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Die Türkei in Zeitnot

Hülya Köylü/(fro) 23. Februar 2002

Die Zeit wird knapp für die Türkei. Bis 19. März sollen laut eigenem Zeitplan die kurzfristigen Zusagen an die EU eingelöst werden, um die Prozedur des angestrebten Beitritts nicht zu gefährden.

Für Bülent Ecevit ist die Türkei reif für Europa. Die Realität sieht anders aus.Bild: AP

Premier Bülent Ecevit sieht in dem knappen Zeitplan kein Problem: "Wir haben unsere kurzfristigen Verpflichtungen nahezu gänzlich erfüllt. Die meisten haben wir gar vorzeitig erfüllt. Nun setzen wir unsere Arbeit beschleunigt fort, um unseren mittelfristigen Verpflichtungen nachkommen zu können."

In der Realität gehen die Reformen nur langsam voran

Doch in Wahrheit ist die Türkei in der Erfüllung ihres eigenen Zeitplans noch nicht sonderlich weit gekommen. Die politischen Kriterien sehen die Verabschiedung von 26 Gesetzen und die Änderung von weiteren 32 Gesetzen vor. Vize-Ministerpräsident Mesut Yilmaz, Wortführer der Europa-Befürworter in der Drei-Parteien-Koalition, beteuert zwar ebenfalls, die Türkei werde alle Kriterien rechtzeitig erfüllen, doch auch er weiß, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit noch eine risige Kluft liegt. Zumindest warnt er davor, dass die Türkei vom Beitrittskurs abkommen könnte.

Bereits geändert wurden die Strafgesetzbuch-Paragraphen 312 und 159, die die freie Meinungsäußerung einschränken, ebenso die Paragraphen 7 und 8 der umstrittenen Anti-Terror-Gesetze. Doch die meisten Menschenrechtler, Juristen und internationale Beobachter bewerten die Änderungen als "Farce". Sie argumentieren, die neuen Gesetzestexte hätten die individuellen Freiheiten in Wirklichkeit noch mehr eingeschränkt. Der für Erweiterungsfragen zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen nahm unlängst bei einem Arbeitsbesuch in Ankara kein Blatt vor den Mund und erklärte: Bevor die notwendigen gesetzlichen Fortschritte realisiert worden seien, könne eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht infrage kommen. Das so genannte "Mini-Demokratie-Paket" bleibe "weit hinter den Erwartungen Europas" zurück, so Verheugen.

Abschaffung der Todesstrafe

Als größtes Problem gilt die Todesstrafe: Der konservative Mesut Yilmaz und der linksnationalistische Premier Ecevit befürworten deren bedingungslose Aufhebung. Doch die mitregierenden Rechtsnationalisten um Devlet Bahceli wollen nicht bedingungslos mitziehen.

Vollstreckt wurde die Todesstrafe zuletzt 1984 - seitdem werden Todesurteile in der Türkei faktisch durch Nicht-Behandlung im Parlament automatisch in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Die Rechtsnationalisten beteuern, auch sie sähen die Todesstrafe am liebsten abgeschafft - allerdings nur dann, wenn zuvor in einem letzten Akt der "Staatsfeind Nr. 1", Abdullah Öcalan, erhängt würde.

Doch klar ist: Öcalans Hinrichtung würde in der EU auch dann auf heftige Kritik stoßen, wenn im Gegenzug dafür anschließend die Todesstrafe aus der Verfassung getilgt würde. Der Vizefraktionschef der rechtsnationalistischen MHP-Partei, Ismail Köse, gibt sich jedoch davon überzeugt, dass die Abschaffung der Todesstrafe nicht gegen den Willen seiner Fraktion durchsetzbar sei.

Die Abschaffung der Todesstrafe gestaltet sich aber nicht nur wegen der innenpolitischen Widerstände schwierig. Ein weiterer Haken: Sie ist in vier türkischen Strafparagraphen vorgesehen, die insgesamt 41 Straftatbestände umfassen. Ankara hat zwar mit der Unterzeichnung von internationalen Protokollen und Konventionen längst die Abschaffung der Todesstrafe zugesagt. Es müsste dafür aber außer den Gesetzesparagraphen auch die Verfassung und die Geschäftsordnung des Parlaments ändern - ein äußerst schwieriges Unterfangen.

Die kurdische Sprache

Ein weiteres ungeklärtes Problem ist der Umgang mit der kurdischen Sprache. Die Regierung sträubt sich nach wie vor gegen kurdischen Sprachunterricht. Sie zeigt sich aber flexibler in Sachen kurdischsprachige Medien. Deren Zulassung wird zumindest indirekt in den Kopenhagener Kriterien der EU für Beitrittskandidaten gefordert. Noch keine Lösung in Sicht. Dabei weiß auch Yilmaz: Will die Türkei ihren eigenen Zeitplan einhalten und bis 19. März erste Reformen zugunsten eines späteren EU-Beitritt umsetzen, ist Eile geboten.

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