Die Welt unterm Sektkorken
30. Dezember 2015Die Bläschenbildung im Sekt zu verlangsamen, damit er länger frisch bleibt - mit diesem Ziel taten sich in Frankreich, dem Mutterland des Champagners, einige Physiker und Chemiker zusammen. So entstand ein neues wissenschaftliches Fachgebiet: die Blaseologie. Aufbauen konnten die Blaseologen zunächst auf dem Wissen der Champagner-Winzer.
Vor rund 300 Jahren hatten sie die praktischen Methoden entwickelt, um zunächst einmal die Bläschen in den Wein zu bekommen. Und das ist gar nicht so einfach: "Wenn Wein noch nicht richtig vergoren ist, schäumt er stark, ist noch irrsinnig süß und schmeckt noch nicht richtig gut", erklärt Matthias Drieß, der sich als Chemie Professor an der Technischen Universität Berlin mit den Erkenntnissen der Blaseologen befasst hat.
"Wenn man diesen unvergorenen Wein in Flaschen füllt und diese dann einige Wochen später öffnet, perlt er sehr viel stärker und ist weniger süß." Dennoch ist es noch kein Sekt, denn auch dann hat der Wein noch Geschmacksbestandteile, die nicht so gut schmecken.
Um den Geschmack ihrer flaschenvergorenen Weine zu verbessern, hatten die Champagner-Winzer deshalb ein eigenes Verfahren entwickelt: Zunächst ließen sie mit Hilfe von Hefe die übliche Weinvergärung stattfinden. Dabei zersetzt Hefe Zuckermoleküle zu Alkohol und gasförmigem Kohlendioxid von dem ein großer Teil in die Atmosphäre entweicht.
Kurz vor dem Ende dieses Prozesses füllen die Winzer den Wein in fest verschlossene Flaschen, wo das Kohlendioxid einen Druck von fünfeinhalb Atmosphären aufbaut, ungefähr doppelt so viel wie in einem Autoreifen. Dadurch löst sich das Gas im Wein.
Danach durchlaufen die Champagner-Flaschen einen ausgeklügelten Lagerungsprozess - wichtig für die Entstehung der angenehmen Geschmacksrichtungen.
Kohlensäure oder Kohlendioxid?
Obwohl es Kohlendioxid ist, das sich unter Druck im Wein oder auch im Mineralwasser löst, liest man auf Etiketten, etwa von Mineralwasser-Flaschen: "enthält Kohlensäure". Dahinter verbirgt sich folgender chemischer Prozess: Unter hohem Gasdruck nimmt das Kohlendioxid-Molekül unmittelbar nach seiner Entstehung ein Wasser-Molekül auf, wodurch Kohlensäure entsteht.
Weil Kohlensäure aber ein sehr instabiles Molekül ist, löst es sich nach dem Druckabfall in der Flasche sehr schnell wieder auf und perlt als Kohlendioxid-Bläschen hervor.
Kühlen die Bläschen den Sekt?
Wenn der Drahtverschluss gelöst wird und der Korken in Richtung Zimmerdecke schießt, passiert dasselbe wie in einem Kühlschrank: Gas dehnt sich schlagartig aus und kühlt sich ab. Wenn Gas über einen längeren Zeitraum aus einer Gasflasche strömt, kann dies die Gasflasche sogar so stark abkühlen, dass sich auf deren Oberfläche Eiskristalle bilden. Beim Sekt ist dies für einen Sekundenbruchteil zu beobachten, wenn es "Plopp" macht.
"Wenn man eine Sektflasche aufmacht, bildet sich so für einen kurzen Moment ein Nebel", sagt Drieß. "Das Kohlendioxid, das oben rausschießt, kühlt die Umgebung so stark ab, dass das Wasser in der Luft kondensiert und winzige Tröpfchen bildet." Sehr viel weniger Energie ist dagegen notwendig, damit die Kohlendioxid-Bläschen im Sekt entstehen. Der Kühleffekt tritt also nur ganz kurz auf, so Drieß. "Wenn man den Sekt vorher nicht kaltgestellt hat, kriegt man dadurch keinen kühlen Sekt."
Mal fein, mal grob: Die Bläschengröße
Vergleicht man Gläser mit frisch eingeschenktem Mineralwasser und Sekt, fällt sofort ein Unterschied auf: Die Bläschen im Sekt sind viel kleiner, und sie entstehen zumeist an einem bestimmten Punkt im Glas. Ein regelrechtes Bläschen-Gedränge herrscht dagegen im Mineralwasser. "Nicht umsonst heißt es 'Mineralwasser'", erklärt der Blaseologe Drieß.
"Darin sind viele Mineralien gelöst, die die Wasserhärte beeinflussen. Je mehr Kalzium, Magnesium und Natrium sich im Wasser befinden, desto größer sind die Bläschen.“ Je mehr feste Mineralien in einer Flüssigkeit gelöst sind, desto stärker und ungeordneter werden deshalb gasförmige Bestandteile aus der Flüssigkeit abgestoßen.
Dass die Bläschen im Sekt so geordnet und fadenförmig aufsteigen, hat aber noch einen weiteren Grund. Die Blasen bilden sich immer an den gleichen Stellen. Beim Versuch, die Blasenbildung mit Hilfe mikroskopischer Fotografie zu dokumentieren, entdeckten Blaseologen zwei Sorten von Entstehungspunkten.
Es sind entweder im Sekt schwebende Staubpartikel, die etwa ein Handtuch im Glas hinterlassen hat, oder winzige Kratzer auf der Glasoberfläche. Ähnlich einem Katalysator stoßen sie eine Rückbildungsreaktion an: Aus Kohlensäure wird Kohlendioxid.
Biochemie auf der Zunge
Doch nicht nur dem Auge, auch der Zunge wird vom Kohlendioxid einiges geboten. Das zischende Erfrischungsgefühl rührt überraschenderweise gar nicht von der normalen Kohlendioxid-Ausperlung, die man zuvor im Glas beobachten konnte - sie entsteht erst durch den Kontakt mit der Kohlensäure.
Im Mund dringt Sekt in die unteren Schichten der rauen Zungenoberfläche ein. Dort trifft es auf ein körpereigenes Enzym, das das Ausperlen zusätzlich verstärkt. Erst dieses verstärkte Ausperlen erzeugt jenen Nervenimpuls, den wir als Prickeln empfinden. Der Beweis: Menschen, bei denen ein Medikament das Enzym unterdrückt, schmeckt auch der frischeste Sekt noch schal.
Mythos Silberlöffel
Wie sorgt man eigentlich dafür, dass halb ausgetrunkene Sektflaschen auch noch am nächsten Tag schmecken? In Deutschland ist der Glaube verbreitet, man solle einen Silberlöffel in den Flaschenhals stecken. Dieser Theorie kann der Forscher Drieß allerdings gar nichts abgewinnen: "Man konnte experimentell bestätigen, dass das keinen Einfluss hat. Wichtiger ist, den Sekt stets kalt zu halten.“
Denn Wärme liefert die Energie für die Rückbildungsreaktion von Kohlensäure zu Kohlendioxid. Doch Drieß hat noch eine Überraschung parat: "Im Kühlschrank sollte man die Flasche nicht verschließen. Das widerstrebt einem erst mal, aber man kann das ausprobieren, das ist wirklich so." Den ultimativ frischesten Sekt trinkt man aber, wenn man sich an folgende Regel des Sektkenners Drieß hält: "Am besten, man trinkt ihn gleich aus."