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Kühle Stimmung in der Koalition

Christoph Strack6. März 2015

Was für eine Woche der Großen Koalition. Unionsvertreter und Sozialdemokraten beharken einander - jeden Tag neu. Es zeigen sich feine Risse im Gefüge. "Verdammt früh", meinen erfahrene Abgeordnete.

Bundestag Debatte: Angela Merkel und Sigmar Gabriel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/H. Hanschke

Axel Schultes ist einer der wichtigen Architekten des neuen Berlin. Er schuf das Bundeskanzleramt und prägte die Idee, mit einem "Band des Bundes" die Neubauten des Bundestages über die Spree zu fügen. Der heute 71-Jährige kennt das Problem feiner Risse im scheinbar massivem Werk: "Haar-Risse im Beton sind so unvermeidbar wie harmlos", sagt er. "Erst wenn eine bestimmte Rissbreite überschritten wird, wird es gefährlich."

Foulspiel

Ja, Haar-Risse, sagt ein Abgeordneter mit Blick auf die Stimmung in der sogenannten Großen Koalition. Ein anderer sagt "Risse". Das klingt gleich anders. "Jeder kriegt jedes Foul mit, das gespielt wird", meint ein Dritter. "Die Tonlage ändert sich", ein vierter. So deutlich wird es, wenn man in diesen Tagen rund um das "Band des Bundes" ein halbes Dutzend schwarze und rote Parlamentarier fragt, die allesamt schon lange dabei sind. Und wenn man sie nicht namentlich zitiert.

Vor Weihnachten 2013 ging die dritte Große Koalition auf Bundesebene an den Start. Gut ein Jahr später stehen ideologisch besetzte Themen reihenweise zur Debatte: PKW-Maut und Einwanderung, Frauenquote, Tarifeinheit, Werkverträge und auch wieder der Mindestlohn. Sprecher beider Seiten kommen aus der Deckung.

Krawall

Sonntagabend: Im Deutschen Fernsehen läuft die Talksendung "Günther Jauch" zum Thema "Mindestlohn". Es ist eine der krawalligeren Jauch-Sendungen. Andrea Nahles, SPD-Bundesarbeitsministerin, und Ilse Aigner, CSU-Wirtschaftsministerin in Bayern, beharken einander, dass es keine Opposition mehr braucht.

Am Montag geht es dann bei Sticheleien primär um Frauenquote. Und um die Einwanderung. Bei diesem Thema wird es am Dienstag spitz. Dazu stellt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ein "Positionspapier" vor. "Dieses Projekt ist eigentlich ein Projekt, das eine Große Koalition stemmen müsste." Das "eigentlich" hallt nach, weil Oppermann einige Sekunden später vom nächsten Wahlprogramm seiner Partei und der nächsten Legislaturperiode spricht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt rasch, die geltende Rechtslage reiche aus. Und fast zeitgleich zu Oppermann erklärt Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, aus ihrer Sicht "braucht man kein Einwanderungsgesetz". Ach ja, auch noch: "So eine Koalition ist ja kein Wellness-Tempel." Nein, Axel Schultes Bauten und Ideen auf beiden Seiten der Spree sind Nutzbauten. An Wellness ist in diesen Tagen nicht zu denken.

Partner in der Koalition: Thomas Oppermann Gerda Hasselfeldt, Volker Kauder (von links)Bild: picture-alliance/dpa

Mittwoch, prominentere Köpfe und ein heikleres Thema: Die CDU-Vorsitzende Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer peilen ein Auslaufen des Solidaritätszuschlags nach 2019 an - der SPD-Chef, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, spricht irritiert von einer "180-Grad-Kehrtwende". Gabriel ist auch Vize-Kanzler, aber in diesem Moment ist er vor allem Chef der kleineren Koalitionspartei. Der Konflikt zwischen Union und SPD scheint in diesem Moment bereits mindestens so spannend wie der Soli. Das gilt übrigens auch für ein anderes Finanzthema. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kündigt eine Kindergelderhöhung an - "unzureichend", echot es aus der SPD. Deren Fraktionsvize Carola Reimann: "Das ist mit uns nicht zu machen."

