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"Die Thomaner": Der Film über den Chor

14. Februar 2012

Anlässlich des 800-jährigen Jubiläums des weltberühmten Leipziger Chores kommt am 16. Februar ein Dokumentarfilm in die Kinos, der den Alltag der Thomaner unter die Lupe nimmt.

Szene aus dem Film "Die Thomaner" (c) ACCENTUS Music
Bild: ACCENTUS Music

Strahlende Augen, dunkelblonde Locken, engelsgleicher Sopran - der neunjährige Johannes ist außer sich vor Freude: Er hat es geschafft. Er ist Thomaner. Er darf in dem ältesten und wohl berühmtesten Knabenchor der Welt mitsingen. Johann Sebastian Bach hat hier seinerzeit schon die Schüler unterrichtet, zu DDR-Zeiten galt der Chor als Aushängeschild, jetzt ist er längst gesamtdeutsches Prestige-Objekt.

Für Johannes bedeutet die Aufnahme im Chor von Stund an ein strenges Pensum. Für die nächsten neun Jahre sind seine Nachmittage für Proben verplant, und sein neues Zuhause ist auch festgelegt: Er zieht ins Alumnat, ins Schulheim der Thomaner. Modernen Müttern und Vätern wird es beim Anblick der großen Schlafräume mit Bettenreihen im Kasernenstil etwas mulmig. Wer möchte seinen Sohn gerne in einer solchen Umgebung zurücklassen? Deshalb wird fleißig umgebaut, doch auch im neuen Internat wird es "altersgemischte Stuben" geben. Privatsphäre gibt es keine.

In einer Institution wie bei den Thomanern muss man als erstes lernen, zu teilen und ein Stück Individualität abzugeben. Johannes Mutter ist sich nicht ganz sicher, ob der Schritt für ihr Kind das Richtige ist. Aber sie will ihrem Sohn, der so gerne singt, nicht im Wege stehen.

Zu viel heile Welt

"Ein Jahr mit dem Thomanerchor Leipzig" verspricht der Untertitel des Films von Paul Smaczny und Günter Atteln; ein Jahr begleitet die Kamera Johannes und rund 100 weitere Kinder beim Fußballspielen, in den Klassenräumen, beim Vorsingen oder bei der Tournee durch Südamerika.

Thomaner beim VorsingenBild: ACCENTUS Music

Es ist nicht so, dass der Film dem Zuschauer die Probleme des prominenten Chores bewusst erspart. Mal erzählt ein leicht pummeliger Anfänger - "Ultimus" heißt das im Thomaner-Jargon - vor der Kamera von seinem Heimweh, mal verteilt ein "Oberer" wegen Verspätung und sonstigem Unfug Arbeitsstunden an die Jüngeren.

In Leipzig gibt es keine Hogwarts-Schul-Romantik wie man sie aus den Harry Potter-Filmen kennt; es geht recht nüchtern zu. Aber alle schwärmen von der "Tradition des gemeinschaftlichen Zusammenlebens", und der ganze Film wird versöhnlich und erhebend mit Musik von Bach untermalt.

Die Regisseure Paul Smaczny und Günter Atteln haben es allerdings versäumt, den Zwiespalt und vielleicht auch die Zerrissenheit eines jungen Menschen im Spannungsfeld zwischen 800-jähriger Tradition und Moderne herauszuarbeiten. Vergebens wartet man darauf, dass der Kontrast zwischen sakraler Musik und entsakralisiertem Alltag filmisch umgesetzt wird.

Stattdessen sieht man flüchtig ein Plakat des Wacken Heavy Metal Festivals an der Wand einer altersgemischten Stube hängen und bekommt nur nebenbei mit, dass es doch den einen oder anderen Aussteiger gibt. In den Vordergrund stellen die Filmmacher da lieber die Tatsache, dass die Thomaner das Abitur mit der Durchschnittsnote 1,9 schaffen, der besten in ganz Sachsen. Der Eindruck von heiler Welt stellt sich unweigerlich ein.

Thomaner-NachwuchsBild: picture-alliance/dpa

Zwischen Bach und Playstation

"Nett singen reicht nicht!" redet der strenge Kantor des Thomaner-Chores Georg Christoph Biller seinen Schützlingen ins Gewissen und bringt damit den zentralen Konflikt zum Ausdruck. Das ganze Projekt der Thomaner steht für das hartnäckige Streben, alte Kulturwerte zu erhalten. Dazu gehört nicht nur der Gesang, dazu gehören Disziplin und Selbstaufgabe. Bach hat Vorrang vor der Playstation, das Gemeinschaftswohl vor den Wünschen des Einzelnen.

Man glaubt gern, dass es nicht nur Strebertum und Disziplin sind, die die Thomaner zusammenhalten. Aber was ist es dann? Das lässt der Film über den Chor nur ab und zu erahnen – etwa wenn ein jugendlicher Thomaner davon spricht, dass er sich schon heute für das 1000. Jubiläum des Chores zuständig fühlt. Oder wenn ein anderer nicht nur seine Liebe zur Musik proklamiert, sondern diese am Klavier mit verklärtem Gesichtsausdruck auch zum Ausdruck bringt.

Auftritt in der Leipziger NikolaikircheBild: picture-alliance/dpa

Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords

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