Die starken Frauen der Bach-Familie
19. Juni 2024Anna Magdalena Wilcke (1701-1760) war im 18. Jahrhundert eine angesehene Sopranistin. 1721 heiratete sie Johann Sebastian Bach (1685-1750), einen der heute weltweit berühmtesten klassischen Komponisten. In die Musikgeschichte ist Anna Magdalena jedoch nicht als Musikerin, sondern als Frau von Johann Sebastian Bach eingegangen. Das könnte sich jetzt ändern.
Mit Frauen, die selbst komponiert oder musiziert haben, hat sich die Musikforschung in Europa erst seit den 1970er Jahren intensiver beschäftigt. "Ins Blickfeld sind zuerst die Frauen geraten, die mit Männern verbunden waren, so wie Anna Magdalena Bach", sagt Kerstin Wiese, Leiterin des Bach-Museums, das Teil des Bach-Archivs und Forschungsinstituts in Leipzig ist.
Den Frauen eine Stimme geben
33 Frauen aus der Bachfamilie konnte die Wissenschaftlerin und ehemalige Mitarbeiterin des Bach-Archivs, Maria Hübner, ausfindig machen. Ihre Lebensgeschichten hat sie in dem Buch "Die Frauen der Bach-Familie" veröffentlicht. Auf Hübners Forschungsergebnissen basiert eine kleine Ausstellung im Leipziger Bach-Museum. Kerstin Wiese will die Bach-Frauen als eigenständige Persönlichkeiten hervorheben. "Denn letztendlich stehen die Frauen im Musikleben auch heute noch im Schatten der Männer", sagt die Museumsdirektorin.
Anna Carolina Philippina Bach, Maria Salome Bach, Cecilia Bach oder Catharina Dorothea Bach – man kennt kaum ihre Namen. Dabei haben diese Bach-Frauen ihren komponierenden Männern und Vätern nicht nur den Rücken freigehalten und die Familie gemanagt. Sie haben auch Partituren in Schönschrift ausgefertigt, den Musikalienhandel geführt oder posthum die Werke der Männer noch weiter herausgegeben. Und nicht zuletzt waren einige von ihnen selbst professionelle Sängerinnen.
Cecilia Grassi etwa trat als bekannte italienische Sopranistin unter anderem an der Oper von Venedig auf. Als Primadonna am legendären King`s Theatre in London lernte sie ihren späteren Mann Johann Christian Bach, den jüngsten Sohn von Johann Sebastian, kennen. Nach seinem Tod sorgte die selbstbewusste Frau dafür, dass eine Oper ihres Mannes so aufgeführt wurde, wie er es in der Partitur angewiesen hatte.
Wie die Frauen in Vergessenheit gerieten
In Nachschlagewerken aus dem 18. Jahrhundert tauchen einige dieser Frauen auf. "Im Musiklexikon von Gottfried Walther – dem ersten deutschsprachigen Musiklexikon überhaupt –findet man 1732 eine ganze Reihe von Komponistinnen, Musikerinnen und auch Werke, die sie komponiert haben", erzählt Kerstin Wiese.
Im 19. Jahrhundert verschwinden diese Frauen dann allerdings oft aus der Literatur. Der belgische Autor August Gathy spricht den Töchtern von Johann Sebastian Bach in seinem „Musikalischen Conversations-Lexikon“ von 1835, gedacht als "Encyklopädie für die gesamte Musik-Wissenschaft", sogar jede Musikalität ab. Nur Bachs Söhne werden als talentierte Nachfahren erwähnt. "Wahrscheinlich hat sich Gathy gar nicht mit den Töchtern beschäftigt, sondern das einfach als Vorurteil behauptet", meint Wiese.
Die schwierige Quellenlage der Bach-Forschung
Es gibt kaum Quellen zum Leben von Johann Sebastian Bach, geschweige denn zu den Frauen aus seiner Familie. Jeder neue Fund, jede neue Erkenntnis über den barocken Komponisten wird von Bach-Fans gefeiert.
Gerade mal ein persönlicher Brief aus Bachs Feder ist erhalten, in dem er auch von seiner musikalischen Familie spricht, mit der er eigene Konzerte aufführen könne. Auf den jährlichen Großfamilientreffen der Bachs wurde das auch praktiziert.
In jenem Brief an einen Schulfreund erwähnt Bach auch explizit seine Frau Anna Magdalena und seine älteste Tochter Catharina Dorothea. Er schreibt, dass seine Frau "einen sauberen Sopran" singe und erwähnt, dass auch seine "älteste Tochter nicht schlimm einschlägt", was für damalige Zeiten ein großes Lob war.
Aus einer lustigen Hochzeitsmusik, die Bach für eines dieser Familientreffen geschrieben hat, erfährt man, dass der Pferdeknecht seine Schwester Maria Salome mit einer Gabel gepiekst und geärgert hat. "Wir kennen die Brüder von Johann Sebastian Bach, aber Maria Salome, die kennt kaum jemand", sagt Kerstin Wiese vom Bach-Archiv. "Ich möchte einfach, dass überhaupt bekannt wird, dass es auch eine Schwester gab."
Die Sammlung Koopman
Anna Carolina Philippina Bach war eine Enkelin von Johann Sebastian Bach. Sie arbeitete für ihren Vater Carl Philipp Emanuel Bach, der im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der klassischen Musik, sogar berühmter war als sein Vater Johann Sebastian. Anna Carolina Philippina organisierte die Korrespondenz und stand in Kontakt mit Musikverlegern, Musikern und Kopisten. Nach dem Tod ihres Vaters führte sie seinen Musikalienvertrieb weiter.
Ein Scherenschnitt von 1776 zeigt ihr Portrait. Abgesehen von solchen Schattenrissen haben sich keine Bildnisse von Frauen der Bachfamilie erhalten. Weitere ausgestellte Portraits von Komponistinnen, Dichterinnen und Laienmusikerinnen aus Europa stammen aus der Sammlung von Ton Koopman. Der niederländische Dirigent und Organist ist Präsident des Bach-Archivs Leipzig und leidenschaftlicher Musikaliensammler. Aus seiner umfangreichen grafischen Sammlung hat er 25 Frauenportraits für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. "Alles was mit Musik zu tun hatte, habe ich gekauft und dann recherchiert. Ich war selbst erstaunt, wie viele interessante Frauenportraits dabei sind, auch von musizierenden Frauen", sagt der 79-Jährige der DW.
Anna Magdalena Bach
Wie bedeutend einige musizierende Frauen im 18. Jahrhundert waren, zeigt das Beispiel von Anna Magdalena Bach. Zwar gibt es keine direkten Hinweise auf ihren Bekanntheitsgrad, doch Einträge in den Gehaltbüchern bei Hofe lassen darauf schließen.
Johann Sebastian Bach und Anna Magdalena lernten sich am Hof des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen kennen, wo Bach seit 1717 als Hofkapellmeister angestellt war. Anna Magdalena bekam dort 1721 eine feste Anstellung als Sängerin und verdiente in der Hofkapelle das dritthöchste Gehalt nach Bach. Allein daran lässt sich ablesen, wie sehr ihre Stimme geschätzt wurde. Als Bach 1723 in Leipzig das Amt des Thomaskantors antrat, war er nicht nur für den Thomanerchor, sondern auch für die gesamte Musik in den Leipziger Stadtkirchen zuständig. Anna Magdalena Bach durfte dort allerdings nicht auftreten, da solistischer Gesang von Frauen in den städtischen Kirchen verboten war.
Nach Bachs Tod sorgte sie als Vertriebspartnerin dafür, dass sein bekanntes Lehrwerk "Die Kunst der Fuge" posthum herausgebracht wurde. Außerdem hat sich ihr Name allein schon durch das "Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach" mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach und anderen Komponisten über die Jahrhunderte hinweg eingeprägt. Es gehört auch heute noch zur Klavierliteratur, die fast jeder Schüler und jede Schülerin kennt.
Die Ausstellung im Bach-Museum Leipzig ist noch bis zum 10. November 2024 zu sehen.