In guten und in schlechten Zeiten

Nun ist das mit Großen Koalitionen so eine Sache. Ihr Zustandekommen - erstmals 1966, dann 2005, zuletzt 2013 - folgt stets einem Ringen. Und bald nach Beginn denkt man vom Ende her. Zuerst leise, dann lauter. "Das fängt diesmal verdammt früh an", sagt ein Sozialdemokrat, der schon manche Koalition mitgemacht hat. Ein Unionsvertreter zieht einen Vergleich. "Es gibt ja auch in einer Ehe nicht nur gute, sondern auch schlechte Tage. Aber in einer Ehe hat man sich darauf verständigt, dass man miteinander alt werden will." Ja, sagt ein anderer, "wir hatten schon stressfreiere Koalitionen."

Abstimmung nach OrientierungssucheBild: Reuters/H. Hanschke

Dabei spielten - abgesehen vom Mindestlohn, den die SPD aus dem Wahlkampf 2013 mit in die Koalition und das Arbeitsministerium genommen hatte - innenpolitische Themen, die wirklich Kernüberzeugungen der Parteien berühren, angesichts der internationalen Krisen eine eher nachgeordnete Rolle. Der Ukraine-Konflikt, der zum Russland-Konflikt wurde, das Griechenland-Drama, die Bedrohung durch den "Islamischen Staat" und Salafisten. Diese Herausforderungen dauern an, unabsehbar. "Jeder Streit, der richtig ausufern könnte, muss deshalb vermieden werden", sagt einer besorgt. Und egal ob Schwarz oder Rot - da denken sie ähnlich.

Das ist zumindest gute Absicht. Wie sich die Arbeit der Koalition verändert, zeigen Einschätzungen aus den Ausschüssen des Parlaments. Sicher - Außen, Europa und Recht, da geht man pfleglich miteinander um, nach wie vor und eigentlich wie immer. Anders scheint es bei Wirtschaft, bei Soziales, bei Verkehr, wohl auch bei einigen anderen. Im Verkehrsausschuss, meint einer aus der Koalition, wisse man manchmal kaum, wer da zu wem gehöre. Im Forschungsausschuss moniert einer, aus der Regierung komme zu wenig Input. Und der Kulturausschuss, der sich in der vorigen Legislaturperiode durch fast regelmäßige öffentliche Sitzungen aus dem sonstigen Arbeitsstil von Ausschüssen heraushob, berät nun wieder leise hinter verschlossenen Türen.

Vorwürfe zu hören

Zumindest einen Streit gehen die Kontrahenten bald an. Das geht bei der Lautstärke wohl auch nicht mehr anders. Bis zur Osterpause und nicht erst, wie ursprünglich geplant, bis zum Sommer sollen Beschwerden zur Praxis beim Mindestlohn gesammelt werden. Bis dahin kann man munter weiter zanken. Frau Aigner wirft - es geht auf den Frauentag zu - Frau Nahles vor, mangels praktischer Ausbildung, realitätsfern zu sein und die Wirtschaft "insgesamt zu kriminalisieren". Vielleicht spricht sie laut aus, was andernorts leise gedacht wird.

Vor Ostern werden sie aus den schönen Bauten an der Spree erst einmal alle in die heimischen Wahlkreise oder den Urlaub reisen. Und wieder merken, dass die Basis murrt - über die Griechenlandhilfe, auch über den jeweiligen Koalitionspartner. Dann ist es längst kein Jahr mehr hin bis zu den ersten der wichtigen Landtagswahlen 2016. Am 13. März nächsten Jahres wählen Baden-Württemberg, wohl auch Rheinland-Pfalz und vielleicht Sachsen-Anhalt neue Landesparlamente. Gut ein Fünftel der wahlberechtigten Deutschen kann da abstimmen. Alle Parteien schauen schon heute darauf.

Axel Schultes, der Architekt, kennt ja die Risse im Beton und die Gefahr der Korrosion. "Wenn es denn nur Haar-Risse sind, dann könnte Frau Merkel noch zehn Legislaturperioden durchregieren", sagt er.

Architekt Schultes rät nur bei kleinen Rissen zu GelassenheitBild: picture-alliance/dpa

Aber wer weiß, ob es immer nur Haar-Risse bleiben.

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