1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Träume syrischer Kurden lösen sich auf

Anchal Vohra ehl
10. Januar 2019

US-Präsident Trump will seine Truppen aus Syrien abziehen, die Machtverhältnisse ordnen sich neu. Die Kurden drohen zwischen mehreren Seiten aufgerieben zu werden. Sie müssen nun ihre Verbündeten wählen.

Syrien Bewaffneter in der der von Kurden kontrollierten Stadt Manbidsch
Alltag in Manbidsch: Der Militärrat will die Sicherheit der Zivilbevölkerung gewährleistenBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Der größte Wunsch der Kurden in Syrien ist Autonomie, aber fürs Erste müssen sie hoffen, im Norden Syriens nicht unter die Räder zu kommen. Für die Menschen in der Stadt Manbidsch waren die letzten Tage des alten Jahres turbulent: Erst hat US-Präsident Trump via Twitter angekündigt, die 2000 amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen. Dann zog die Türkei Truppen an der nahe gelegenen Grenze zusammen - verbunden mit einer unverhohlenen Drohung an die Kurden. Dazu kamen noch die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad nach Manbidsch, und Berichten zufolge wurden hunderte kurdische Kämpfer abgezogen.

Seitdem haben sich die Stellungen nicht mehr wesentlich geändert, und Abdullah ist zuversichtlich, dass die Kurdenmiliz YPG weiter in Manbidsch präsent bleibt. Der 26-jährige Kurde, der eigentlich anders heißt, ist Vater zweier Töchter. Er lebt selbst in der Stadt, die die YPG als Teil einer Anti-IS-Koalition unter Führung der USA von den Kämpfern der Dschihadistenmiliz IS 2016 befreit hatte. "Gerade steht die Stadt unter Kontrolle des Militärrats von Manbidsch", sagte Abdullah der DW. Im Militärrat sind hauptsächlich Kurden, aber auch Araber vertreten. "Sie verwalten die Stadt, und niemand sonst."

Erdogan lässt die Muskeln spielen

Manbidsch liegt gerade einmal 32 Kilometer südlich der türkischen Grenze. Die Stadt ist zum wohl größten Zankapfel des Syrienkrieges geworden, seit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit einer Offensive gedroht hat, sollte die YPG nicht ihre Stellungen aufgeben. Die Türkei betrachtet die YPG als Untergruppierung der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die von der türkischen Regierung als sezessionistische Terrorgruppe geächtet wird.

Im Umland von Manbidsch sind im Dezember 2018 türkische Einheiten eingetroffenBild: Reuters/K. Ashawi

Obwohl die Kurden mit einer solchen Offensive schon seit einiger Zeit rechnen, waren viele schockiert. Hektisch baten sie sogar das Assad-Regime, Manbidsch vor den Türken zu schützen. Dementsprechend war die Ankunft der Syrischen Armee am Stadtrand von Manbidsch und der damit verbundene Landgewinn für Assad keine weitere Bedrohung, sondern eine Beruhigung für viele Bewohner der Stadt.

Für die Kurden stellt ein Abzug der US-Truppen, ganz gleich wie langsam oder schnell er vonstatten gehen würde, ein großes Risiko dar: Sie verlieren damit nicht nur eine Schutzmacht, die einer türkischen Offensive bislang vorgebeugt hat. Damit rückt auch das politische Ziel einer zusammenhängenden autonomen Kurdenregion in weite Ferne, die die Grenzstadt Afrin im Nordwesten mit der östlich gelegenen Stadt Kobane verbinden würde. Afrin verloren die Kurden bereits im Februar 2018 an syrische Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden. Bisher hofften sie, die östlich gelegenen Gebiete um Manbidsch, Rakka und Kamischli weiter halten zu können.

Jetzt stellt sich die Frage, wie sie den Dammbruch aufhalten können, und dazu drängen sich genau zwei Optionen auf: Entweder sie überreden die Amerikaner zu bleiben oder sie überreden Assad zu Zugeständnissen. "Der kurdische Traum ist ein autonomes Gebiet, das von den Menschen verwaltet wird, die dort leben", sagt Abdullah.

Steht ein Rückzug der YPG bevor?

