Die wechselvolle Geschichte der Bundeswehr
12. November 2005Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wollte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit den eigenen Streitkräften die West-Integration der Bundesrepublik voranbringen. "Soldaten der neuen Streitkräfte! Es ist mir eine Freude, am heutigen Tage zu Ihnen zu sprechen. Das deutsche Volk sieht in Ihnen die lebendige Verkörperung seines Willens, seinen Teil beizutragen zur Verteidigung der Gemeinschaft freier Völker, denen wir heute wieder mit gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen angehören."
Ans Parlament gebunden
Im Kalten Krieg hatte sich die Haltung der West-Alliierten zum deutschen Militär schnell gewandelt, denn Deutschland lag an der Nahtstelle der Blöcke. Die Bundesrepublik sollte einen eigenen Beitrag zur Verteidigung ihres Staatsgebiets leisten können. Aber ein Zurück zur Wehrmacht verbot sich von selbst. Der Gefahr, dass die Armee noch einmal ein Staat im Staate werden könnte, schob das Grundgesetz einen Riegel vor. Die Bundeswehr wurde an die kurze Leine des Parlaments angebunden und fest in die NATO integriert.
Trotzdem war nicht nur die SPD-Opposition, sondern auch ein großer Teil der Bevölkerung gegen die Wiederbewaffnung. Dass die Bundeswehr nicht ohne erfahrene Offiziere der Wehrmacht auskam, verstärkte das Misstrauen nur.
Gewollter Traditionsbruch
Beim Aufbau der Bundeswehr setzte die militärische Führung auf das neue Konzept der "inneren Führung": Der Soldat sollte ein Staatsbürger in Uniform sein. Kadavergehorsam und brutale Schindereien sollten der Vergangenheit angehören. Das war anfangs aber mehr Theorie als Praxis: 1957, im Jahr der Einführung der Wehrpflicht, starben 15 Rekruten, weil sie auf Befehl ungesichert den Fluss Iller durchqueren mussten. Auch andernorts waren übermäßig harte Ausbildungsmethoden an der Tagesordnung.
Es dauerte lange, bis die "Innere Führung" in den Streitkräften allgemein akzeptiert war, erklärt der Sozialwissenschaftler Martin Kutz. "Die 'Innere Führung' ist in die Bundeswehr hineingetragen worden durch die jüngere Generation Mitte der 1960er-Jahre. Das hat damit zu tun, dass die Bundeswehr einen enormen Nachwuchsmangel hatte und genommen hat, wen sie kriegen konnte. So sind aus einfachsten Verhältnissen junge Leute in die Armee eingetreten und haben damit einen Traditionsbruch, den die alten Familien verhindert hatten, zustande gebracht."
Grenzen der Landesverteidigung
Aber nicht nur der innere Zustand der Bundeswehr, die 1960 insgesamt 270.000 Soldaten hatte, sondern auch das Waffenarsenal war von Anfang an ein zentrales Thema. Die nukleare Aufrüstung im Osten beantwortete der Westen mit dem Ausbau seines atomaren Arsenals. Doch die Regierung Adenauer hatte sich vertraglich verpflichtet, sowohl auf die Produktion als auch den Erwerb eigener Atomwaffen zu verzichten.
Die Lösung sollte darin liegen, dass die Bundeswehr Trägersysteme erhielt, während die Amerikaner die dazugehörigen Atomsprengköpfe verwalteten. Der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, erklärte: "Wir wollen keine Ausrüstung der Bundeswehr als einer deutschen Armee mit taktischen Atomwaffen. Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als die Gesamtverteidigungsplanung der NATO verlangt, die für jede Nation von Kanada bis zur Türkei bestimmte Aufgaben vorsieht, damit es für die einzelnen tragbar wird, und damit eine kollektive Sicherheit uns den Angreifer vom Leibe hält."
