1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Die VAE als Vorbild für Frauenrechte in der Region?

15. April 2021

Die Vereinigten Arabischen Emirate bilden eine Frau zur Astronautin aus und erhalten internationales Lob für ihre Anstrengungen zur Gleichstellung von Frauen. Doch es gibt mehrere deutliche Schattenseiten.

VAE Symbolbild Zukunft der Frauen
Frauen in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Strandszene aus DubaiBild: Karim Sahib/AFP

In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sorgen Frauen derzeit für Positiv-Schlagzeilen. Erst vor wenigen Tagen wurde die 28-jährige Nura al-Matruschi zur ersten weiblichen Astronautin für das ambitionierte Raumfahrtprogramm des Landes ernannt. Doch Al-Matruschi ist längst nicht die einzige Frau in dieser Branche. Angaben des Forschungsministeriums der VAE zufolge stellen Frauen 80 Prozent des wissenschaftlichen Teams hinter der aktuellen Mars-Mission.

Der jährliche Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) bezeichnet die VAE als "führend bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Nahen Osten". Zudem zählt er sie zu den "fünf Ländern mit den größten Verbesserungen im Gesamtindex". Demnach haben sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede im vergangenen Jahr noch einmal verringert: Angesichts dieser Entwicklung liegen die VAE in diesem Jahr auf Platz 72 von 153 Ländern. Im Jahr 2020 standen sie noch auf Platz 120.

Dem Forbes-Magazin zufolge sind Frauen aus den VAE in der Liste der einflussreichen Geschäftsfrauen im Jahr 2020 "mit 23 Einträgen die am häufigsten vertretene Nationalität". Auch verweist das Magazin auf Pläne der VAE, die Rolle der Frauen zu fördern, etwa auch durch gleichwertige Entlohnung.

Ihr Kopftuch darf Nura al-Matruschi - hier mit ihrem Kollegen Mohammed al-Mulla - auch während des Trainings tragen, solange es nicht den technischen Regeln und Vorgaben entspricht, teilte die NASA der DW mit.Bild: WAM/AP Photo/picture alliance

Eingesperrte Prinzessinnen?

Allerdings stehen diesen Fortschritten auch negative Entwicklungen gegenüber. Seit Jahren bestehen Vorwürfe gegen den Emir von Dubai, Mohammed bin Raschid Al-Maktoum, dieser halte zwei seiner Töchter in Gefangenschaft. Tatsächlich ist der Aufenthaltsort seiner Töchter Latifa und Shamsa nicht bekannt. Entweder sind sie verschwunden oder trotz internationaler Kritik unter strengem Hausarrest.

Latifa selbst erklärt, sie werde von ihrem Vater als "Geisel gehalten". Ihre Schwester Shamsa floh 2000 vom Grundstück ihres Vaters in der Grafschaft Surrey im Südosten Englands. Einige Wochen später wurde sie in Cambridge entführt und am nächsten Tag offenbar nach Dubai geflogen. Auch eine der Ehefrauen des Emirs, Prinzessin Haya, floh im Sommer 2019 aus Dubai.

Prinzessin Haya bint al-Hussein, Ehefrau des hier mit abgebildeten Emirs von Dubai, Scheich al-MaktoumBild: picture-alliance/dpa/A. Haider

Wenig Rechte für Gastarbeiterinnen

Nach Angaben der Weltbank wuchs die Wohnbevölkerung der VAE bis 2020 auf 9,9 Millionen Menschen. Allerdings sind nur etwa 10  Prozent davon emiratische Staatsbürger. Die große Mehrheit der Einwohner des Landes sind entweder im Dienste ausländischer Unternehmen stehende Arbeitskräfte aus anderen Ländern oder ausländische Gastarbeiter im lokalen Bau-, Dienstleistungs- oder Hausangestelltensektor, darunter viele Frauen aus asiatischen Ländern.

Im Jahr 2017 verabschiedeten die VAE ein Gesetz, das im Ausland geborenen Hausangestellten begrenzte Arbeitsrechte garantiert. Doch trotz weiterer gesetzlicher Änderungen Ende 2020 hat sich die Situation für die ausländischen Arbeitskräfte nicht wesentlich verbessert. Sie unterliegen weiterhin dem so genannten Kafala-System. Dieses sieht vor, dass Gastarbeiter bei den Einreiseformalitäten auf die Bürgschaft eines Staatsbürgers der VAE angewiesen sind.

