1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Jamaika": davor kleine Steine, große Brocken

Marcel Fürstenau mit dpa, AFP, Reuters
15. November 2017

CDU/CSU, FDP und Grüne bewegen sich bei ihren Koalitionsgesprächen auf einem schmalen Grat. Die Gefahr abzustürzen, ist allgegenwärtig. Entsprechend gereizt ist die Stimmung kurz vor Toresschluss.

Felsen
Bild: Colourbox

Sie haben sich das Ultimatum selbst gestellt: Spätestens in der Nacht von Donnerstag auf Freitag muss die Entscheidung über schwarz-gelb-grüne Koalitionsverhandlungen fallen. Noch befinden sich die Unionsparteien CDU/CSU, Freie Demokraten und Grüne nur in Sondierungen. Angesichts der Detailtiefe haben die Mitte Oktober begonnenen Gespräche aber längst den Charakter von Verhandlungen. Bester Beleg dafür ist der weiter schwelende Streit über den Umgang mit Flüchtlingen.

Beim Thema Migration sei "in der Sache noch nichts erreicht", sagte FDP-Chef Christian Lindner am Mittwoch. Seine Partei lehnt wie die Union weiterhin die Forderung der Grünen ab, Familienangehörige von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus nach Deutschland nachziehen zu lassen. Wie ernst es die Umweltpartei beim Thema Migration und Asyl insgesamt meint, lässt ihr promptes Dementi einer vermeintlichen Einigung erahnen.

Erfassung per Fingerabdruck - zentral oder dezentral? Jamaika-Sondierer streiten darüber Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Zunächst hatte die Nachrichtenagentur "Reuters" gemeldet, die Grünen würden die Abwicklung aller Asyl-Verfahren in Aufnahme- und Entscheidungszentren akzeptieren. Solche Einrichtungen gibt es schon in Bayern. Was so klang, als wäre die Partei auf CSU-Kurs eingeschwenkt, stellte sich schnell anders dar. "Beim Thema Flucht sind die großen Fragen immer noch offen", sagte ein Sprecher der Grünen. Es gebe "keine Einigung über Zentren nach Vorstellung der CSU". Während die Union deutschlandweit zentrale Rückführungszentren nach bayerischem Vorbild errichten will, pochen die Grünen darauf, "Ankunft und Ausreise zwingend voneinander zu trennen und Schutzsuchende schnellstmöglich auf die Kommunen zu verteilen". 

Eine kleine Erfolgsmeldung beim Thema Zuwanderung

Einer der größten Brocken in den Sondierungsgesprächen wird also wohl erst im letzten Moment aus dem Weg geräumt werden. Sollte der Versuch misslingen, wäre das gleichbedeutend mit dem Scheitern der angepeilten schwarz-gelb-grünen Koalition. Immerhin haben die vier Parteien auf dem weiten Feld der Zuwanderung ein anderes Steinchen beiseite geschoben. Für den deutschen Arbeitsmarkt sollen demnach gezielt hochqualifizierte Fachkräfte angeworben werden. Als wichtigste Kriterien werden neben der Ausbildung Alter und Sprache genannt.

Ein brennendes Problem auf dem Weg zu einer Jamaika-Koalition ist der künftige Umgang mit Kohle Bild: Fotolia/bofotolux

Dissens besteht weiterhin in den Bereichen Umwelt-, Finanz- und Europapolitik. Ein Kompromiss ist weder beim Wunsch der Grünen nach einem Kohle-Ausstieg in Sicht noch beim Solidaritätszuschlag für Ostdeutschland, den die FDP abschaffen will. Die Liberalen lehnen außerdem einen Stabilitätsmechanismus innerhalb der Europäischen Union ab. Damit soll finanziell in Not geratenen Mitgliedssaaten geholfen werden.

Ein Jamaika-erfahrener Grüner gerät ins Zweifeln

Bei so vielen ungelösten Fragen fällt es manchem Teilnehmer an den Sondierungsgesprächen schwer, an einen Erfolg für das anvisierte Jamaika-Bündnis zu glauben. Zu den Skeptikern gehört Robert Habeck von den Grünen. Der Umweltminister Schleswig-Holsteins taxiert die Chancen bestenfalls noch auf Fifty-Fifty. Vor einer Woche habe er sie noch bei 80 Prozent gesehen, sagte Habeck am Mittwoch. Dabei könnte Habeck Optimist aus Erfahrung sein, denn in seinem Bundesland regiert seit dem Sommer eine Jamaika-Koalition.

In der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin rauchten auch am Mittwoch die Köpfe der Jamaika-Sondierer Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Am optimistischsten gaben sich, wie schon am Dienstag, die Liberalen. Europa-Politiker Alexander Graf Lambsdorff sagte, er sei zuversichtlich, im vorgesehen Zeitrahmen eine Einigung erzielen zu können. Und sein Parteichef Christian Lindner ließ sich mit diesen Worten vernehmen: "Vorwärts geht's gut." Beide Einschätzungen stammten allerdings vom Morgen der vorletzten Sondierungsrunde. Am Abend platzte dann einem Anderen der Kragen: Winfried Kretschmann. Der Grünen-Ministerpräsident Baden-Württembergs forderte die CSU auf, mit ihren "pauschalen Angriffen" auf seine Partei  aufzuhören.

Kretschmann: "Oder man sagt gleich, man will das nicht haben"

Zuvor hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der Umweltpartei Blockadehaltung bei den Themen Außenpolitik, Verteidigung und Europa vorgeworfen. Kretschmanns Konter zu fortgeschrittener Stunde: Entweder wolle man gemeinsam was machen, dann unterlasse man öffentliche Angriffe auf andere Verhandler, "oder man sagt gleich, man will das nicht haben". Wenig Fortschritte bei den Inhalten und sogar Rückschritte im Umgang miteinander - Jamaika liegt anscheinend noch in weiter Ferne. Kleine Steine und große Brocken versperren noch die freie Fahrt zum Ziel.  

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen