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Politik

Die Staatenlosigkeit der Rohingya

2. November 2017

In Myanmar ist die Staatsangehörigkeit seit jeher eng geknüpft an die Ethnie. Doch die Rohingya sind keine anerkannte ethnische Gruppe. Das aber ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer Lösung.

Bangladesch | Persönliche Gegenstände von Rohingya-Flüchtlingen
Bild: DW/ P. Vishwanathan

In den vergangenen zwei Monaten sind nach UN-Angaben mindestens 600.000 überwiegend staatenlose Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch geflohen. Viele Einwohner Myanmars bezeichnet die Rohingya als "Bengalis", womit angezeigt werden soll, dass die Angehörigen dieser Gruppe ursprünglich Einwanderer aus dem benachbarten Bangladesch seien. Bangladesch wiederum verweist darauf, dass die Rohingya seit Generationen in Myanmar leben.

Die internationale Gemeinschaft bemüht sich nach Kräften, die humanitäre Katastrophe in den rasch wachsenden Flüchtlingslagern in Bangladesch in den Griff zu bekommen. Doch tatsächlich zuständig für die Staatenlosen fühlt sich niemand, weder Bangladesch noch Myanmar, noch irgendein anderer Staat der Welt.

Eine langfristige und tragfähige Lösung kann es aber nicht geben, solange die Rohingya staatenlos bleiben. Insofern stellte auch eine vom ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan geleitete Kommission für den myanmarischen Rakhine-Staat die Frage der Staatsbürgerschaft ins Zentrum ihres Berichts. Am Tag der Veröffentlichung nahm die aktuelle Flüchtlingskrise ihren Anfang.

Staatenlosigkeit nicht völkerrechtswidrig

Staatenlosigkeit ist im internationalen Recht eigentlich nicht vorgesehen, wie Martin Stiller, Jurist und aus Wien, der über Staatenlosigkeit gearbeitet hat, im Interview mit der Deutschen Welle erklärt. "Das Völkerrecht geht davon aus, dass jeder Mensch einem Staat zuzuordnen ist. Das ist der Normalfall."

Aung San Suu Kyi besucht die Region erstmalig zwei Monate nach Beginn der FlüchtlingskriseBild: Reuters

Für den Sonderfall Staatenlosigkeit sind von der UN zwei Übereinkommen geschlossen worden. Das Übereinkommen von 1954 regelt die Rechtsstellung von Staatenlosen und zielt im Kern darauf ab, dass Staatenlose nicht schlechter gestellt werden dürfen als Ausländer, die eine Staatsangehörigkeit besitzen. Das Übereinkommen von 1961 zielt auf die Vermeidung beziehungsweise Verminderung von Staatenlosigkeit, in dem es die Verleihung der Staatsangehörigkeit bestimmten Regeln unterwirft und die Entziehung der Staatsangehörigkeit erschwert. Bangladesch und Myanmar sind weder dem Abkommen von 1954 noch dem von 1961 beigetreten.

Trotz der Übereinkommen ist festzuhalten, dass Staatenlosigkeit beziehungsweise die Verursachung von Staatenlosigkeit durch einen Staat nicht per se gegen das Völkerrecht verstößt. "Auch wenn das von vielen Staaten und internationalen Organisationen als nicht wünschenswert eingeschätzt wird, ist es trotzdem völkerrechtlich nicht verboten." Das hänge, so Stiller, damit zusammen, dass "jeder Staat selbst regeln darf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Person die Staatsbürgerschaft bekommt. Wenn diese Person die Voraussetzungen nicht erfüllt, dann wird keine Staatsangehörigkeit zum Beispiel bei der Geburt erworben. Die Staaten sind da relativ frei, wobei die Voraussetzungen für den Erhalt der Staatsbürgerschaft natürlich nicht völkerrechtswidrig sein dürfen."

Myanmars Staatsbürgerschaftsrecht

Zwar verstößt Myanmars aktuell geltendes Staatsbürgerschaftsrecht von 1982 nicht gegen das Völkerrecht, es ist aber dennoch problematisch, was vor allem mit seiner starken Orientierung an Ethnizität zusammenhängt. Teile des Staatsbürgerrechts widersprechen aus Sicht der UN etwa gegen das internationale Prinzip der Nicht-Diskriminierung.

