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Vergessene Energierevolution

Richard A. Fuchs, Berlin 22. Dezember 2015

Die Energiewende hat im vergangenen Jahr Fortschritte gemacht. Das blieb im Schatten der Flüchtlingskrise weitgehend unbemerkt. Probleme bereiten weiter der Netzausbau und die Braunkohle.

Mehrere Höchstspannungs-Erdkabel werden in den Boden gelegt Foto: Roland Weihrauch/dpa
Unterirdische Energiewende: Nach langem Streit über nötige Stromautobahnen sollen jetzt Erdkabel Ökostrom von Nord nach Süd transportierenBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Die Energiewende ist auf Kurs - diese Botschaft schaffte es im zurückliegenden Jahr kaum in die Schlagzeilen. Dabei gab es Erstaunliches zu vermelden: Die erneuerbaren Energien knackten bei der Stromproduktion neue Rekorde.

Nach Schätzungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft werden inzwischen 33 Prozent des hiesigen Stroms aus regenerativen Quellen produziert: mit Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse. Damit stieg der Ökostromanteil im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Fünftel. Besonders das Windstromjahr war rekordverdächtig: In den ersten zehn Monaten lag die Windstromausbeute bereits um 47 Prozent über der im Vorjahr, berichtete der Bundesverband Erneuerbare Energie. Fast 25.000 Windräder produzieren jetzt in Deutschland Strom. Zusammen mit den 1,5 Millionen Bürgern, die auf ihren Hausdächern Solaranlagen betreiben, sind so die einst belächelten Ökostromanlagen zu Deutschlands wichtigster Stromquelle avanciert. Und das binnen weniger als zehn Jahren.

Kohle-Wahnsinn: Paradox der Energiewende

04:27

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Deutschland schlampt bei Treibhausgasreduktion

Doch Feierlaune will trotz der neuen Rekorde beim Ausbau von Ökostromanlagen nicht aufkommen. Das liegt zum einen daran, dass die Terrorgefahr und die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge das "Jahrhundertprojekt Energiewende" von der politischen Bühne verdrängt haben. Zum anderen hinkt die deutsche Energiewende bisher ihren eigentlichen Ziele hinterher. Denn das vermeintliche Vorreiterland droht - trotz vermehrtem Einsatz von Grünstrom - seine Klimaschutz-Ziele zu verfehlen.

Zu diesem Ergebnis kommt der jüngst vorgestellte Jahresbericht der vierköpfigen Monitoring-Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung die Umsetzung der Energiewende wissenschaftlich begleitet. "Festzustellen ist, dass das zentrale Ziel der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, erheblich gefährdet ist", schreibt die Kommission im Bericht "Energie der Zukunft", der im November vorgestellt wurde. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass die deutschen Emissionen in den kommenden Jahren im Schnitt um rund 28 Millionen Tonnen Kohlendioxid gesenkt werden müssten, um das Ziel noch zu erreichen. Im Vergleich zum gegenwärtig eingeschlagenen Pfad der Treibhausgasreduzierung müsste damit das Einspartempo verdreifacht werden, so die Kommission.

"Ende Gelände": Umweltschützer protestierten im Sommer gegen den Braunkohleabbau in GarzweilerBild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Der Grund, warum der Ausbau von Wind- und Solarparks bislang keinen spürbaren Klimaschutzeffekt gebracht hat, liegt vor allem in der starken Nutzung der klimaschädlichen Braunkohle bei der Stromerzeugung. "Die Braunkohle floriert, weil der Ausstoß von Treibhausgasen in der EU zu wenig kostet", sagte der Regensburger Energiewirtschaftler Michael Sterner der "Süddeutschen Zeitung".

