Die Top Ten des Wohlstands
28. Januar 2013Nach Ansicht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages war es höchste Zeit für einen neuen Kriterienkatalog. Zwei Jahre lang haben Politiker aller im Parlament vertretenen Fraktionen gemeinsam mit Experten über mögliche Indikatoren dafür diskutiert, wie gut oder schlecht es den Deutschen geht. Zehn sind es am Ende geworden, darunter die Frage, wie die Einkommen in der Bevölkerung verteilt sind, wie hoch das Bildungsniveau ist, wie stabil die Gesundheitsversorgung und wie stark die Umweltbelastung zum Beispiel durch Treibhausgase. Die Bundesregierung soll künftig regelmäßig darüber Auskunft geben, wie der Stand der Dinge in Bezug auf die einzelnen Kriterien ist.
Ganzheitlicher Wohlstandsbegriff
Drei Bereiche sind der Leiterin der Enquete-Kommission, der SPD-Politikerin Daniela Kolbe, besonders wichtig: "Ich bin sehr glücklich, dass wir jetzt über die Verteilung von Wohlstand regelmäßiger Berichte bekommen. Ein zweiter Punkt ist der Zugang zu guter Arbeit und ganz generell finde ich es gut, dass wir den ökologischen Indikatoren einen großen Platz einräumen", sagt sie im Gespräch mit der DW. Dazu gehörten unter anderem das Streben nach einer intakten Umwelt, die Belastung durch Treibhausgase und die Artenvielfalt in Deutschland. Aber auch Bildungschancen und Bildungsniveau, Gesundheit und Lebenserwartung sowie die Qualität sozialer Sicherung und politischer Teilhabe gehören zu dem neuen Katalog. Sogenannte "Warnlampen" sollen darüber hinaus auf beachtenswerte Entwicklungen in Teilbereichen hinweisen. Außerdem ist geplant, Bürgerinnen und Bürger regelmäßig zu befragen, wie sie ihre Lebensqualität und ihre persönliche Zufriedenheit beurteilen.
Lob und Kritik
Für den Bericht erntete die Kommission Lob und Kritik. Die Linkspartei und die Grünen stimmten nicht für den Entwurf. In der Sache unterstützten sie zwar den Plan, die Bemessung des Wohlstandes in Deutschland nach neuen Kriterien vorzunehmen. Aber statt des "Indikatorenwirrwarrs" hätte es laut des Grünen-Obmanns in der Enquete-Kommission, Hermann Ott, einen Wohlstands-Kompass mit nur vier Messwerten geben sollen: Neben dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und der Einkommensverteilung sollten der Verbrauch von Ressourcen und eine Befragung zur Lebenszufriedenheit den wahren Wohlstand anzeigen.
Für den Heidelberger Umweltökonomen Hans Diefenbacher ist der Bericht der Enquete-Kommission vor allem eine verpasste Chance: "Hier ist ein Indikatorensystem entstanden, das nicht besonders neu ist und im Grunde konkurriert mit anderen Systemen, etwa dem, auf dem der alle zwei Jahre erscheinende Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung basiert", sagt der stellvertretende Leiter der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft und Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber der DW. Es gebe keinen einzigen Indikator, der auf Augenhöhe mit dem BIP stehe, kritisiert der Wachstumsforscher.
Diefenbacher verweist auf andere Indikatoren, die es bereits gibt, zum Beispiel den von ihm im Auftrag des Umweltbundesamtes mit entwickelten "Nationalen Wohlfahrts-Index" (NWI), in dem beispielsweise auch Tätigkeiten im Haushalt und im Ehrenamt berücksichtigt werden, deren Wert sonst marktwirtschaftlich nicht mit Geld erfasst werden. Solche Aspekte würden auch im jetzt vorgestellten Bericht nicht berücksichtigt.
Regelmäßige Berichte
Nach dem Willen der Kommission soll es künftig einen jährlichen "Jahreswohlstandsbericht" geben, der - vergleichbar mit dem "Jahreswirtschaftsbericht" - die aufgelisteten Kriterien beleuchtet. Zu ihm müsse sich die Bundesregierung erklären und im Falle widersprüchlicher Entwicklungen auch positionieren. Ein entsprechender Antrag soll noch vor der Sommerpause fraktionsübergreifend im Bundestag eingebracht werden. Der erste Bericht könnte dann 2014 erscheinen.
Darüber hinaus sollen die Bürgerinnen und Bürger stärker als bisher einbezogen werden, sagt die Kommissions-Vorsitzende Daniela Kolbe: "Wir wollen eine Website ins Leben rufen, auf der man sich informieren kann über die verschiedenen Aspekte von Wohlstand und ich bin schon gespannt, welche den Deutschen besonders wichtig sind." Ob Deutschland durch den Bericht der von ihr geleiteten Kommission glücklicher wird? "Nein, sicher nicht!", sagt sie mit einem Lachen. "Aber ich glaube, dass die politischen Debatten zielführender werden, wenn wir unseren Blick weiten als Politiker und sehen, dass Wohlstand viel, viel mehr bedeutet als nur Wachstum, Wachstum, Wachstum, sondern auch Gerechtigkeit, Verteilungsfragen und ökologisch vernünftige Politik umfasst."