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Die USA wenden sich von ihrem Hinterhof ab

Dennis Stute18. August 2005

Mit dem erlahmten Interesse der USA an Südamerika ist der Freiraum der dortigen Regierungen gewachsen. Unterdessen drängt China auf den Subkontinent.

Protestierende Indios in BolivienBild: AP
Donald Rumsfeld bei seinem Besuch in ParaguayBild: AP

Aus dem Mund eines Haudegens wie Donald Rumsfeld klang es fast altersmilde. "Es gibt Hinweise, dass sowohl Kuba als auch Venezuela sich in wenig hilfreicher Weise in die Lage in Bolivien eingemischt haben", sagte der US-Verteidigungsminister zum Auftakt seiner Lateinamerika-Reise, die noch bis Donnerstag (17.8.2005) dauert. "Wenn man in einem Land Probleme mit der Stabilität sieht, wünscht man sich, dass sie in demokratischer, friedlicher Weise gelöst werden." Politische Stabilität ist eines der Schlüsselworte, um die es bei Rumsfelds Besuch in Paraguay und Peru gehen soll.

Förderanlagen des staatlichen Ölkonzerns Petroleos de VenezuelaBild: AP

Beide Länder grenzen an Bolivien, wo Proteste der verarmten indigenen Bevölkerung in den vergangenen beiden Jahren zwei Präsidenten zu Fall gebracht haben. Der linke Indio-Führer Evo Morales gilt als aussichtsreicher Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen Anfang Dezember. Im Norden von Peru liegt Ecuador, das in neun Jahren neun Präsidenten hatte und inzwischen als unregierbar gilt; im benachbarten Kolumbien kann angesichts eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs von Stabilität ebenfalls keine Rede sein. Im östlich davon gelegenen Venezuela regiert sei sechs Jahren der linke Präsident Hugo Chavez, der die traditionell enge Anbindung des Landes an die USA aufkündigte und US-amerikanische Ölgesellschaften ihrer Privilegien beraubte.

Neue Prioritäten nach 9/11

"Neben Kuba ist Venezuela für die USA inzwischen das größte Reizthema in Lateinamerika", sagt Detlef Nolte vom Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg. Denn die USA beziehen rund 15 Prozent ihres Erdöls aus Venezuela, dem fünftgrößten Ölexporteur der Welt. Den gescheiterten Putschversuch gegen Chavez - für den der Freund Fidel Castros die USA verantwortlich machte - hätten die Amerikaner mit Wohlwollen betrachtet, sagt Nolte. Doch über eine sehr unterschwellige Destabilisierung seiner Regierung, etwa durch die Unterstützung von Oppositionsgruppen, werde die Einflussnahme wohl nicht hinausgehen. "Die Reizschwelle der USA würden die Venezolaner erst dann überschreiten, wenn sie die Ölexporte massiv einschränkten."

Größerer Freiraum

Der venezolanische Präsident Hugo Chavez während eines Busuchs im Dezember bei Fidel Castro in KubaBild: AP

Die USA sind milde geworden in einer Region, die sie zusammen mit Zentralamerika jahrzehntelang als ihren Hinterhof betrachtet haben. Wendepunkt sei der 11. September 2001 gewesen, sagt Nolte. "Durch die Dynamik, die nach den Terroranschlägen entstanden ist, stellt Lateinamerika aus US-Sicht kein akutes Problemfeld mehr da. Es ist auf der außenpolitischen Agenda nach unten gerutscht", sagt der Lateinamerika-Experte. "Durch dieses Desinteresse - trotz nach wie vor großem potenziellen Einfluss - hat sich für die Lateinamerikaner ein gewisser Freiraum ergeben."

"Die USA haben sich systematisch aus dem südamerikanischen Raum zurückgezogen", meint auch Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Inzwischen beschränke sich das US-Engagement weitgehend auf die Drogenpolitik und darauf, ein Vordringen der organisierten Kriminalität aus Kolumbien zu verhindern. Diese Themen stehen bei Rumsfelds Besuch ebenfalls auf der Tagesordnung. Neben einer Prioritätenverschiebung durch den Krieg gegen den Terror sei bei dem Rückzug auch die veränderte Rolle Brasiliens zum maßgeblichen Akteur in der Region ein wesentlicher Faktor: "Washington billigt Brasilien gewissermaßen eine Statthalterrolle zu." Die linke Regierung von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva habe es geschickt verstanden, eine Konfrontation zu vermeiden und die eigene Rolle in der Region mit den Interessen der USA abzugleichen.

Brasilien als Ordnungsmacht?

Indigene Bolivianer protestieren im Juni gegen den damaligen Präsidenten Carlos MesaBild: AP

Zwar seien die Pläne der USA, bis 2005 eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland zu schaffen, vor allem an Brasilien gescheitert, das die eigene Industrie mit weiteren Zollschranken schützen will, erläutert Maihold. Doch könnte das Land den Widerstand schon bald aufgeben, falls Ende des Jahres die so genannte Doha-Runde der Welthandelsorganisation zum Abbau von Handelshemmnissen zu Abschluss gebracht wird. Zudem könnten die USA, womit sie bereits begonnen haben, das multilaterale durch viele bilaterale Abkommen ersetzen.

Der Politologe Nolte dagegen hält die Beziehungen zwischen den beiden Ländern für ambivalent. Die USA schätzten Brasilien zwar als Ordnungsfaktor in den Andenländern oder wenn es etwa darum gehe, die Venezolaner einzubinden, aber: "Man reagiert ein bisschen allergisch auf die Vorstellung Brasiliens, eine Führungsmacht zu werden, die eine Art Staatengemeinschaft um sich schart." Ein Beispiel sei der Konflikt um den Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten Anfang des Jahres gewesen. Washington habe versucht, mit einem Mexikaner einen Kandidaten aus seiner Einflusssphäre durchzusetzen, während Brasilien einen Chilenen unterstützte und sich nach einem Patt letztendlich Erfolg hatte.

Amerika geht, China kommt

Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva spricht im Januar auf dem Weltsozialforum in Porto AlegreBild: AP

Während sich die USA zurückziehen, drängt mit China ein neuer Akteur auf die Bühne. Ende 2004 unterzeichnete Präsident Hu Jintao 39 Handelsabkommen mit fünf lateinamerikanischen Staaten und sagte Investitionen in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar zu. In Venezuela sicherte sich China das Recht, 14 Öl- und Gasfelder zu erschließen. Neben dem enormen Ressourcenbedarf der chinesischen Wirtschaft lägen dem Engagement auch strategische Interessen zugrunde, sagt Günther Maihold: Taiwan habe durch die Unterstützung von Kleinstaaten in der Region deren Beistand in den Vereinten Nationen gewonnen. Diesen Einfluss wolle China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, nun zurückdrängen.

"In den USA wird das chinesische Engagement derzeit noch als Störfaktor betrachtet, der wahrgenommen wird, aber nicht oben auf der Liste steht", sagt Detlef Nolte. In Veröffentlichungen amerikanischer Thinktanks werde das Engagement allerdings schon jetzt als Problem dargestellt: "Die Argumentation lautet etwa: Jedes Barrel Öl, das nach China geht, geht uns verloren."

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