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PolitikNahost

Wie eine UN-Einheit IS-Terroristen verfolgt

Cathrin Schaer
7. Januar 2022

Der deutsche Staatsanwalt Christian Ritscher leitet das Ermittlungsteam der Vereinten Nationen zu Verbrechen des "Islamischen Staates" (UNITAD). Im Fokus stehen forensische Daten und Finanzströme.

Irak Särge bei Massenbegräbnis von Jesiden-Opfern des IS
Trauer: Särge bei einem Massenbegräbnis von Jesiden, die dem IS zum Opfer fielen, in Kojo (Irak), Dezember 2021Bild: ZAID AL-OBEIDI/AFP via Getty Images

Wer hat vom Aufstieg der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Irak profitiert - und wo sind die Profiteure heute? Dies sind nur zwei der Fragen, die der ehemalige deutsche Bundesanwalt Christian Ritscher im Laufe des Jahres zu beantworten hofft.

Im September 2021 wurde Ritscher zum neuen Leiter von UNITAD (United Nations Investigative Team to Promote Accountability for Crimes Committed by Da'esh/ISIL) ernannt, dem Untersuchungsteam der Vereinten Nationen, das alle zur Rechenschaft ziehen soll, die im Namen des IS Verbrechen begangen haben.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht hatte der IS Tausende von Mitgliedern, darunter schätzungsweise 40.000 ausländische Kämpfer. Im Irak und in Syrien kontrollierte er ein Gebiet von rund 100.000 Quadratkilometern. Im Namen ihrer extremistischen und gewalttätigen Version des Islams beging die Gruppe zahlreiche Verbrechen gegen die dort lebenden Menschen - von lokalen Minderheiten wie Jesiden und Christen im Irak bis zu Muslimen. Ihren Angriff auf die ethnisch-religiöse Gemeinschaft der Jesiden hat die UNO als Völkermord eingestuft.

Leitet das UNITAD-Team: der deutsche Staatsanwalt Christian RitscherBild: UNITAD

Auch wenn derzeit unterschiedlichen Schätzungen zufolge noch rund 10.000 Kämpfer für den "Islamischen Staat" aktiv sein sollen, wurden die Extremisten von 2017 an zumindest aus ihren Hochburgen verdrängt. Viele Terroristen wurden getötet oder inhaftiert. Wie können die Verhafteten strafrechtlich belangt werden?

Archiv der Verbrechen gegen die Menschlichkeit

UNITAD nahm seine Arbeit im August 2018 auf. Das Team hat die Aufgabe, die von der Terrorgruppe begangenen Verbrechen zu dokumentieren und Beweise zu archivieren. Außerdem soll es irakische Behörden in Forensik schulen, der kriminaltechnischen Dokumentation von Verbrechen.

In den vergangenen sechs Monaten haben die rund 200 Mitarbeiter von UNITAD etwa zwei Millionen Beweisstücke archiviert und digitalisiert. Im Mai 2021 meldete das Team, 14 Staaten hätten um Hilfe bei der Aufklärung von IS-Verbrechen außerhalb des Irak ersucht.

Bevor er Chef von UNITAD wurde, leitete Christian Ritscher das Referat für Völkerstrafrecht beim Generalbundesanwalt in Deutschland. Dort führte er auch die Ermittlungen gegen einen vor kurzem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord verurteilten IS-Terroristen. Dieser hatte, gemeinsam mit seiner Frau, ein fünfjähriges jesidisches Mädchen in unerträglicher Hitze angekettet und verdursten lassen. UNITAD habe auch bei den Ermittlungen in diesem Fall Hilfe geleistet, so Ritscher Anfang Dezember vor Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats.

Nicht nur ein irakisches Problem

Die detaillierte Untersuchung der Finanzierung des IS sei in naher Zukunft eines der "aussichtsreichsten " Arbeitsgebiete von UNITAD, so Ritscher gegenüber der DW.

Weitere Einzelheiten nennte Ritscher unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht. Er gehe aber davon aus, dass das Team auf weitere Nachweise internationaler Verbindungen stoßen werde. "Es handelt sich nicht nur um ein inner-irakisches Problem. Schließlich war der IS auch außerhalb des Irak aktiv, etwa in Europa."

Ursprünglich wurden ausländische Geldgeber aus den Golfstaaten verdächtigt, die aufstrebende IS-Miliz zu finanzieren. Doch nachdem die Extremisten Teile des Irak und Syriens unter ihre Kontrolle brachten, pressten sie das meiste Geld aus diesem Gebiet und den dort lebenden Menschen. Auf dem Höhepunkt seiner Macht im Jahr 2014 verfügte der "Islamische Staat" Schätzungen von Experten zufolge über ein Vermögen von über zwei Milliarden US-Dollar.

