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Das Jugoslawien-Tribunal

Julia Mahncke16. Oktober 2012

Seit 20 Jahren versucht ein Sondertribunal, die Kriegsverbrechen des Jugoslawien-Konflikts aufzuarbeiten. Nicht alle Angeklagten müssen am Ende für ihre Taten büßen. Dennoch gilt die Arbeit der Richter als wertvoll.

Das ITCY in Den Haag (Foto: ANP)
Bild: picture-alliance/ANP XTRA

"Das Jugoslawien-Sondertribunal ist wirklich das schlechteste Gericht. Also, mal abgesehen von allen anderen, die noch schlechter sind", witzelt Mirko Klarin, der als Fachjournalist alle Jugoslawien-Prozesse in Den Haag beobachtet hat. Dann wird er ernst: "Das Tribunal ist nicht perfekt, aber das Beste, was wir haben." Es leiste hervorragende Arbeit, sagt der Mitarbeiter der Nachrichtenagentur SENSE, die sich auf die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) spezialisiert hat. "Ohne diese Prozesse hätten wir bis heute nicht die Wahrheit erfahren."

Gleich zwei Angeklagte mussten am Montag (15.10.2012) vor das Jugoslawien-Sondertribunal in Den Haag treten. Zum einen hat der Prozess gegen Goran Hadzic begonnen. Er wurde im Juli 2011 in Serbien festgenommen. Sein Name war als letzter auf der Den Haager Liste der gesuchten Straftäter des Jugoslawien-Konfliktes übrig gewesen. Hadzic war zwischen Februar 1992 und Dezember 1993 Präsident der Krajina-Republik, die Serben für knapp vier Jahre auf kroatischem Gebiet etablieren konnten. Ihm wird unter anderem Mord, Vertreibung und Folter vorgeworfen.

Der zweite Angeklagte muss sich seit fast drei Jahren wegen Kriegsverbrechen im Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995 verantworten: Radovan Karadzic, der frühere Führer der bosnischen Serben, der ebenfalls am Montag aussagte. Er hat seine Verteidigung selbst übernommen und beteuert, an dem Völkermord von Srebrenica keine Mitschuld zu tragen: Etwa 8000 Menschen, vorwiegend Muslime, waren 1995 in einer UN-Schutzzone ermordet worden.

Eine Massenbeerdigung ist 2012 Teil der Gedenkfeier für die Opfer des Srebrenica-MassakersBild: dapd

Der Weg ist das Ziel

"Jeder dieser Fälle ist wichtig", sagt der Fachjournalist Mirko Klarin. Mehr als 60 Angeklagte wurden seit 1993 verurteilt. 35 Verfahren laufen noch, rund zwölf Freisprüche gab es. Einer der bekannteren Fälle ist das Verfahren gegen den früheren Staatspräsidenten Serbiens und Jugoslawiens, Slobodan Milosevic. Bevor das Urteil gegen ihn gesprochen werden konnte, verstarb der Angeklagte im Jahr 2006. Er ist kein Einzelfall: Auch über Slavko Dokmanovic, Dorde Dukic, Janko Bobetko und einige andere mutmaßliche Straftäter konnte kein Urteil mehr gefällt werden, da sie vorher starben.

Trotzdem: Mit jeder Verhandlung werden Dokumente ausgewertet, Zeugenaussagen notiert und die Puzzleteile zusammengesetzt, die ein Bild des Konfliktes zwischen Bosniern, Kroaten und Serben, zwischen Katholiken und Muslimen ergeben. "Ein Erfolg ist, dass das Sondertribunal versucht hat, den Jugoslawien-Konflikt insgesamt aufzuarbeiten", sagt Stephanie Dufner, Fachreferentin für Internationales Recht bei Amnesty International. "Es wurden nicht nur Serben angeklagt, sondern auch Kroaten und Mitglieder anderer beteiligter Parteien."

Das Ende der internationalen Bühne

Bei den bisher verhängten Strafen zwischen drei Jahren und lebenslanger Haft darf es aber nach dem Wunsch von Amnesty International nicht bleiben: "Das ist nur ein erster Schritt. Die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen muss natürlich dann auch im jeweiligen Land weitergehen", erklärt Dufner. Das funktioniere auch schon, bestätigt der auf kroatischem Gebiet geborene Journalist Klarin. "Das Rechtssystem in Kroatien, Serbien und Bosnien wurde reformiert, so dass diese Länder inzwischen Kriegsstraftaten selbst verfolgen." Das ist gerade für die Opfer wichtig, denn der ICTY kann nicht direkt Schadenersatz zusprechen. "Für den ständigen Internationalen Strafgerichtshof hat man daraus schon Lehren gezogen", fügt die Rechtsexpertin Dufner hinzu. "Er verfügt über einen Entschädigungsfonds für die Opfer." Der ständige Internationale Strafgerichtshof wurde 2002 gegründet, um eine dauerhafte Instanz zu schaffen, die Kriegsverbrechen aufklärt. Er hat seinen Sitz ebenfalls in Den Haag.

Der frühere Führer der bosnischen Serben, Radovan KaradzicBild: AP

Noch einen anderen Vorteil haben die Verhandlungen vor Ort im kleineren Rahmen: Das Medieninteresse wird kleiner sein als derzeit in Den Haag. Die fehlende internationale Kulisse wird die Selbstinszenierung der Angeklagten wohl eingrenzen. Einige von ihnen verteidigen sich derzeit wie Karadzic noch selbst. Dieser hält sich nicht nur für unschuldig, sondern tönte auch im Gerichtssaal: "Anstatt hier angeklagt zu sein, sollte ich lieber belohnt werden, für alles Gute, was ich getan habe. Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand, um den Krieg in Bosnien zu verhindern."

Solche Auftritte werden nicht mehr lange möglich sein. Ende 2014 sollen die Richter des Sondertribunals ihre Arbeit abgeschlossen haben. Dann läuft das UN-Mandat aus. Eine Verlängerung ist allerdings nicht ausgeschlossen, denn die Verfahren gegen Karadzic und gegen den ebenfalls angeklagten bosnisch-serbischen General Ratko Mladic sind äußerst komplex und werden nicht zuletzt von den Angeklagten selbst immer wieder in die Länge gezogen.

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