Die Tragik des Tropenparadieses
26. April 2019Der Tag, der Sunil Weersingh fast das Leben kostete, war ein Montag im September 1991. Der Soldat wollte kurz auf die Toilette - nach stundenlangem regungslosem Ausharren, verschanzt in einer Stellung mitten im Dschungel. Kaum war er über die Sandsäcke geklettert, traf ihn ein Schuss am rechten Knie. Eine weitere Kugel durchbohrte sein rechtes Schienbein, bevor er sich in letzter Sekunde hinter die schützende Stellung rettete.
Sunil Weersingh, mittlerweile 52 Jahre alt, lockiges, zum Zopf gebundenes Haar, sitzt im Büro des Strandhotels, das er im Nordosten Sri Lankas betreibt. Er zeigt auf die Narben. Sein Name ist zu seinem Schutz geändert. Denn Weersingh gehörte zwölf Jahre lang einer Spezialeinheit der sri-lankischen Armee an. Im Dschungel spürten er und seine Männer den Tamil Tigers nach, extremistischen Milizen, die mit Anschlägen über Jahrzehnte Angst und Schrecken auf der Insel im Indischen Ozean verbreiteten.
Die Vereinten Nationen werfen jedoch auch den Regierungstruppen Menschenrechtsverbrechen vor. Davon will Ex-Soldat Weersingh nichts wissen. Und doch steht seine Geschichte für ein Land, das auch zehn Jahre nach dem Ende des bewaffneten Konflikts tief zerrissen ist - ganz unabhängig von der Anschlagsserie am Ostersonntag.
Hunderttausend Tote im Bürgerkrieg
Im Mai 2009 endete in Sri Lanka ein Bürgerkrieg, in dem bis zu 100.000 Menschen ums Leben kamen. Auf der einen Seite die Tamil Tigers, die ihr Ziel - ein unabhängiger Tamilenstaat im Norden des Landes - auch mit Terror verfolgten. Auf der anderen Seite die Armee, die bei ihrem Kampf gegen die Aufständischen auch zivile Opfer in Kauf nahm. Bis heute sind die Verbrechen des Bürgerkriegs nicht aufgearbeitet. Und das spürt man in Sri Lanka - selbst wenn man nur als Tourist auf der Insel unterwegs ist.
Paradiesische Strände am Indischen Ozean, spektakuläre Zugstrecken durch das Hochland, Tee, Zimt und sehr liebenswerte Menschen - aus dem bürgerkriegsgeplagten Land ist inzwischen ein beliebtes Reiseziel geworden. Die Zahl der Touristen hat sich nach offiziellen Angaben in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht. In diesem Jahr hat der Reiseführer "Lonely Planet" die Insel zum Reiseziel Nummer eins erkoren.
Der Tourismus galt vielen als friedensstiftende Macht, der Buddhisten, Hindus, Muslimen und Christen gleichermaßen gute Geschäfte bescherte. Doch nach den Terroranschlägen an Ostern steht der Branche ein Einbruch bevor, von dem noch keiner weiß, wie stark er ausfallen und das Land zurückwerfen wird.
Spannungen im Urlaubsparadies
Die Selbstmordattentate - mutmaßlich von Islamisten - auf christliche Kirchen und Hotels seien "völlig untypisch für Sri Lanka" - darin waren sich Experten schnell einig. Denn nicht Spannungen zwischen Christen und Muslimen, die zusammen nur rund 18 Prozent der Bevölkerung ausmachen, prägten über Jahrzehnte das Land. Die moderne Geschichte Sri Lankas wurde vielmehr vom Konflikt zwischen der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit und der tamilisch-hinduistischen Minderheit bestimmt.
"Bist du Singhalese, Tamile oder Muslim?" Das sei die Frage, die man in vielen Landesteilen immer noch zuerst höre, berichtete Weersingh in einem Gespräch Anfang des Jahres in der Tourismushochsaison. Als Singhalese und Geschäftsmann habe er im Norden des Landes ein schweres Los. Ende der 1990er Jahre war er nach Europa ausgewandert, wollte die Gewalt hinter sich lassen. Dann kehrte er zurück, um als Yoga-Lehrer mit seinen Ersparnissen sein Hotel aufbauen. Die nördlichen Provinzen sind touristisch bisher kaum erschlossen, die Strände genauso schön wie im Süden oder Westen.
Buddhisten - Hindus - Muslime - Christen
Doch die lokalen Behörden seien teils immer noch mit Angehörigen der Tamil Tigers besetzt und hätten ihm, dem Buddhisten, Steine in den Weg gelegt. "Meine Töchter sollen hier nicht zur Schule gehen", sagt Weersingh. Er erzählt das im Januar in seinem Büro, hinter geschlossener Tür. Seine Angestellten im Hotel, die Tamilen und Muslime sind, sollen nicht wissen, dass er mit einem Reporter spricht. Er überlegt jetzt, den Betrieb zu verkaufen und einen Neustart in der Hauptstadt Colombo zu versuchen. Die schrägen Blicke, die Diskriminierung, das sei ihm und seiner Familie trotz paradiesischer Kulisse zu viel geworden.
Über Diskriminierung kann freilich auch die andere Seite berichten. Tanga Lassa ist Bauer und Tamile. An seinem Verkaufsstand, vier Kilometer von Weersinghs Hotel entfernt, hängen Kokosnüsse und Bananen. "Hausdurchsuchungen und Schikanen der Soldaten waren hier bis vor Kurzem an der Tagesordnung", sagt der 56-Jährige. Mit den Extremisten habe er nie etwas zu tun gehabt, "wie die wenigsten hier". Doch auch Lassa meint, die Regierung solle den Tamilen mehr Selbstverwaltung erlauben.
Spannungen seit der Unabhängigkeit
Für Christian Wagner, Südasien-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, liegt genau hier der Knackpunkt. "Auch zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs ist die Frage der Repräsentation der tamilischen Minderheit nicht gelöst." Wagner nennt es die "Tragik dieses Landes".
Die britischen Kolonialherren hatten im 19. Jahrhundert die Tamilen aus Indien als Arbeitskräfte im damaligen Ceylon angesiedelt. Doch für die bis heute spürbaren Spannungen habe vor allem die Politik nach der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 gesorgt, sagt Wagner. "Erst wurde Singhalesisch als erste Amtssprache eingeführt und später auch noch den Buddhismus als privilegierte Religion in der Verfassung festgeschrieben." Für die Tamilen sei das eine Provokation gewesen, "die die Tamil Tigers dann radikal ausnutzten".
Auch jetzt, zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, sind die Wohnviertel der verschiedenen religiösen Gruppen vielerorts scharf voneinander getrennt, und man trifft kaum einen Singhalesen, der Tamilisch spricht oder umgekehrt. Doch die Touristen und der Handel mit Indien und China haben dem Land einen rasanten Aufstieg beschert. "Die Menschen in Sri Lanka wollen einfach nur Frieden", sagt Ex-Soldat Weersingh, nur wenige Wochen, bevor die Osterattentate den Terror in das Tropenparadies zurückbrachten. In der bis Ende des Jahres anstehenden Präsidentenwahl müssen die Parteien erklären, wie sie dauerhaft Frieden garantieren wollen - mit allen Volksgruppen an einem Tisch.