Das Gesetz von 1982 ist eine Fortschreibung des Gesetzes von 1948, in dem das gerade unabhängig gewordene Land festlegte, dass derjenige Bürger des Landes sein kann, der zu einer der acht anerkannten indigenen Ethnien (Arakanesen, Bamar, Chin, Kachin, Karen, Kayin, Mon oder Shan) gehört und dessen Familie seit 1823 dauerhaft innerhalb des Staatsgebiets gesiedelt hat. 1823 war nämlich das letzte Jahr vor der britischen Kolonialzeit. Darüber hinaus gab es noch weitere Bedingungen, unter denen die Staatsbürgerschaft erworben werden konnte, etwa den Nachweis, dass die eigenen Vorfahren bereits seit zwei Generationen in Myanmar lebten.

Rasse wird entscheidendes Kriterium

1982 formulierte die sozialistische Regierung unter Premierminister Ne Win das Staatsbürgerschaftsrecht neu und schaffte alle Ausnahmen im Gesetz von 1948 ab. Dem neuen Gesetz zufolge muss eine Person - wie zuvor - nicht nur einer der acht "nationalen Volksgruppen" angehören und ihre Familie vor 1823 in Myanmar gelebt haben. Ihre Eltern mussten nun auch einer der acht nationalen Volksgruppen angehören, um Staatsbürger werden zu können. Es war somit sehr viel schwieriger Staatsbürger zu werden.

Das Gesetz stellte aber auch explizit fest, dass jeder, der vor Inkrafttreten des Gesetzes Staatsbürger war, weiterhin Staatsbürger blieb. "Das Staatsbürgerrecht galt nicht rückwirkend. Trotz seiner offensichtlich rassistischen und rückwärtsgewandten Intention, wurde niemand seiner Staatsbürgerschaft beraubt, es sei denn, er hatte sie durch Betrug erworben", so Nick Cheesman, Politologe von der Australischen Nationaluniversität in einem Artikel auf der Onlineplattform "E-International Relations". Der häufig erhobene Vorwurf, die Rohingya hätten 1982 ihre Staatsbürgerrechte aufgrund des Gesetzes verloren, ist demnach nicht zutreffend. 

Die Rohingya harren unter schwierigsten Bedingungen in den Lagern aus. Wie es weitergeht, ist völlig offenBild: DW/ P. Vishwanathan

Wie Cheesman weiter ausführt, verloren die Rohingya ihre Staatsbürgerschaft in einem sich über Jahre hinziehenden Prozess, und zwar weniger aufgrund des gesetzlichen Wortlauts, als vielmehr wegen der zum Teil falschen Anwendung oder Verstöße gegen das Gesetz. "Die heutige Staatenlosigkeit der Muslime in Westmyanmar ist im Wesentlichen die Folge von de facto und nicht von de jure ergriffenen Maßnahmen." Insbesondere in den späten 80er und frühen 90er Jahren hätte die damalige Militärregierung gegen den Geist das Gesetz von 1982 zehntausenden Muslimen keine ID-cards oder nur vorläufige Registrierungskarten ausgestellt.

Dilemma der Rohingya

Die Rohingya, die in dieser Zeit immer massiver unter Diskriminierung und dem Ausschluss aus dem Staat litten, reagierten, indem sie auf der politischen Ebene forderten, als neunte "nationale Rasse" anerkannt zu werden. Das aber verstärkte den Widerstand anderer ethnischer Minderheiten, insbesondere der Rakhine, die im Rakhine-Staat die buddhistische Mehrheit darstellen und unter anderem fürchten, das ihr Staat geteilt werden könnte. Heute hat jede der acht anerkannten Minderheiten einen eigenen Staat in Myanmar.

Cheesman zeigt auf, dass die Anerkennung der Rohingya als neunte "nationale Rasse" keine echte Lösung ist, da sie in einen Widerspruch führt. "Um das fordern zu können, mussten sie grundsätzlich der rassistischen Logik des Gesetzes zustimmen." Das Problem ist, dass die angestrebte Lösung auf der Grenzziehung entlang ethnischer Linien basiert, die den Rohingya die Staatsbürgerschaft ja gerade verwehrt.

Ein möglicher Ausweg, den Cheesman andeutet, wäre die grundsätzliche Infragestellung der engen Verknüpfung von Staatsbürgerschaft und Ethnizität. Auch für Kofi Annans Kommission sind das Staatsbürgerschaftsrecht von 1982 und die enge Verbindung von Ethnizität und Staatsbürgerschaft nicht mehr zeitgemäß.