Dessen Pflicht ist es, für die Einreiseformalitäten und die staatliche Registrierung Sorge zu tragen und die Einhaltung der Vertragsformalitäten zu garantieren. Zu diesem Zweck wird der Pass der ausländischen Arbeitskraft meist durch den Bürgen eingezogen und erst nach Vertragsende wieder ausgehändigt. Dabei ergaben sich in der Vergangenheit oft Abhängigkeitsverhältnisse, in deren Rahmen sich weibliche Gastarbeiter wiederholt sexueller Erpressung ausgesetzt sahen.

Ungleich vor dem Gesetz

Im März dieses Jahres veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen Offenen Brief, der eine lange Liste von Menschenrechtsproblemen in Bezug auf Frauen in den VAE auflistet. So kritisiert HRW etwa den Umstand, dass nur emiratische Männer die Staatsbürgerschaft an ihre Nachkommen weitergeben können. Dies führt dazu, dass die Kinder von emiratischen Müttern und ausländischen Vätern staatenlos sind, da ihnen keine Geburtsurkunden ausgestellt werden. Staatenlose Personen haben in den VAE keinen Zugang zu grundlegenden Rechten und Dienstleistungen.

Als drängendes Thema sieht HRW auch das Problem der Ehe und Scheidung an. "Welche Schritte unternehmen die Behörden, um sicherzustellen, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer beim Eingehen einer Ehe, innerhalb der Ehe, bei der Scheidung und bei Entscheidungen in Bezug auf Kinder haben, einschließlich der Abschaffung der männlichen Vormundschaft?" - so fragt HRW. Derzeit kann ein Mann eine Ehe einseitig mit ein paar gesprochenen Worten beenden. Eine Frau hingegen benötigt die schriftliche Erlaubnis eines männlichen Vormunds, um eine Ehe einzugehen oder diese auf eigenen Wunsch hin zu beenden.

Im Kontakt mit der Welt: zwei junge Frauen in DubaiBild: Giuseppe Cacace/AFP

Veränderte Rollenbilder

Und doch hat sich das Bild der emiratischen Frauen verändert. Bis in die 2000er Jahre hinein hatte der Staat quasi ein Monopol auf den öffentlichen Diskurs, und der Staat bestand aus Männern. "Religiöse Persönlichkeiten fungierten als mächtige Redner, die in der Lage waren, die öffentliche Meinung zugunsten konservativer Normen und Politiken zu formen und aufrechtzuerhalten", sagt Dabya al-Rafaei, Wissenschaftlerin beim "Gulf Critical Theory Educational Program" in Bahrain, im DW-Gespräch. Diese Normen und Politiken hätten mit dafür gesorgt, dass Frauen in der Golfregion damals "unterwürfig und verborgen" blieben, so al-Rafaei.

Erst mit dem Aufkommen des mobilen Internets und der sozialen Medien wurden Rollenmuster in Frage gestellt. "Da immer mehr Frauen diskriminierende Politik in Frage stellten, auf ihren geringen Status in der Gesellschaft hinwiesen oder einfach Ausschnitte aus ihrem täglichen Leben teilten, war es nicht mehr möglich, den Diskurs über die Stellung der Frau am Golf zu monopolisieren", so al-Rafaei. Die zunehmende Wahrnehmbarkeit von Frauen habe den Status quo verändert. Wenn es jedoch um gleiche Bezahlung geht, klaffe immer noch eine große Lücke zwischen staatlichem Dekret und Realität, sagt die Forscherin.

Mehr Sichtbarkeit

In einer kürzlich erschienenen Arbeit mit dem Titel "Fashla: The Politics of Image-Making in the Gulf", veröffentlicht auf dem Blog der London School of Economics, kommen al-Rafaei und Co-Autorin Mira Al Hussein von der University of Cambridge dennoch zu einem positiven Resümee: Die Golfstaaten unternähmen bewusst Modernisierungsanstrengungen und verschafften Frauen so mehr Sichtbarkeit. 

Dieser Ansicht ist auch Mouza Al Shehhi, Direktorin des Verbindungsbüros von "UN Women" zum Golf-Kooperationsrat. "Die Führung der VAE ist sich der Bedeutung von weiblichen Vorbildern bewusst", argumentiert Al Shehhi im Gespräch mit der DW. "Sie hat mehrfach den Erfolg emiratischer Frauen in allen Bereichen herausgestellt."

Al Shehi findet die Ankündigung, dass erstmals eine emiratische Frau Astronautin werden werden soll, inspirierend für Land und Region. "Für niemanden, der die Fortschritte der VAE in Sachen Frauenrechte verfolgt, kam das überraschend."

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.