1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Wahl vor der Wahl

27. Mai 2009

Vor der Europawahl schielen alle Parteien schon auf die Bundestagswahl im September. Die einen erhoffen sich eine gute Startposition, andere bangen. Nur für die, um die es eigentlich geht, interessiert sich kaum jemand.

Logo Europawahl
Bild: picture-alliance/dpa

Der Auftritt war bezeichnend: Da beschließen die Schwesterparteien CDU und CSU einen gemeinsamen Aufruf zur Europawahl, und bei der anschließenden Pressekonferenz sind ihre Spitzenkandidaten für eben diese Wahl nicht dabei. Nur die Parteichefs Angela Merkel und Horst Seehofer treten vor die Mikrofone. Und die anwesenden Journalisten interessieren sich auch mehr für die zurückliegende Bundespräsidentenwahl und die Bundestagswahl im Herbst als für die unmittelbar bevorstehende Europawahl.

Die CSU zittert

CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl, Markus FerberBild: picture-alliance / dpa

Nur eines provoziert Nachfragen: Dass CDU und CSU erstmals kein gemeinsames Wahlprogramm zustande gebracht haben, sondern nur einen gemeinsamen Wahlaufruf. Das wiederum hat sehr innenpolitische Gründe: Weil die bayerische CSU Angst hat vor einem Debakel bei der Europawahl, beharrte sie auf einer Forderung, der die CDU keinesfalls zustimmen wollte. Einer Forderung, die sie früher selbst abgelehnt hat - und die bei überzeugten Europäern auch in der eigenen Partei helles Entsetzen ausgelöst hat: Nationale Volksentscheide über wichtige europäische Beschlüsse - wie Vertragsänderungen oder den Beitritt neuer Mitglieder - zuzulassen.

Nachdem die EU-Verfassung an Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war und der daraufhin ausgehandelte Lissabonner Vertrag an einer Volksabstimmung in Irland, ist dies in den Augen der Christdemokraten, aber auch christlich-sozialer Europaabgeordneter das Letzte, was gebraucht wird.

Die Spitzenkandidatin der Freien Wähler: Gabriele Pauli und Armin GreinBild: picture-alliance/ dpa

Aber die CSU hat eben Angst - Angst vor allem vor den Freien Wählern. Diese treten zum ersten Mal bei Europawahlen an und tun dies auch mit der Forderung nach Volksentscheiden. Im vergangenen Herbst haben die Freien Wähler die jahrzehntelange Alleinherrschaft der CSU in Bayern gebrochen, als ihnen erstmals der Einzug in den Bayerischen Landtag gelang. Jetzt könnte die CSU sogar aus dem Europaparlament fliegen. Das wäre so etwas wie der Abstieg des FC Bayern in die zweite Bundesliga: Verheerend für die Partei, vor allem ein Vierteljahr vor der Champions League, der Bundestagswahl.

Selbstgestellte Falle

Kommen könnte dieser Abstieg so: Wer ins Europaparlament will, muss mindestens fünf Prozent aller in Deutschland abgegebenen Stimmen erhalten. Eingeführt wurde diese bundesweite Sperrklausel einst auf Initiative der CSU, die damit den Einzug von Rechtsradikalen erschweren wollte. Die CSU selbst lag, obwohl sie nur in Bayern antritt, immer deutlich über dieser Hürde. Selbst bei einem so schlechten Ergebnis wie bei der letzten Landtagswahl bliebe sie immer noch deutlich über sechs Prozent - vorausgesetzt, die Wahlbeteiligung liegt in Bayern genauso hoch wie im Bundesdurchschnitt. Und hier liegt das Problem.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mit dem Wahlkampfslogan der CDUBild: picture-alliance/ dpa

In Bayern fällt die Europawahl in die Pfingstferien, viele Wähler dürften verreist sein. In sieben anderen Bundesländern aber sind gleichzeitig Kommunalwahlen, was die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß nach oben treibt. Als vor wenigen Monaten ein Gericht die Verlegung der Kommunalwahlen im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen auf einen späteren Termin verlangt hatte, war schon ein großes Aufatmen durch die CSU-Zentrale in München gegangen. Auf der sicheren Seite aber ist man deshalb noch längst nicht. Und deshalb versucht man mit der Forderung nach Volksentscheiden, Wähler zu halten, die zu den Freien Wählern abzuwandern drohen.

Bange CDU, gelassene SPD

Die CDU hat zu Schadenfreude über dieses Dilemma ihrer kleinen Schwester keinen Anlass. Denn bisher haben die Bayern immer einen überproportionalen Beitrag zum Wahlergebnis der Gesamt-Union geleistet. Jetzt, bei der Europawahl, drohen sie die große Schwester mit nach unten zu ziehen. Deutlich unter den 44,5 Prozent der letzten Europawahl liegt die CDU/CSU allen Umfragen zufolge ohnehin.

