-Collegesystem ein Milliardengeschäft ist", erklärte Liedgens. "Vor allem beim Basketball oder Football läuft auch einiges unter der Hand, und es sind mehr Ausnahmen möglich. In Sportarten wie Fußball wird aber sehr viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt."

Nicht von heute auf morgen

Liedgens sieht Reformbedarf im deutschen Sportfördersystem, auch wenn er das US-System nicht komplett nach Deutschland verpflanzen würde. "Man kann das System sicher nicht von heute auf morgen umstellen", findet der Sportler-Vermittler. "Das würde den deutschen Vereinen den Unterbau rauben und auch der Breitensport würde darunter leiden." Liedgens sieht eher die Universitäten, die Vereine und Innenministerien am Zug. Sie sollten ein Modell entwickeln, wie Leistungssportler ihren Sport und ihre Ausbildung flexibel miteinander vereinbaren könnten: "Denn nicht jeder Spitzensportler möchte unbedingt zur Bundeswehr oder zu Polizei. Viele wollen eben studieren."

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