Dabei ist gar nicht ganz klar, ob überhaupt noch eine nennenswerte Zahl kurdischer Kämpfer in Manbidsch ist: "Sie sind vor einer Weile abgezogen, das wurde mehrfach offiziell von der YPG angekündigt", sagt Fawjia Yousif von der kurdischen Regionalregierung. Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete von 400 Kämpfern, die die Stadt in einem Konvoi aus 30 Fahrzeugen Richtung Euphrat verlassen hätten - die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von 250 abgezogenen Milizionären. Der Militärrat von Manbidsch wies hingegen Berichte über einen Abzug zurück.

Ein kompletter Abzug ist aus Sicht von Nick Feras vom Center for a New American Security in Washington nur noch eine Frage der Zeit: "Die YPG muss sich aus Manbidsch zurückziehen, schlicht und einfach. Es ist geopolitischer Konsens, dass die YPG zu weit gegangen sind, indem sie Manbidsch gehalten haben, und jetzt müssen sie sich an das Ostufer des Euphrat zurückziehen. Sogar die Amerikaner haben beschlossen, dass die YPG nicht mehr in Manbidsch bleiben können."

Wenn die kurdischen Kämpfer tatsächlich abgezogen sind oder dies vorhaben, würde die Türkei ihre Invasionspläne wohl nicht in die Tat umsetzen. Aber selbst wenn diese Gefahr abgewandt wäre, bleibt für die Kurden die Frage, ob sie am Ende nur ein winziges Rädchen sind in diesem großen geopolitischen Getriebe.

Früher oder später winken die US-Soldaten in Syrien zum endgültigen AbschiedBild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

Was bedeutet die Position der USA für die Kurden?

Der IS ist von der Landkarte weitgehend verdrängt worden, allerdings gibt es Befürchtungen, dass damit noch lange nicht die Ideologie der Terrormiliz verschwunden ist. Während des Krieges versprengte Anhänger könnten sich wieder sammeln, wenn die US-Truppen abziehen und die verschiedenen Akteure die Machtverhältnisse in der Region neu ausmachen. Als Reaktion auf Trumps Ankündigung haben sowohl US-Verteidigunsminister James Mattis und der US-Gesandte der Anti-IS-Koalition, Brett McGurk, ihre Posten geräumt. Und als der Druck weiter stieg, begann Trump, den Zeitpunkt des Abzugs immer weiter zu verzögern. "Wir wollen die Kurden schützen, aber ich will nicht für immer in Syrien bleiben, es besteht aus Sand und Tod", sagte er kürzlich.

Deutlicher wurde sein nationaler Sicherheitsberater, John Bolton. Er reiste eigens nach Israel, um die Ängste des Bündnispartners vor einem Machtvakuum im Nachbarland zu beschwichtigen und versprach, der Rückzug sei an Bedingungen geknüpft.

Für die Kurden ist das Verhalten der USA schwer zu deuten und es ist unklar, auf wen sie sich noch verlassen können. Solange Washington die Frist bis zum Abzug weiter verlängert, bleiben sie immerhin in einer Verhandlungsposition, um Assad eine Vereinbarung abzutrotzen.

Annäherung an Assad

Dass Verhandlungen zwischen den Kurden und dem Assad-Regime laufen, bestätigte Fawjia Yousif von der kurdischen Regionalregierung: "Es gab kürzlich Gespräche mit dem Regime über die Situation in Manbidsch", sagte sie. "Diese Gespräche müssen außerdem zum Ziel haben, die Krisen in Syrien nach und nach zu lösen, also auch die Gebiete der autonomen Regierung in Nordostsyrien."

Aaron Stein, der das Nahostprogramm des Foreign Policy Research Institute in Philadelphia leitet, sieht Vorteile in einer Annährung der Kurden an das syrische Regime. "Die Kurden haben genau eine Chance, einen Deal zu erzielen", sagte er, "aber sie müssen warten, bis die USA sich zurückziehen und mit dem Regime übereinkommen, dass sich beide zeitgleich bewegen."

Bisher hat Assad sich geweigert, den Kurden ihren Wunsch nach Autonomie zu gewähren. Aber die Kurden hoffen, dass sie ihm im Laufe der Zeit Zugeständnisse abringen.

Abdullah sagt, die Zukunft der Kurden liege in Syrien, und sie wollten nichts weiter als eine eigene Regierung. "Das muss keine Abspaltung oder einen unabhängigen Staat bedeuten."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen