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Literatur

Die stille Rebellion der iranischen Frauen

Sabine Peschel
20. Februar 2020

Was wollen die Frauen im Iran? Die Journalistin Ulrike Keding hat emanzipierte Studentinnen, kurdische Feministinnen und Tschador-Trägerinnen getroffen. In ihrem Buch berichtet sie vom Mut und der Kraft dieser Frauen.

Iran- Shaparak Shajarizadeh
Shaparak Shajarizadeh wurde 2018 bei einer Demonstration gegen die Zwangs-Verhüllung verhaftet und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Seit ihrer Flucht lebt sie in Kanada. "Wir Iranerinnen sind starke Frauen", sagt die 44-Jährige.Bild: Privat

Kurz vor der Parlamentswahl am Freitag (21.02.2020) haben sich die Hoffnungen vieler Iranerinnen und Iraner auf politische Vielfalt zerschlagen. Der von konservativen Geistlichen beherrschte Wächterrat hat die Hälfte der knapp 14.500 Kandidaten nicht zur Abstimmung über die 290 Sitze des Parlaments zugelassen. Viele junge Wähler des regimekritischen Lagers wollen die Wahl deshalb boykottieren, Frauen genauso wie Männer. Im 2016 gewählten iranischen Parlament sind lediglich 14 Frauen vertreten. Zynismus macht sich breit. Das sei keine demokratische Wahl, sagen junge Iranerinnen. "Wir haben schon verloren."

Mut und Kraft der Frauen

Die Journalistin Ulrike Keding hat bei ihren Reisen seit 2016 mit vielen von ihnen gesprochen, mit einigen steht sie auch aktuell noch in Kontakt. Einen Blick hinter die Kulissen eines Landes, von dessen Alltagsleben wenig bekannt ist, wollte sie ursprünglich werfen und dabei vor allem etwas über die Rolle der Frauen erfahren. Was sie bei ihren drei Aufenthalten entdeckte, entsprach nicht ihren Erwartungen. "In Deutschland denkt man, die Frauen im Iran sind unterdrückt. Zwar haben sie offiziell tatsächlich weniger Rechte, aber sie sind sehr stark. Sie haben eine sehr starke Rolle nicht nur in der Familie, sondern auch beruflich."

Erlebt hat Keding das bei ihren "Homestays" in diversen iranischen Familien, bei Begegnungen in Coffeeshops und Gesprächen auf der Straße, dem Universitäts-Campus oder bei Spaziergängen in den Bergen. Sie hat mit Tschador-Trägerinnen auf dem Perserteppich über Religion und nationale Identität gesprochen, mit Studentinnen über den verhassten Schleierzwang, mit Akademikerinnen über deren Wunsch, nach Europa auszuwandern. Gefunden hat sie bei ihren Unterhaltungen die "heimliche Freiheit" der Iranerinnen, Frauen vor allem des gebildeten städtischen Milieus der Mittel- und Oberschicht, die sich den Verboten der herrschenden Männerriege geschickt entziehen.

Unter Frauen: Autorin Ulrike Keding (rechts außen) bei einer HochzeitsgesellschaftBild: Ulrike Keding

Das Verlangen nach Gleichberechtigung

Die Einwohnerzahl des Vielvölkerstaats ist mit 83 Millionen in etwa so groß wie die der Bundesrepublik, doch die Altersstruktur ist eine ganz andere: Die Hälfte der Iraner ist unter 30. Fast 70 Prozent der Studierenden im Iran sind weiblich. In den Protesten der beiden letzten Jahre haben viele ihre Unzufriedenheit über die schlechte Regierungsführung ausgedrückt. Doch mehr als die offene Rebellion gegen den Staat verändert die stille Rebellion im Alltag die iranische Gesellschaft, beobachtet Keding.

Sobald die 23-jährige Studentin Sharzad das Teheraner Szene-Café "Remington" betritt, lässt sie ihr Kopftuch, das sie ohnehin weit nach hinten geschoben trägt, ganz fallen. Sie gehört zu den Rebellinnen vom "Weißen Mittwoch", die auf iranischen Straßen oder in der U-Bahn immer mal wieder schweigend den Schleier fallen lassen. "Im Dezember 2017 stellte sich die erste Frau unverschleiert auf die Eghelab Street in Teheran, die Revolutionsstraße", berichtet die Autorin. Seitdem entzündet sich am Kopftuchzwang der Protest gegen die Islamische Republik. "Die Frauen sind stärker als die Männer", sagt Sharzad. Viele junge Frauen wie sie wünschen sich Gleichberechtigung, Freiheit und Demokratie. "Wir wagen es zu rebellieren. Unsere Waffen sind Facebook, Instagram, Twitter und Telegram."

Das Smartphone ist für moderne junge Frauen auch im Iran unentbehrlichBild: Getty Images/AFP/A. Kenare

Die Krise der Mittelschicht

Seit Trumps Aufkündigung des Atomabkommens und der Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran hat sich die wirtschaftliche Situation für die Mehrheit der Bevölkerung ungeheuer zugespitzt. Die Menschen führen einen harten Existenzkampf. Ausländische Unternehmen und Betriebe, die auf Importe angewiesen sind, entlassen ihre Angestellten. Der Wert des Einkommens der Mittelschicht hat sich halbiert, und die Inflation galoppiert weiter. Iran ist ein Importland, viele Waren sind nur noch auf dem Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen zu erhalten. Für immer mehr Frauen bedeutet das, dass sie zum Familienunterhalt beitragen müssen. Ein Drittel aller Arbeitskräfte sind Frauen, doch ihre gesetzliche Gleichberechtigung müssen sie noch erkämpfen.

Die Betriebswirtschaftlerin Dina würde gern angestellt arbeiten, doch ein Einstiegsgehalt von 27 Euro pro Monat ist ihr viel zu wenig, erzählt sie der Autorin auf einer Jeep-Fahrt in die Berge um Tabris. Lieber empfängt die 30-Jährige zuhause ausländische Gäste. Gegen die schlechten Löhne für Iranerinnen protestiert sie auf der Internet-Plattform der iranischen Exiljournalistin Masih Alinejad. "Sie ist unsere Feministin", erzählt Dina. "Immer wenn uns Iranerinnen etwas angetan wird, fotografieren wir es oder machen ein Video und mailen es ihr."

Der Preis vieler Waren hat sich durch die US-Sanktionen im Iran vervierfachtBild: Getty Images/AFP/A. Kenare

Braindrain der klugen Köpfe

Auch für eine gut verdienende Onkologin, bei der Keding zu Gast war, sind Trumps Sanktionen ein großes Problem. "Gegen Krebs bekommst du fast keine Medikamente mehr", berichtet die Ärztin. Medizinische Ausrüstung für die US-amerikanisch geprägte Medizin sei nur noch auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. Doch nicht deshalb lernen die gut gestellte Chirurgin und ihre 12-jährige Tochter intensiv Deutsch. Wie so viele Akademiker strebt sie nach Europa, um "einer hundertprozentigen Diktatur" zu entkommen und ihrer Tochter ein emanzipiertes Leben zu ermöglichen. Die iranische Mittelschicht blutet aus. Mehr als sieben Millionen Iraner leben im Ausland, mehr als jeder dritte davon in den USA.

Moderne Frauen im Iran entscheiden selbst, wen sie heiraten möchten, und immer mehr heiraten spät oder gar nicht. Sie wollen sich dem Regime der Männer nicht mehr unterwerfen, fürchten um die Freiheit zu studieren oder zu reisen - denn das könnte ihnen ein Ehemann verbieten. 30 Prozent der iranischen Ehen werden geschieden, doch haben die Frauen nach einer Scheidung kein Recht auf ihre Kinder. Zwar ist die Rolle der Frau auch juristisch gestärkt worden und der Mann muss eine hohe Prämie zahlen, um die Frau abzusichern, wenn er sich scheiden lassen will. Doch eine Frau darf die Scheidung nicht mit der Begründung beantragen, dass die Beziehung gescheitert sei. Trotzdem: "In gebildeten Kreisen wird der Alltag von Frauen und Männern gleichberechtigt gelebt", meint die Umweltschützerin Yara.

Seit 2017 herrscht das "Mehrieh"-System, nach dem Männer Frauen im Fall einer Scheidung eine Prämie bezahlen müssen Bild: Getty Images/AFP/A. kenare

Sehnsucht nach einer toleranten Gesellschaft

Iran werde von zwei Regierungen geführt, erklärt einer der Gesprächspartner von Ulrike Keding bei ihrer letzten Reise 2019. Vom gewählten Staatspräsidenten Rohani und von dem nicht gewählten religiösen Regime unter Chamenei, der die größte Macht habe. Nicht durch eine von den Hardlinern bestimmte Wahl, sondern durch eine tolerante, bildungsorientierte Lebensweise entziehen sich viele Menschen der Macht der Revolutionswächter. "Die Frauen sind die echten Revolutionärinnen in Iran", kommentiert die kurdische Lehrerin Malihe. "Ich zähle mich auch zu den Rebellinnen, aber ich gehe es nicht radikal an. Ich versuche es auf die demokratische Art."

Ulrike Keding: "Die heimliche Freiheit. Eine Reise zu Irans starken Frauen", Herder Verlag 2020, 223 Seiten.

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