Die Suche nach der Corona-App
2. April 2020Mathias Reidel ist hauptberuflich in der Software-Industrie. Seit mehr als einer Woche haut er auch ehrenamtlich in die Tasten. Oft bist spät in die Nacht tüftelt er gemeinsam mit ehemaligen Microsoft-Kollegen an einem Handyprogramm, das helfen soll, mehr über die Corona-Verbreitung zu erfahren. "Es gab Abende, da haben wir morgens um sechs gesagt: 'Wir gehen schlafen', aber da ging der normale Job schon fast wieder los."
Eine Version ihres Covid-19-Radars ist bereits online. Bei dieser App können Corona-Infizierte freiwillig ihren Standort markieren. In Echtzeit wird dann auf der App abgebildet, in welcher Stadt, in welchem Viertel und sogar in welcher Straße es besonders viele Fälle gibt. "Wir haben eine Vermutung, dass es in Deutschland Regionen gibt, wo ein geringes Gefährdungspotenzial besteht", sagt Reidel.
Dort soll die App Entscheidungsträgern helfen, wenn es darum geht, das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder langsam zu öffnen. Die Standortbestimmung sei dabei aber nicht auf Einzelpersonen zurückzuführen. "Auch in einer Krisensituation sind wir verpflichtet, die Dinge, die wir uns in der Demokratie erarbeitet haben, nicht über Board zu werfen", so Reidel.
Den Datenschutz im Blick
Der Software-Entwickler bezieht sich auf den strengen Datenschutz in Deutschland. Denn weltweit gibt es mittlerweile mehrere Apps, die im Kampf gegen Corona die Datensicherheit des Einzelnen dem Schutz der Gesellschaft unterordnen. In Südkorea führt die Regierung Informationen aus Überwachungskameras, Standortdaten von Smartphones und Kreditkarten zusammen, um Infektionsketten zu verfolgen - ähnlich ist die Situation in China. In Israel - so berichtet der "Economist" - schaltet sich der Inlandsgeheimdienst auf die Smartphones von Infizierten, um deren Aufenthaltsort zu kontrollieren.
Auch in Deutschland läuft derweil die Debatte über Sinn und Zweck, Grenzen und Gefahren von Corona-Trackern auf Hochtouren Als Konsens gilt mittlerweile: Eine Corona-App darf kein Zwang sein und die Daten müssen anonym bleiben. Auch auf sein Smartphone-Programm treffe das zu, sagt Mathias Reidel. Wegen der Datenschutzbestimmungen sei er ständig mit Behörden im Kontakt.
Europäische Initiative als Favorit
Zurzeit als besonders aussichtsreich zur offiziellen Corona-App erkoren zu werden gilt ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, das mithilfe von Bluetooth-Technologie Infektionsketten abbilden soll. Rund 130 Wissenschaftler sind mittlerweile an dem Projekt mit dem sperrigen Namen "Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing" (PEPP-PT) beteiligt. Für Deutschland ist das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik (HHI) federführend. "Wir Europäer müssen unsere Antwort für die Lösung dieser Krise finden", sagt HHI-Leiter Thomas Wiegand. Nun liegt diese Lösung auf dem Tisch.
Dafür nutzt das PEPP-PT-Team mit Bluetooth eine Funktechnik im Nahbereich. Ist Bluetooth auf dem Handy aktiviert, werden bei längeren persönlichen Begegnungen zwischen Nutzern der App, ihre Kontaktdaten für zwei Wochen verschlüsselt auf dem Handy des jeweils anderen abgelegt. Sollte jemand positiv auf Corona getestet werden, wird dies allen anderen, die mit ihm oder ihr in Kontakt waren mitgeteilt - ohne den Namen des Infizierten oder den Treffpunkt zu nennen. Alle, die informiert wurden, können dann entscheiden, ob sie sich testen lassen oder freiwillig in Quarantäne gehen.
Noch fehlt der Segen der Politik
Ähnlich funktioniert auch die erfolgreiche "Trace-Together"-App aus Singapur. Bei der europäischen Initiative grenzt man sich aber bewusst davon ab. Die Handys würden sich - anders als bei "Trace Together" - nicht verbinden, erläutert Entwickler Wiegand das PEPP-PT-Prinzip. In Singapur müsste außerdem die Telefonnummer angegeben werden "und unser System funktioniert auch Ländergrenzen hinweg".
Schon nach Ostern könnte die App in Deutschland starten. "Wenn die Politik dies denn wünscht", formuliert es Thomas Wiegand vorsichtig. Denn die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie würde eine solche App empfehlen, ist Bundesjustizministerin Christine Lambrecht vorsichtiger: Man müsse sich die fertige App im Detail anschauen. Der Teufel liege bekanntlich im Detail. Die Hoffnung von Fraunhofer-Experte Wiegand ist, dass Deutschlands oberste Seuchenbekämpfer vom renommierten und hoch angesehenen Robert-Koch-Institut das PEPP-PT-System im Rahmen einer eigenen App im deutschen Markt einführt.
Viele ähnliche Apps ergeben wenig Sinn
Neben Reidel und Weigand arbeiten auch viele andere an Corona-Apps. So auch die Deutsche Telekom oder die Wirtschaftsprüfer von PWC. Und auch die Bundesregierung forciert die Entwicklung. So findet am 3. April abermals der Hackaton #WirVsVirusHack statt, bei dem Programmierer in 48-Stunden zu Lösungen kommen wollen.
Mathias Reidel kann derzeit der europäischen PEPP-PT-System viel abgewinnen. "Wir haben keinen Konkurrenzgedanken und stellen uns auch hinten an."
Es ergebe wenig Sinn, "wenn nun auf einmal vier oder fünf Apps auftauchen, die alle dasselbe tun", sagt der Software-Entwickler. Damit eine nationale Corona-App auch funktioniert, muss sie auf möglichst vielen Smartphones installiert sein. Deshalb würde Reidel auch nicht lange überlegen, sollte man ihn fragen, ob die Funktionalitäten seines Handy-Programms auch in eine nationale Corona-App integriert werden dürfen. "Wir sind zwar nur ein kleiner Baustein, aber in der Summe können wir schlagkräftig sein."