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Europarat

22. Juni 2011

Derzeit führt die Ukraine den Vorsitz im Europarat. Präsident Wiktor Janukowitsch hatte die Möglichkeit, vor der Parlamentarischen Versammlung zu sprechen. Viola von Cramon, Bündnis90/Die Grünen, bewertet die Rede.

Viola von Cramon, Mitglied des Deutschen Bundestages (Foto: Bündnis90/Die Grünen)
Viola von Cramon, Mitglied des Deutschen BundestagesBild: S. Kaminski/Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

DW-WORLD.DE: Frau von Cramon, wie haben die Delegierten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) auf Wiktor Janukowitsch reagiert?

Viola von Cramon: Wiktor Janukowitsch hat versucht, die Ukraine als ein neues, modernes, demokratisches Land darzustellen, das jetzt aufräumt, was die frühere Regierung hinterlassen hat. Er hat relativ lange geredet, dadurch konnten nicht viele Fragen gestellt werden. Aber die, die gestellt wurden, haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Es wurde selbstverständlich nach Julia Timoschenko gefragt. Sie war nach Straßburg eingeladen worden, hatte aber keine Ausreiseerlaubnis bekommen. Gefragt wurde: Wie kann das sein, wenn es ein demokratisches Land ist? Wie kann es sein, dass sich derzeit so viele frühere Regierungsmitglieder und -mitarbeiter in Haft befinden? Warum eine selektive Justiz? Dann wurde natürlich nach der Korruption gefragt. Warum nach Einschätzung von Transparency International die Korruption nicht gesunken, sondern nach Janukowitschs Amtsübernahme gestiegen ist? Auf all diese Fragen gab es keine zufriedenstellenden Antworten.

War die Frage nach der früheren Premierministerin Timoschenko, gegen die in Kiew Ermittlungen laufen, nicht zu erwarten gewesen, genauso wie die Antwort darauf?

Jeder, der sich mit dem Land beschäftigt, weiß, dass die Staatsanwälte und vor allem die Richter nicht unabhängig sind. Aber Janukowitsch sagt: "Ich darf doch nicht dem Staatsanwalt sagen, gegen wen er Anklage erheben soll." Das ist sicherlich richtig. Aber wenn man mit Menschen spricht, die im Justizwesen tätig sind, dann weiß man, dass es starken staatlichen Druck gibt. Wenn man sieht, wer im Moment im Gefängnis sitzt, dann ist klar, dass die Justiz nicht objektiv und nicht unabhängig ist, sondern dass sie staatlichen Einflüssen unterliegt und diese nicht geringer, sondern stärker werden. Das haben wir auch deutlich gemacht. Die Kritik an der Regierungspolitik und -führung Janukowitschs und seiner Partei der Regionen kam nicht nur von einer Partei in der PACE. Das heißt, alle Vertreter, die die Möglichkeit hatten, eine Frage zu stellen, haben sehr kritische Fragen gestellt.

Seitens der russischen Delegation gab es keine kritischen Fragen an den ukrainischen Präsidenten. Janukowitsch hatte zuvor gesagt, von einer gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit zwischen Kiew und Moskau würden nicht nur beide Staaten profitieren, sondern ganz Europa und die Welt.

Wenn es wirklich eine partnerschaftliche Zusammenarbeit ist, dann glaube ich das auch. Wenn es wirklich dazu kommt, dass man Russland einbinden kann in einer Form, dass es die anderen Länder als Partner und nicht als Beherrschte ansieht, dann wäre das ein Schritt nach vorn. Es kann natürlich nicht sein, dass es eine asymmetrische Zusammenarbeit gibt. Das heißt: Russland bietet der Ukraine etwas an mit großem Druck und Drohpotential. Wenn die Ukraine mitmacht, wird sie belohnt und bekommt niedrige Gaspreise. Wenn sie sich aber politisch widersetzt, wird sie bestraft und muss Weltmarktpreise für Gas bezahlen. Das ist für uns keine Form von partnerschaftlicher Zusammenarbeit.

Wie werden sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU unter den gegenwärtigen Bedingungen entwickeln? Kiew fordert bekanntlich eine echte Beitrittsperspektive.

In absehbarer Zeit wird man der Ukraine keine echte Beitrittsperspektive anbieten können, so schade das ist, aber es steht nicht an. Allerdings glaube ich, dass die Ukraine ernsthaft damit rechnen kann, dass es demnächst eine engere Zusammenarbeit mit der EU geben wird. Und die EU hat zu Recht ein großes Interesse daran, dass es demnächst die Assoziationsabkommen gibt. Aber dafür muss die Ukraine innenpolitisch besser werden. Die Opposition und die parlamentarischen Rechte müssen gestärkt werden. Dazu muss man ein Wahlrecht verabschieden, das eine echte Reform ist. Derzeit zeigt die Ukraine nicht, dass sie demokratische Reformen will, sondern sie zeigt, dass sie die Demokratie zerschlägt, die Medienfreiheit einschränkt und die Rechte der Opposition verringert. Man kann nicht über einen EU-Beitritt reden, wenn man gerade eine Politik macht, die genau in die gegenteilige Richtung geht. Grundsätzlich: Wenn die Ukraine eine bessere Regierung macht und zeigt, dass sie wirklich Richtung Westen gehen will, dann muss man ihr auch eine Beitrittsperspektive eröffnen.

Das Interview führte Natalja Nedilko

Redaktion: Markian Ostaptschuk

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