Das Ergebnis eines Energiegipfels im Sommer im Bundeskanzleramt, bei dem sich die Bundesregierung auf weitere Klimaschutzanstrengungen verständigte, ändert daran nichts Maßgebliches. Als Sofortmaßnahme wurde damals beschlossen, acht Braunkohle-Kraftwerke mit besonders großem Treibhausgasausstoß in eine Kraftwerksreserve zu überführen, um sie bis 2022 endgültig stillzulegen. Ein Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz soll im Gebäudesektor weitere CO2-Einsparungen erbringen. Ob dies reicht? Nicht wenige Experten bezweifeln das.

Unterirdische Stromautobahnen

Besonders intensiv und emotional wurde im zurückliegenden Jahr aber vor allem um den Ausbau der Stromnetze gerungen. Der Handlungsdruck ist groß, denn immer mehr Windräder im Norden müssen abgeschaltet werden, weil die Leitungen fehlen, um die Energie zu den großen Industriezentren im Süden zu transportieren. Besonders zwei Stromautobahnen vom Norden und Osten in den Süden sollen diesen Engpass beheben - zwei Freileitungsstromtrassen, die auf massiven Bürgerprotest stießen.

Per Leitung soll der Windstrom von der Küste künftig Süddeutschlands Industrie mit Energie versorgenBild: picture-alliance/dpa/M. Gerten

Als besonders umstritten galten die vermeintlichen "Monstertrassen" vor allem in Bayern. Nach zähem Ringen einigte sich die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD darauf, die ungeliebten Stromautobahnen künftig unterirdisch zu verlegen. Erdkabel statt Landschaftszerstörung hieß der Kompromiss, der zu einer deutlichen Verteuerung der Energiewende führt. Bei einer Anhörung im Herbst im Deutschen Bundestag sagten die für die Kabelverlegung zuständigen Netzbetreiber voraus, dass der Betrieb von XXL-Erdkabeln nicht nur technisch wagemutig sei, sondern auch finanziell unberechenbar. Mehrkosten beim Bau von bis zu zwölf Milliarden Euro seien zu erwarten.

Damit wurden im vergangenen Jahr die Grundlagen dafür gelegt, dass bereits im nächsten Jahr die Energiewende-Kosten wieder steigen dürften. Insbesondere durch höhere Netzentgelte, die Stromkunden pro Kilowattstunde Strom mitbezahlen.

Beweist die Politik 2016 Stehvermögen?

Schon im kommenden Jahr soll die Energiewende aber weitere Hürden nehmen, so sehen es zumindest die Pläne der Bundesregierung vor. Zunächst soll die Umstellung der Ökostromförderung auf Auktionen weiter vorangetrieben werden - gegen den Widerstand der Lobbyverbände der Ökostrombranche. Auch am Europäischen Emissionsrechtehandel wird auf EU-Ebene weiter Hand angelegt. Ab 2020, so das Ziel, sollen sich Investitionen in energiesparende und klimafreundliche Technologien wieder lohnen, weil der Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid entsprechend verteuert wird.

Als die Politik noch genau hinschaute: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht den Offshore-Windpark Baltic 1Bild: Getty Images/G. Bergmann

"Hier muss die Politik aufpassen, dass niedrige Preise für fossile Brennstoffe nicht als Rechtfertigung für ein Hinauszögern der Energiewende genutzt werden", warnt Philipp Vohrer, Geschäftsführer der ökostromfreundlichen Agentur für Erneuerbare Energien Und dann soll auch das Marktdesign-Gesetz beschlossen werden. Ein Gesetz, dass das Zusammenspiel von Ökostromanlagen und fossilen Großkraftwerken besser regeln will.

Es gibt viel zu tun für den Bundesminister für Energie- und Wirtschaft, Sigmar Gabriel. Erstaunlich ist da, das just dieser Schlüsselakteur in seiner letzten großen Rede des Jahres vor dem SPD-Parteitag in Berlin die Energiewende nicht mit einem Wort erwähnte. Symptomatisch dafür, wie dieses Projekt binnen eines Jahres ins Abseits katapultiert wurde. Eine Jahrhundertaufgabe, über die bereits im Jahr fünf der Umsetzung nicht mehr gesprochen wird.

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