Die vergessenen Orte der DDR
3. Oktober 2019Deutsche Welle: Sie sind in Frankfurt am Main geboren, im Westen aufgewachsen. Woher kommt für Sie als "Wessi" Ihre Faszination für den Osten und seine vergessenen Orte?
Andreas Metz: Das hat in der Schulzeit begonnen, 1987, als ich mit 17 Jahren auf Studienreise in die DDR fahren konnte. Und dann war ich 1989 kurz vor dem Mauerfall noch einmal in Ost-Berlin. Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs gab es auf einmal die Chance, diesen unbekannten Teil Deutschlands und Europas intensiv kennenzulernen, das fand ich spannend. Später habe ich mich dann auch im Studium mit der DDR und Osteuropa auseinandergesetzt.
Ihr Bildband "Ost Places - Vom Verschwinden und Wiederfinden der DDR" zeigt noch erhaltene Überbleibsel der DDR, von Fabriken und Kinos bis zu Mini-Kiosken und Datschen, aber auch Lenin-Büsten, Sowjet-Propaganda-Wandbilder, Mauerstücke, Trabis. Woher kam die Idee dazu?
Ich wohne seit 15 Jahren im Osten Berlins, bin auch oft im Umland in Brandenburg und den anderen neuen Bundesländern unterwegs. Dabei habe ich gemerkt, dass viele Bilder, die man gerade noch so machen kann, in einiger Zeit nicht mehr möglich wären, weil doch sehr viel verschwindet nach 30 Jahren Mauerfall. Zum Beispiel die typische DDR-Kaufhalle, die bei uns im Kiez stand. Die ist vor kurzem abgerissen worden. Die Bilder, die ich gemacht habe, dienten am Anfang der privaten Dokumentation. Aber dann hatte ich schnell so viele interessante Bilder, dass ich gesagt habe: Das muss eigentlich ein Buch werden.
Der Buchtitel spielt auf den Begriff "Lost Places" an – er beschreibt Orte, die zwar historische Bedeutung haben, aber trotzdem kaum Beachtung finden. Tatsächlich drohen viele der Orte, die sie festgehalten haben, komplett zu verschwinden. Würden Sie sich wünschen, dass alle ihre Ost Places erhalten bleiben und in Stand gehalten werden?
Es kann sicherlich nicht das Ziel sein, das alles erhalten bleibt. Das Leben besteht aus Veränderungen und Modernisierungen – es ist auch wichtig, dass man sich weiterentwickelt. Es ist aber mittlerweile so viel verschwunden, dass man sich vielleicht vor jedem weiteren Abriss schon die Frage stellen sollte: Kann man das nicht doch vielleicht irgendwie erhalten, einfach um diesen Ort und diese Geschichten nicht für immer zu verlieren?
Können Sie da Beispiele aus Ihrem Buch nennen?
Das Potsdamer Rechenzentrum ist ein sehr prominentes Beispiel. Da gibt es das Mosaik "Der Mensch bezwingt den Kosmos", das aus verschiedenen Teilmotiven besteht und insgesamt vielleicht hundert Meter lang ist. Nebenan wird gerade die Garnisonskirche rekonstruiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen worden war. In einigen Jahren soll das Rechenzentrum abgerissen werden, um Platz für den kompletten Kirchenneubau zu schaffen. Man rekonstruiert Dinge aus der recht fernen preußischen Zeit, gleichzeitig werden Bauten der Ostmoderne aus der DDR-Zeit vernichtet. Ich halte das für sehr fragwürdig. In Berlin wurde zum Beispiel auch der Palast der Republik abgerissen - ein Ort, der ganz nah ist an der Zeitgeschichte und den Hunderttausende von DDR-Bürgern positiv in Erinnerung haben – und auf dem Gelände wurde das Stadtschloss rekonstruiert, mit dem nur wenige Leute etwas verbinden.
Wie reagieren Leute, die in der DDR groß geworden sind auf ihr Projekt Ost Places? Sehen diese die Ihre Bilder anders als Westdeutsche?
Die Fotoauswahl für das Buch habe ich als Westdeutscher mit einer Lektorin zusammen gemacht, die in der DDR aufgewachsen ist. Ich glaube, das hat dem Buch sehr gut getan, denn unsere Wahrnehmung war manchmal sehr unterschiedlich. Motive, die für mich ganz besonders waren, waren für sie manchmal banal. Und umgekehrt haben Bilder, die für mich gar nicht so bemerkenswert waren, gerade etwas für sie ausgelöst – irgendeine Erinnerung angestoßen. Wir haben uns dann immer ganz gut in der Mitte getroffen.
Haben Sie ein Lieblingsfoto unter den Ost Places?
Ein besonderes Foto ist auf jeden Fall das Wandbild "Friedliche Nutzung der Atomenergie", das sehr, sehr abgelegen in Thüringen auf einem Feld steht. Das Bild war ursprünglich an einem Gebäude der Wismut AG angebracht, die Uran für sowjetische Atombomben gefördert hat. Viele Menschen haben dafür ihre Gesundheit riskiert. Dieses Wandbild zu finden war sehr aufwändig. Viele Leute in der Umgebung, die ich gefragt habe, wussten gar nichts davon. Das ist überhaupt eine Erfahrung, die ich auf Reisen immer wieder gemacht habe: Dass viele Leute gar nicht wussten, oder es gar nicht wahrgenommen haben, dass es schützenswerte DDR-Relikte in ihrer unmittelbaren Umgebung gibt.
Welche Reaktionen möchten Sie mit Ihrem Buch bewirken?
Ich denke, dass wir drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall jetzt noch eine, vielleicht letzte Chance haben, gemeinsam eine Neubewertung der Wende vorzunehmen und mit etwas mehr Abstand ins Gespräch zu kommen - Leute aus Ost und West, die junge und die ältere Generation. Es gibt Erfahrungen und Lehren aus der DDR-Zeit, die wertvoll sind und die wir viel stärker nutzen sollten, um ein gemeinsames Deutschland zu bauen. Es würde mich sehr freuen, wenn die Bilder einen Anstoß zu diesem Dialog geben können und dazu beitragen, dass wir uns insgesamt besser verstehen.
Andreas Metz ist Fotograf und Journalist. Er wurde 1970 in Frankfurt am Main geboren und lebt mit seiner Familie im Osten von Berlin. Sein Bildband "Ost Places - Vom Verschwinden und Wiederfinden der DDR" ist im Verlag "Neues Leben" erschienen.
Die Fragen stellte Mara Bierbach.