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Die Welt rückt zusammen

Gero Schließ 28. September 2014

Im Sog der internationalen Konflikte hat sich die UN-Generalversammlung in einen gigantischen Krisengipfel verwandelt. Drängende Zukunftsfragen kamen daher zu kurz, meint DW-Korrespondent Gero Schließ.

US-Präsident Obama spricht in der UN-Vollversammlung (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/Spencer Platt

Der Kampf gegen die Terrormiliz des "Islamischen Staates" (IS) und die sich rasant ausbreitende Ebola-Epidemie waren die beiden drängendsten Themen. Beide spitzten sich während der Sitzungswoche noch weiter dramatisch zu, die Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde dadurch zum Krisentreffen. Damit ist noch nichts über die Tauglichkeit der UN als Krisenmanager ausgesagt. Denn nicht ein UN-Gremium, sondern US-Präsident Obama (Artikelbild) war es, der bei den Themen IS und Ebola mit starker Hand die Initiative ergriff. So war diese Vollversammlung denn auch mehr denn je geprägt von den Amerikanern.

Obamas Entscheidung, am Vorabend der Vollversammlung mit Luftschlägen in Syrien den Kampf gegen den IS in eine neue Phase zu katapultieren, erwies sich als schlauer Schachzug. Schon vor Beginn seiner Rede hatte er der Vollversammlung damit seinen Stempel aufgedrückt und eine Dynamik in Gang gesetzt, um die Koalition gegen den IS weiter auszubauen. Am Ende der UN-Woche gehören ihr jetzt neben Großbritannien auch kleinere europäische Staaten wie Belgien und Dänemark an.

Die Staatengemeinschaft erkennt die Gefahr

Noch wichtiger als diese neue Phalanx der Mitkämpfer ist allerdings, dass sich das politische Klima verändert hat. Die Weltgemeinschaft begreift das bisher ungekannte Ausmaß an Terror und Gewalt als Herausforderung, der man gemeinsam entgegentreten muss. Manche der bisher eher zurückhaltenden arabischen Staaten haben sich jetzt klarer positioniert. Und selbst Russland stimmte der von US-Präsident Obama eingebrachten Resolution gegen die sogenannten "Foreign Fighters“ zu, die im Irak und Syrien an der Seite von IS kämpfen.

Deutschlands Stimme in diesem Umfeld Gehör zu verschaffen, war für Außenminister Steinmeier nicht ganz leicht. Vor allem auch, weil ihn die unausgesprochene Erwartung der Obama-Regierung nach einer Beteiligung Deutschlands an den Luftschlägen in die Defensive brachte. Deutsche Waffen für kurdische Kämpfer mögen für die Bundesregierung ein großer Schritt sein. Doch das ist die deutsche Binnensicht. Für die Verbündeten sind die Waffenlieferungen eine Selbstverständlichkeit, die angesichts der ungebrochenen militärischen Dynamik des IS und der zu Hundertausenden in die Türkei fliehenden Kurden ohnehin nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken.

DW-Korrespondent Gero SchließBild: DW/P. Henriksen

Flüchtlingskonferenz in Berlin

Dennoch ist es Steinmeier am Ende doch noch gelungen, im Konzert der Kräfte sichtbar seinen eigenen Part zu spielen. Mit der Ankündigung einer internationalen Flüchtlingskonferenz in Berlin hat er die Initiative zurückgewonnen und die stärkste deutsche Karte ausgespielt: Die Kompetenz für humanitäre Hilfe. Auch bei der Bekämpfung von Ebola ist diese Kompetenz sehr gefragt. Auch wenn hier wieder die Amerikaner im Mittelpunkt stehen, seit Obama militärisches Personal in einer Größenordnung von 3000 Soldaten und medizinischen Fachkräften in die betroffenen afrikanischen Länder entsendet.

In den Hintergrund rückte bei den Beratungen in New York die Ukraine-Krise. Das mag mit dem – zugegeben brüchigen – Waffenstillstand zu tun haben, der zu einer Entspannung der Lage beigetragen hat. Dennoch war es richtig, dass Steinmeier das Podium der UN-Vollversammlung nutzte, um Russland frontal anzugehen. Mit seltener Klarheit bezichtigte er das Land des Bruchs des Völkerrechts. Der russische Außenminister Lawrow revanchierte sich postwendend und warf dem Westen vor, bei den Luftschlägen gegen IS syrische Souveränität zu verletzten und sich in arroganter Kalte-Kriegs Manier das Völkerrecht zurechtzubiegen.

West-östliche Gemeinsamkeiten

Eine gute Nachricht ist, dass Russland und der Westen dennoch bei zwei zentralen Konflikten an einem Strang ziehen. Neben der Bekämpfung des "Islamischen Staats" ist das der Nuklearkonflikt mit dem Iran. Anders als im vergangenen Jahr, als Irans frischgewählter Präsident Rohani den Westen mit einer Charmeoffensive überraschte, sind die Fronten bei den Verhandlungen diesmal verhärtet. Damals war New York noch der Ausgangspunkt für eine Übergangsvereinbarung, die dem Iran Erleichterungen bei den Wirtschaftssanktionen brachte. In diesem Jahr hat die Dynamik der UN-Woche nicht getragen. Und dem Politprofi Steinmeier ist ein Schnitzer unterlaufen, als er beide Parteien so nah wie noch nie an einer Vereinbarung sah.

Es stimmt, dass die alljährliche UN-Vollversammlung eine einzigartige Plattform ist für die Bearbeitung internationaler Konflikte. Allerdings findet das Krisenmanagement fast immer an den UN-Gremien vorbei in anderen Politikformaten statt. Das spricht dafür, die UN-Reform endlich anzugehen und das Weltgremium zeitgemäßer zu gestalten. Außenminister Steinmeier hat darauf in seiner Rede hingewiesen - freilich nicht ganz ohne Eigennutz, denn am Ende soll in einem neu zusammengesetzten UN-Sicherheitsrat für die Deutschen der lang ersehnte ständige Sitz herauskommen.

Worauf in New York keiner der Redner verwiesen hat: Da die Agenda der UN-Vollversammlung fast ausschließlich von der Tagespolitik diktiert wird, bleibt für längerfristige strategische Diskussionen kaum Raum. Der diesjährige Klimagipfel von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist die löbliche Ausnahme. Aber drängende Zukunftsthemen wie Bevölkerungswachstum, Ressourcenverteilung oder die Nuklearabrüstung kamen in New York so gut wie nicht vor.