"Heiße Luft würde die Linke wählen" und "Finanzhaie würden FDP wählen": Damit macht die SPD WahlkampfBild: picture-alliance/ dpa

Ihr größter Konkurrent, die SPD, steht zwar nach den Erkenntnissen der Meinungsforscher noch deutlich schlechter da, dennoch können die Sozialdemokraten recht gelassen in diese Wahl gehen. Denn vor fünf Jahren haben sie derart desaströs abgeschnitten, dass es eigentlich nur noch aufwärts gehen kann.

Im Juni 2004, auf dem Tiefpunkt der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder, hat die SPD mit 21,5 Prozent ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl erzielt.

Jetzt hofft die SPD mit der Forderung nach strenger Kontrolle der Finanzmärkte und dem Slogan "Für ein soziales Europa" punkten zu können. Die Union kann dem im Wahlkampf kein zündendes Thema entgegensetzen.

Gute Chancen für die Kleinen

Die Linkspartei mit Lothar Bisky wird wohl recht gut abschneidenBild: picture-alliance / dpa

Die Linkspartei allerdings will der SPD ihren sozialen Anspruch nicht durchgehen lassen. Die Sozialdemokraten hätten unter Gerhard Schröder "Sozialdumping in Deutschland hoffähig gemacht", schimpft der Linken-Vorsitzende Lothar Bisky. Den Mindestlohn, den sie jetzt forderten, hätten sie in ihrer Regierungszeit einführen können. Bei vielen Wählern scheint die Linke damit anzukommen. Alle Umfragen sehen sie weit über den 6,1 Prozent bei der letzten Europawahl.

Die FDP setzt ganz auf Silvana Koch-MehrinBild: picture-alliance/ dpa

Die Liberalen, die vor fünf Jahren ebenfalls 6,1 Prozent erzielt haben, könnten dieses Ergebnis diesmal sogar mehr als verdoppeln. Sie sind das Sammelbecken für die Wähler, denen die anderen Parteien in letzter Zeit zu weit von den Prinzipen der Marktwirtschaft abgerückt sind. Auch die Forderung der FDP, Bürgerrechte dürften nicht unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung eingeschränkt werden, kommt offenbar bei vielen Wählern an.

Die Dritten unter den Kleinen, die Grünen, hatten vor fünf Jahren mit 11,9 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Auch wenn sie keinen Einbruch befürchten müssen, sie dürften schon froh sein, wenn sie dieses Ergebnis halten können. In einem von der Wirtschaftskrise überschatteten Wahlkampf haben sie versucht, sich links einzureihen. Aber da ist es eng zwischen SPD und Linkspartei.

Unberechenbare Wähler

Die Grünen wollen "Wums" machenBild: Die Grünen/Zum goldenen Hirschen

Alle Prognosen für die Europawahl werden durch zwei große Unbekannte erschwert. Die eine ist die Wahlbeteiligung. Sie ist in Deutschland seit der ersten Direktwahl zum Europaparlament 1979 von 65,7 Prozent auf 43,0 Prozent im Jahr 2004 gesunken - und es wäre nicht überraschend, wenn sich dieser Trend fortsetzen sollte. Dies aber erschwert Vorhersagen, weil die Wahlmüdigkeit unter Anhängern unterschiedlicher Parteien unterschiedlich stark ausgeprägt sein könnte.

Unklar ist zum anderen, wie viele Stimmen auf Splitterparteien entfallen. Sie treten am 7. Juni in großer Zahl an - von der Familienpartei bis zur Piratenpartei, welche freie Downloads aus dem Internet fordert. Weil Europawahlen von vielen Wählern nicht so wichtig genommen werden, ist die Neigung groß, Juxstimmen zu vergeben oder extreme Parteien zu wählen, obwohl man mit ihnen nicht übereinstimmt. Solche Denkzettel-Stimmen kommen bevorzugt von frustrierten Wählern der Regierungsparteien. In Zeiten der Großen Koalition könnten das besonders viele sein - und eben vor allem zu Lasten der großen Parteien gehen.

Diese Überlegungen sind in den Wahlkampf der Parteien mit eingeflossen. Massiv werben vor allem die großen Parteien dafür, überhaupt zur Wahl zu gehen. In Bayern hat die CSU zudem vor Pfingsten großflächig Plakate geklebt, die zur Briefwahl auffordern. Diejenigen, um die es eigentlich geht, die Kandidaten für das Europaparlament, treten bei alledem kaum mehr in Erscheinung.

Autor: Peter Stützle

Redaktion: Kay-Alexander Scholz