Dokumentation des Grauens: Irakische Forensiker untersuchen die Leichen vom IS getöteter JesidenBild: AHMAD AL-RUBAYE/AFP via Getty Images

"Die aus den besetzten Gebieten beschlagnahmten Gelder in Verbindung mit dem Verkauf von Bodenschätzen, der Besteuerung Einheimischer und kriminellen Aktivitäten machten den IS zur reichsten Terrororganisation der Welt", heißt es in einer Studie des Center for International Security and Cooperation an der Stanford University in den USA.

Wer profitiert?

Ende 2020 schätzte die US-Regierung, dass die extremistische Gruppe noch über ein Vermögen von rund 300 Millionen Dollar verfügen könnte. Inzwischen stammten die Einnahmen überwiegend aus kriminellen Aktivitäten, so die Forscher des US-Finanzministeriums. Dazu gehörten Entführungen und Erpressungen, Drogenschmuggel in der Region und Menschenhandel nach Europa sowie der illegale Verkauf geplünderter irakischer oder syrischer Antiquitäten.

Um Geld zu verschieben oder zu waschen, setzte der IS offenbar auch auf Kryptowährungen. Zudem nutzte er auch ein informelles Geldtransfersystem, über das Bargeld mittels persönlicher Kontakte nach Übersee verschickt wird, etwa wie im legalen Bereich eine Überweisung mit Western Union. Die USA haben gegen mehrere Personen Sanktionen verhängt, die im Verdacht stehen, bei Finanztransfers behilflich zu sein. Im Oktober 2021 gaben die irakischen Behörden bekannt, sie hätten ein ranghohes IS-Mitglied, Sami Dschasim Mohammed al-Dschaburi, verhaftet. Er überwachte offenbar die Finanzen der Extremistengruppe.

Im Flüchtlingslager al-Hol in Syrien leben Zehntausende Menschen - darunter viele Angehörige von IS-KämpfernBild: Delil Souleiman/AFP/Getty Images

"Die Untersuchung der Terrorfinanzierung ist wichtig, weil sie vor allem einen Blick von oben nach unten ermöglicht", so Ritscher gegenüber der DW. "Wenn man dem Geld folgt, sieht man, wie die Struktur der Organisation aussieht, und am Ende findet man die Leute, die wirklich von den Taten profitieren."

Probleme bei der Verfolgung von Irakern

UNITAD verfügt auch über Spezialteams, die Verbrechen gegen Frauen, die Rekrutierung von Kindersoldaten und die Frage untersuchen, wie der IS in der nordirakischen Stadt Mossul chemische Waffen zu entwickeln versuchte. Diese Themen stünden auch weiterhin im Fokus von UNITAD, so Ritscher.

Im Oktober 2021 gaben die irakischen Behörden die Verhaftung des ranghohen IS-Mitglieds Sami Dschasim Mohammed al-Dschaburi bekanntBild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Ausländische Staatsangehörige, die der IS-Gruppe angehörten, dürften aller Voraussicht nach in ihren Heimatländern strafrechtlich verfolgt werden. Aus diesem Grund sollten auch irakische Staatsangehörige am besten in ihrem Heimatland verfolgt werden, so Ritscher. Dies stellt UNITAD allerdings vor ein Problem. Denn der bisherigen Praxis der Vereinten Nationen zufolge dürfen keine Erkenntnisse an Staaten weitergegeben werden, in denen die Todesstrafe verhängt werden könnte. Genau das trifft für den Irak aber zu: Dort könnten viele IS-Täter zum Tode verurteilt werden.

Zwar hat die irakische Regierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Zusammenarbeit mit der UNITAD verbessern könnte. Doch der wurde gestoppt, als nach dem Streit um die jüngsten Parlamentswahlen keine neue Regierung gebildet wurde.

Gerechtigkeit erfordert Geduld

"Wir handeln mit Respekt vor der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität des Irak", sagt Ritscher. "Wir sind da sensibel und bereit, mögliche Hürden kreativ zu überwinden. Es ist wichtig, dass sich die Arbeit von UNITAD in den internen Verfahren im Irak widerspiegelt. Wir sind zuversichtlich, dass dies erreicht werden kann."

Angesicht immer weiterer von UNITAD erbrachter Beweise geht Ritscher davon aus, dass es bald einen "Wendepunkt" in der Art und Weise geben dürfte, Mitglieder des IS vor Gericht zu stellen.

Dies werde aber wahrscheinlich noch Jahre dauern, räumt er ein. "Ich kann verstehen, dass die Opfer dieser Verbrechen ungeduldig sind. Sie wollen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird." Er hoffe, dass die UNITAD künftig als zentrale Datenbank arbeite, an die sich andere Staaten wenden könnten, wenn sie ein IS-Mitglied strafrechtlich verfolgten.

"Aber internationale Straftaten wie etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu untersuchen und vor Gericht zu bringen, ist immer ein langer Prozess. Denken Sie an Kambodscha und Ruanda. Aber es ist möglich, wie wir kürzlich im Fall Frankfurt gesehen haben", so Ritscher. "Wenn wir diese Arbeit fortsetzen, wird es noch mehr solcher Prozesse geben."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.