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PolitikTürkei

Die Türkei bei Erdogans "letzter Wahl"

30. März 2024

Die aktuellen Kommunalwahlen könnten große Auswirkungen auf die Zukunft der Türkei haben. Denn es geht nicht nur um 81 Bürgermeister, sondern auch um das politische Schicksal des Präsidenten.

Ein Wahlplakat von der AKP in Istanbul. Darauf zu sehen sind Murat Kurum und Recep Tayyip Erdogan
Wahlkampf mit Präsident: "Nur Istanbul" lautet der Wahlslogan des AKP-Kandidaten Murat Kurum, an dessen Seite sich Erdogan präsentiertBild: Pelin Ünker/DW

In der Türkei sind an diesem Sonntagmorgen die Kommunalwahlen angelaufen: Rund 63 Millionen Wahlberechtigte dürfen die Bürgermeister in 81 türkischen Städten und Gemeinden bestimmen. Es wird besonders für eine Person zu einer historischen Kommunalwahl: Präsident Recep Tayyip Erdogan hat von seiner "letzten Wahl" gesprochen, bevor er die Verantwortung an die nächste Generation übergeben wolle. Verfassungsrechtlich sollte Erdogan in vier Jahren in den Ruhestand gehen, denn für das Präsidentenamt darf er nicht noch einmal kandidieren. Eigentlich. 

Denn längst hat Erdogans Vertrauter im Parlament, Bekir Bozdag, eine Verfassungsänderung ins Spiel gebracht, um dem Staatschef eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Und Erdogans ultranationalistischer Verbündeter Devlet Bahceli flehte ihn öffentlich an: "Du darfst die türkische Nation nicht alleine lassen!"

Istanbul ist ein politisches Sprungbrett

Erdogans politische Laufbahn gewann 1994 an Fahrt mit seiner Wahl zum Bürgermeister von Istanbul. Und dort hat seine Partei AKP bei den letzten Kommunalwahlen eine Niederlage erlitten. "In Istanbul wurden leider fünf Jahre verschwendet", klagte Erdogan vor wenigen Wochen. Nun soll die AKP die Blamage von 2019 überwinden. Damals erzielten die Oppositionsparteien einen historischen Sieg: Nach 25 Jahren gelang es ihnen, elf Städte aus den Händen der Islamisten zurückzuholen - darunter eben Istanbul und auch die Hauptstadt Ankara.

Für die damalige Niederlage der Präsidentenpartei waren viele Faktoren verantwortlich, aber ein Mann stand im Vordergrund: Der zum Istanbuler Bürgermeister gewählte Ekrem Imamoglu von der Republikanischen Volkspartei CHP. Sein Sieg oder seine Niederlage an diesem 31. März könnte die Zukunft der Türkei mitbestimmen.

Imamoglu errang 2019 einen historischen Sieg und wurde damit zu einem der populärsten Politiker des LandesBild: Presseabteilung von Ekrem İmamoğlu

Als erneuter Wahlsieger würden sich seine Chancen deutlich erhöhen, in vier Jahren für die Präsidentschaftswahl zu kandidieren, prognostiziert Berk Esen aus der Sabanci-Universität: "Meiner Meinung nach ist Imamoglu der beste mögliche Kandidat der Opposition, um Erdogans Machtapparat zu besiegen."

Er besitze die notwendigen Eigenschaften, um eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. "Er kann die Stimmen von sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gewinnen. Er hat das Potenzial, konservative, linke, kurdische und sogar pro-Erdogan Wähler zu erreichen", so der Istanbuler Politikwissenschaftler. Imamoglu positioniere sich in seinem Wahlkampf sogar als direkter Konkurrent zu Erdogan, so Esen: "Imamoglu nutzt diese Wahlen, um Erdogan direkt anzugreifen."

Es wird knapp für die türkische Oppositon

Doch das Anti-AKP-Lager hat es nicht leicht. Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ORC zeigen, dass in Istanbul nur 1,2 Prozentpunkte zwischen Imamoglu und dem AKP-Kandidaten Murat Kurum liegen. Wer die Megastadt regiert, ist für das Land von herausragender Bedeutung: Etwa ein Fünftel aller Türken lebt in der Metropolregion, die Hälfte der türkischen Exporte und 56 Prozent der Importe gehen über Istanbul. 

Istanbul ist ein politisches und wirtschaftliches Schwergewicht in der TürkeiBild: Markku Ulander/Lehtikuva/dpa/picture-alliance

Nach Erdogans Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Mai 2023 sei der Schulterschluss der Oppositionsparteien zerbrochen, was zu einem Vertrauensverlust unter deren Wählern führte, erklärt Esen. "Angesichts dieser Zersplitterung sowie den parteiinternen Kämpfen in der Opposition herrscht eine Politikverdrossenheit und Hoffnungslosigkeit."

Letztes Jahr war die Opposition gegen Erdogan mit einem gemeinsamen Kandidaten angetreten, gereicht hatte es trotzdem nicht. Heute ist die Opposition erneut fragmentiert: Die drei größten Oppositionsparteien - die CHP, die nationalistische IYI sowie die kurdisch geprägte DEM-Partei - treten alle mit eigenen Kandidaten an.

Erdogan wurde 1994 Bürgermeister, obwohl er nur etwa 25 Prozent aller Stimmen bekam. Seine vier Widersacher erhielten 22, 20, 15 und 12 Prozent. Viele befürchten heute, dass Erdogans Kandidat für Istanbul, Murat Kurum, wieder von der uneinigen Opposition profitieren könnte.

Erdogan-Gegner fühlten sich im Gegensatz zu 2019 heute eher unmotiviert, sagt Ulas Tol, Direktor des Meinungsforschungsinstituts CORE. "Bis 2019 regierte Erdogans Partei in diesen Großstädten, und die Opposition hatte das ultimative Ziel, die Wahlen zu gewinnen. Inzwischen bewegen sich diejenigen, die Erdogan nicht wählen, zwischen einer extrem politisierten Emotionalität und einer Abwendung von der Politik."

Eine historische Chance für die Türkei

Diese Kommunalwahlen werden zeigen, "in welche Richtung sich das autoritäre System in der Türkei in den nächsten Jahren entwickeln könnte", sagt Politikforscher Esen. 

Erdogans Partei AKP genießt trotz aller Verluste weiterhin einen großen Rückhalt in der GesellschaftBild: TUR Presidency/Murat Cetinmuhurdar/Anadolu/picture alliance

"Erdogan möchte in diesen Wahlen die möglichen Konkurrenten für 2028 schwächen oder ganz loswerden. Wenn ihm das gelingt, wäre die türkische Opposition sogar noch weniger konkurrenzfähig als heute. Vielleicht ist die Situation nicht vergleichbar mit Russland, aber mit Venezuela: Dort finden regelmäßig Wahlen statt, aber die Opposition hat keine Chance zu gewinnen. Um das zu verhindern, ist diese Wahl für die Opposition so wichtig."

Mitarbeit: Gülsen Solaker

Kampf um Istanbul

03:45

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Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
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