Mit diesen Plänen stieß Strauß bei großen Teilen der Bevölkerung, aber auch im Offizierkorps auf Ablehnung. Mehr als eine Million Deutsche gingen mit dem Slogan "Kampf dem Atomtod" auf die Straße. Doch am Ende setzte die Bundesregierung sich durch: Der Bundestag beschloss nach viertägiger Debatte im März 1958 die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen für Nuklearwaffen. Deutsche Piloten trainierten fortan den Abwurf von Atombomben über Deutschland und damit die Vernichtung der Heimat im Ernstfall.
Umstrittener Nato-Doppelbeschluss
Doch damit war der Konflikt um die Atombewaffnung der deutschen Streitkräfte nicht beendet. In den 1980er-Jahren setzte die Bundesregierung gegen den großen Widerstand der Bevölkerung die atomare Nachrüstung im Nato-Doppelbeschluss durch. "In der Atomfrage hat es in der Armee massive Differenzen gegeben", erklärt Sozialwissenschaftler Martin Kutz. "Damals war weit über die Hälfte der Stabsoffiziere mit der Nachrüstung nicht einverstanden. Natürlich haben sie am Ende pariert, aber es ist ganz deutlich, dass in dieser Zeit die Bundeswehr pluralistischer war als heute."
Integration der NVA
Als die Mauer fiel, standen rund eine halbe Millionen Männer in der Bundesrepublik unter Waffen. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde die Nationale Volksarmee aufgelöst und ein Teil der NVA-Soldaten in die Bundeswehr integriert. Wenig später begann der Umbau der Streitkräfte, der bis heute andauert. Die Bundeswehr war nicht nur viel zu groß und zu schwerfällig, sondern brauchte nach dem Wegfall des "Feindes im Osten" auch ein neues sicherheitspolitisches Konzept.
Neue globale Aufgaben
Zu den klassischen Aufgaben der Landesverteidigung kamen neue Bedrohungen, vor allem durch den Terrorismus. Erstmals beteiligte sich die Bundeswehr auch an UN-mandatierten Friedensmissionen, obwohl das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr nur im Verteidigungsfall - also nur gegen einen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland - vorsieht.
Die rechtliche Unsicherheit wurde 1994 durch das Bundesverfassungsgericht beendet, als Bundeswehr-Soldaten gerade die UN-Mission in Somalia unterstützten. General a. D. Klaus Reinhardt erinnert sich an den Moment, als das wegweisende Urteil verkündet wurde: "Wir haben das an einem Transistorradio in der Wüste von Belet Uen gehört, und ich kann nur sagen: Die Soldaten waren sehr, sehr froh, und ich wahrscheinlich noch mehr. Denn einen Einsatz zu führen, wo du deinen Soldaten nicht sagen kannst: 'Es ist alles in Ordnung!', ist für den, der das führt, ausgesprochen problematisch."
Zerreißprobe für die Grünen
1999 beteiligten sich deutsche Soldaten erstmals an einem Kampfeinsatz, als die Nato im Kosovo-Krieg serbische Stellungen aus der Luft bombardierte - eine Zerreißprobe für die Grünen in der rot-grünen Bundesregierung. Damit waren die Auslandseinsätze, denen in jedem Einzelfall der Bundestag zustimmen muss, politisch endgültig akzeptiert. Auch der zunächst umstrittene Einsatz in Afghanistan wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vom Bundestag abgesegnet. Zeitweilig waren bis zu 10.000 deutsche Soldaten im Ausland stationiert, Spezialkräfte eingeschlossen. Zu den Neuerungen gehörte schließlich auch, dass die Bundeswehr ihre Kampfeinheiten für Frauen öffnete.
"Deutschland wird am Hindukusch verteidigt"
50 Jahre nach Gründung der Bundeswehr fasste Verteidigungsminister Peter Struck, der den Umbau der Bundeswehr massiv vorangetrieben hat, die Entwicklung jüngst wie folgt zusammen: "Ich gehe sicher in die Geschichte ein mit dem Satz: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. Und mit dem anderen Satz: Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt."