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Gesellschaft

Homi K. Bhabha über die Würde der Flüchtlinge

Gaby Reucher
13. September 2019

Der anglo-indische Wissenschaftler ist ein gefragter Mann, wenn es um Postkolonialismus und Integration geht. Auch den Besuchern der Ruhrtriennale hat Homi K. Bhabha wichtige Denkanstöße mit auf den Weg gegeben.

Deutschland Homi K. Bhabha | Ruhrtriennale 2019
Bild: Daniel Sadrowski/Ruhrtriennale 2019

Sie verlassen ihre Heimat, um in der Fremde ein neues Zuhause zu finden, fliehen innerhalb ihres Landes oder suchen den gefährlichen Weg mit Schlauchbooten über das Mittelmeer - immer in der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Leben in Würde, wie Homi K. Bhabha sagt.

In der Turbinenhalle der Bochumer Jahrhunderthalle, einer alten Industrieanlage, hält der anglo-indische Kulturwissenschaftler im Rahmen der Ruhrtriennale die Festrede. An diesem Abend spricht er über Menschenrechte, über die toten Flüchtlinge im Mittelmeer, über Migration und Würde - auch im Tod.

Homi K. Bhabha ist einer der bedeutendsten Denker über Postkolonialismus und kulturelle Vielfalt unter den Bedingungen von Exil und Migration. Doch es sind weniger die abstrakten Theorien als vielmehr ganz aktuelle Ereignisse, die den Professor der Harvard University derzeit beschäftigen: "Ich lebe in den USA und finde das Verhalten und die Politik von Präsident Trump verwerflich", sagt er im Interview mit der DW. Trumps Sprache sei nicht die eines demokratischen Diskurses. "Die Sprache, die er gegenüber Frauen und Menschen anderer Herkunft benutzt, ist beschämend."

In Erinnerung an Toni Morrison

1993 wird Toni Morrison mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet - sie ist die erste schwarze Autorin, die diesen Preis erhältBild: picture-alliance/AP Photo

Seine Rede hält Homi K. Bhabha in Erinnerung an die afro-amerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, die im August 2019 gestorben ist. Mit ihr hat er viele gemeinsame Lehrveranstaltungen abgehalten. Morrisons Gedicht "Wessen Haus ist das?" greift Bhabha in seiner Rede immer wieder als roten Faden auf: Ein dunkles Haus nationaler Geschichte, die die Geschichte des neuen Bewohners nicht berücksichtigt. Ein fremdes Haus, in dessen Schloss die Schlüssel des Zugezogenen dennoch passen. Selbst im eigenen Haus fühlen sich Migranten derzeit fremd, sagt Homi K. Bhabha. So würden zum Beispiel die Mexikaner, die ganz legal in den USA leben und arbeiten, von Donald Trump plötzlich als Diebe, Mörder und Vergewaltiger abgestempelt. "Die Flüchtlinge leiden unter brutalen Herrschern, unter Kriegen, die sie nicht begonnen haben, und man spricht über sie, als ob sie faul wären, als ob sie ein Virus wären und versuchen würden, die nationale Bevölkerung zu vertreiben", sagt Bhabha der DW.

Das sei ein "barbarisches" Verhalten, zu dem Trumps Berater Steve Bannon dem Präsidenten sogar wortwörtlich geraten habe, um die Wahlen 2016 zu gewinnen. Homi K. Bhabha zitiert in seiner Rede aus einem Interview, das Bannon 2018 der Zeitung "The Economist" gegeben hat.

In den USA sind sie nicht erwünscht - dennoch fliehen Migranten aus Mittelamerika nach Norden, unter anderem vor der Gewalt durch Jugendbanden und wegen der schlechten wirtschaftlichen LageBild: picture-alliance/AP Photo/M. Ugarte

Autoritäre Männer und wachsender Nationalismus

Doch ein solches menschenunwürdiges Verhalten gebe es nicht nur in den USA. Ein populistischer völkischer Nationalismus breite sich in vielen Ländern aus - sei es mit Trump in den USA, mit Narendra Modi in Indien, Nicolás Maduro in Venezuela, Jair Bolsonaro in Brasilien, Wladimir Putin in Russland oder Viktor Orbán in Ungarn.

Der Harvard-Professor ist überrascht, dass es derzeit so viele autoritäre Führungspersönlichkeiten gibt, von denen die meisten demokratisch gewählt wurden. "Dass dabei jede Form von Nationalismus ihre eigene Besonderheit hat, macht mir Angst", bekennt Bhabha im Interview. "Die Welt wird heute dominiert von autoritären Männern. Mir fällt keine Frau auf der Welt ein, die so agiert."  

