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PolitikAsien

Die Taliban und die Mädchenschulen

22. September 2021

Die Abhängigkeit von Hilfsgeldern könnte den Kurs der Taliban gegenüber Frauen mäßigen. Die Bildung für Mädchen und Frauen in Afghanistan wird trotzdem nicht einfach sein.

Drei Mädchen arbeiten mit einem Schulbuch
Afghanische Schulmädchen beugen sich über ein Buch - wie wird sich ihr Leben nun verändern? Bild: Florian Bachmeier/imageBROKER/picture alliance

"Die weiterführenden Schulen für junge Frauen ab 12 Jahren werden so bald wie möglich wiedereröffnet", teilten die Taliban am Dienstag mit. Vergangene Woche hatten die Taliban die männlichen Lehrer und Schüler zurück in die Sekundarschulen beordert. Lehrerinnen und Schülerinnen fanden dabei keine Erwähnung. Heftige Kritik in den internationalen Medien war die Folge. Für zusätzliche Verwirrung sorgten widersprüchliche Nachrichten über die Schließung der weiterführenden Schulen für Mädchen.

"Die Taliban sind gespalten und haben momentan keine einheitliche Position, vor allem wenn es um Frauenrechte geht", sagt die Frauenaktivistin Kobra Balooch im Telefonat mit der Deutschen Welle aus Afghanistan. "Der radikalere Flügel der Taliban ordnet heute irgendetwas an; kurz darauf dementiert und korrigiert das dann der pragmatischere Flügel. Deswegen herrschen in verschiedenen Teilen Afghanistans momentan unterschiedliche Regeln, je nachdem, wer dort das Sagen hat." Kobra Balooch illustriert das am Beispiel der Provinz Balch im Norden Afghanistans: "Dort wurden die weiterführenden Schulen für Mädchen schon letzte Woche geöffnet", weiß die Frauenaktivistin.

Die zwei Gesichter der Taliban

Bis zur Machtübernahme der Taliban Mitte August arbeitete Balooch für eine Nichtregierungsorganisation. Die setzte sich für die Koordination zivilgesellschaftlicher Gruppen und Frauenrechte ein. Viele ihrer Kollegen haben aus Angst vor den Taliban das Land verlassen. Die Arbeit, die sie und andere Aktivisten über viele Jahre geleistet haben, habe die Gesellschaft nachhaltig verändert, ist sie überzeugt.

"Es gibt Dinge, die man uns nicht mehr wegnehmen kann. Zum Beispiel Bildung für Mädchen und Frauen. Wenn man sie von Bildung ausschließen würde, würde das viele Afghanen massiv verärgern. Ich glaube, ein Teil der Taliban vermeidet momentan unnötige Provokationen und Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft. Sie wollen die Anerkennung der Weltgemeinschaft gewinnen und Hilfsgelder bekommen. Aber im Kern haben die Taliban sich nicht geändert. Sie lehnen nach wie vor jede Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben ab."

"Tugend" statt Frauenrechte

Nachdem die radikalen Islamisten sich über wenige Monate an die Macht in Afghanistan zurückgekämpft hatten, haben sie vor zwei Wochen ihre Übergangsregierung vorgestellt - ohne jegliche Beteiligung von Frauen. Weibliche Beamtinnen und Behördenangestellte wurde nach Hause geschickt. Das Frauenministerium wurde abgeschafft.

Afghanische Aktivistinnen protestieren gegen Taliban-Beschränkungen - hier vor dem "Tugendministerium" in KabulBild: Haroon Sabawoon/AA/picture alliance

Stattdessen gibt es nun ein "Tugendministerium". Eine solche Behörde war während der ersten Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 unter anderem für Auspeitschungen von Frauen verantwortlich. Generell waren damals Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben in Afghanistan verbannt. Sie durften das Haus nur in Begleitung männlicher Angehöriger verlassen. War eine Frau allein unterwegs, drohten ihr Peitschenhiebe.

Scharia und Geschlechtertrennung

Nach ihrer Machtübernahme hatte die neue Taliban-Führung zunächst eine weniger strikte Auslegung des islamischen Rechts angekündigt; auch die Rechte von Frauen sollten geachtet werden. Dabei hatten die Taliban vor allem westliche Staaten im Blick. Auf deren finanzielle Unterstützung sind die Islamisten angewiesen. Im Ergebnis sollte auch Frauen das Studium an Afghanistans Universitäten möglich sein - wenn auch getrennt von den Männern. Das Bildungssystem soll den Regeln der Scharia folgen. Sollte keine Geschlechtertrennung möglich sein, sollen die Hochschulen zunächst abwechselnde Unterrichtszeiten einrichten oder eine Trennung in den Klassenräumen sicherstellen.

"Momentan werden wir zwischen 13:00 Uhr und 16:00 Uhr unterrichtet. Unsere männlichen Kommilitonen sitzen am Vormittag und späten Nachmittag in den Hörsälen", berichtet Sahar Akbari im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die 25-jährige Afghanin studiert an der Universität Kabul Journalistik und Kommunikationswissenschaft.

Kein Gehalt für Frauen

In geisteswissenschaftlichen Fächern ist die Trennung von weiblichen und männlichen Studenten zwar mühsam und umständlich, aber sie ist möglich. In naturwissenschaftlichen Fächern, wo im Labor gearbeitet oder in ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen, wo es deutlich weniger weibliche Studentinnen gibt, wird eine Trennung deutlich schwieriger. Viele werden sich überlegen, ob sie überhaupt noch studieren wollen - oder auch nicht.

"Ich weiß nicht, ob ich jemals Geld verdienen kann", sagt Sahar Akbari desillusioniert. "Nicht nur als Journalistin. Alle weiblichen Angestellten wurden nach Hause geschickt! Diejenigen, die noch arbeiten dürfen, wie zum Beispiel Ärztinnen, werden nicht bezahlt."

Die Taliban brauchen dringend Geld aus dem Ausland. Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen fordern deswegen von den Geberländern, Zahlungen an strenge Bedingungen zu knüpfen.

Erdrückende Not

Doch die Möglichkeit, Druck durch an Bedingungen geknüpfte Zahlungen aufzubauen, hat gewisse Grenzen, denn die Not in Afghanistan ist groß. Seit dem Abzug der internationalen Truppen steckt die Wirtschaft Afghanistans in der Krise. Schon vorher zählte Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt. Im vergangenen Jahr betrug das Bruttoinlandsprodukt gerade mal rund 20 Milliarden Dollar. Laut Weltbank machten Hilfsgelder fast 43 Prozent davon aus.

Mehr als die Hälfte der rund 39 Millionen Afghanen sei auf humanitäre Hilfe angewiesen, auf Nahrung, Trinkwasser, medizinische Versorgung, Unterkünfte, sagte Simone Pott, Pressesprecherin der Welthungerhilfe, gegenüber der DW Anfang September. Jeder dritte Afghane leide im Moment an Hunger. Eine anhaltende Dürre hat das Land im Griff und viele Menschen haben kaum noch etwas zu verlieren.

"Es ist die Pflicht der internationalen Gemeinschaft und der Länder in der Region, mit der neuen afghanischen Führung diplomatische Beziehungen aufzunehmen", erklärte der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Dienstag. Da hatte er weitere Mitglieder der afghanischen Übergangsregierung vorgestellt. Das Kabinett ist mit Vertretern von Minderheiten jetzt etwas inklusiver. Aber weiterhin sind keine Frauen dabei. "Wir versuchen, das Kabinett weiter zu stärken, und so Gott will, werden Frauen für bestimmte Positionen in den erforderlichen Sektionen ernannt und eines Tages werden wir sie hier bekannt geben", kündigte Mudschahid an.

Es sei die Aufgabe der Weltgemeinschaft, so Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen, die Taliban immer wieder daran zu erinnern, dass Afghanistan ohne die Beteiligung von Frauen keine Zukunft hat.

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