Die Suche nach Respekt und Würde im "fremden Haus"

Es braucht aber nicht unbedingt eine autoritäre Führung, um Minderheiten wie Flüchtlinge und Migranten auszugrenzen. Auch dort, wo die sogenannten Bootsflüchtlinge stranden, sind sie nicht gerade willkommen.

Homi K. Bhabha spricht in seiner Rede von den Müllhalden in der tunesischen Hafenstadt Zarzis, auf die man die toten Flüchtlinge werfe, die immer wieder am Strand angeschwemmt werden. Auf dem Friedhof dürften nämlich nur muslimische Bürger der Stadt begraben werden. Bhabha erzählt aber auch von Helfern, die die toten Flüchtlinge am Strand begraben, um ihnen im Tod ihre Würde zu geben.

Gräber für die gestrandeten toten Flüchtlinge in TunesienBild: picture-alliance/dpa/S. Kremer

Gerade die Würde des Menschen werde von autoritären Regimen verletzt. Menschenrechtskonventionen, Einwanderungs- und Asylgesetze würden gezielt untergraben. So lasse man Flüchtlinge in Lagern warten, in denen erschreckende Zustände herrschten. Das diene dem Zweck, so Bhabha, sie bewusst hinzuhalten und zu demütigen - so wie derzeit in den Flüchtlingslagern an der mexikanischen Grenze zu den USA.

Demütigung, Missachtung, Ausgrenzung

Regierungen würden für ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Fehlentscheidungen immer wieder die Teile der Bevölkerung verantwortlich machen, die am verletzlichsten sind: Leute anderer Kulturen, Gender, Transgender oder aus anderen Kasten, wie in Indien. Es reiche auch, einfach arm zu sein: "Wenn wir den Armen Häuser geben, werden sie sie nicht gut pflegen. Wenn wir ihnen gegenüber wohltätig sind, ziehen sie ihren Vorteil daraus und werden nicht arbeiten, weil sie faul sind", erläutert Bhabha die Argumentation besagter Regierungen.

Festplatz vor der Jahrhunderthalle - nach den Veranstaltungen wird weiter diskutiertBild: DW/G. Reucher

Es sind Vorurteile, die es auch gegen Migranten gibt. Damit lassen sich Ängste in der Bevölkerung schüren, die nationalistischen Populisten in die Hände spielen. Aus Demütigung werde Missachtung und in der Folge Ausgrenzung. Auch wenn es Gesetze gegen die Diskriminierung von Minderheiten gibt - die Demütigung könne man trotz der UN-Menschenrechtskonvention nicht mit Gesetzen regulieren, meint Bhabha.

Gegen die Angst vor Fremden

Gegen die Angst vor den Fremden helfe dagegen Aufklärung, sagt Homi K. Bhabha im Interview mit der DW. Er sieht dabei die fortschrittlichen Regierungen und Medien in der Pflicht, einen öffentlichen Diskurs in Gang zu setzen.

In seiner Rede ruft er dazu auf, mit den Flüchtlingen solidarisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen - und das nicht nur aus Mitgefühl: "Nicht aus einer Sentimentalität heraus, weil sie Menschen sind wie wir - denn das sind sie nicht, weil wir eben nicht dem Tod ins Auge sehen - sondern aus der Verantwortung heraus, weil es uns besser geht."

Bekam viel Applaus in Bochum: Homi K.Bhabha Bild: Daniel Sadrowski/Ruhrtriennale 2019

Homi K. Bhabha fordert proaktives statt reaktives Handeln, etwa indem man Flüchtlingen das Recht auf Freizügigkeit, also das Recht der Bewegungsfreiheit, gewährt. So habe schon die deutsche Schriftstellerin und Philosophin Hannah Arendt, mit deren Theorien sich Bhabha ausgiebig beschäftigt hat, geschrieben, dass es zu einem Konzept der Freiheit auch die Freizügigkeit geben müsse. "Das Recht der freien Bewegung ist unabdingbar für die Mentalität der Gastfreundschaft", fügt Bhabha hinzu. Die Flüchtlinge hätten die schwierige Entscheidung getroffen, ihre Heimat zu verlassen. Sie hätten das Risiko des Todes auf sich genommen, um den Schlüssel in ein Schloss zu stecken - auch wenn das Zuhause nicht ihr eigenes sei. Das alles, um in Würde leben zu können. Die Antwort auf die Eingangsfrage "Wessen Haus ist das?" kann für Homi K. Bhabha nur lauten: Es ist auch das Haus der Flüchtlinge und Migranten.

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