1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die Willkommenskultur ist jung

Diana Hodali
29. August 2019

Demonstrationen von Rechtsextremen und Angriffe auf Migranten häufen sich. Ist die Willkommenskultur in Deutschland am Ende? Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Sie ist "robust".

Deutschland Flüchtlinge Willkommenskultur
Bild: picture-alliance/dpa/F. Hormann

Flucht und Migration gehören zu den Themen, die viele Talkshows dominieren. Dort sitzen - neben anderen - Politiker und Experten, die von vermeintlichem Kontrollverlust und Belastungsgrenzen reden. Gleichzeitig haben die Behörden 2000 Straftaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerberunterkünfte registriert - allein für das Jahr 2018, Rechtsextreme marschieren häufiger auf. Dabei gingen im Herbst 2015 ganz andere Bilder aus Deutschland um die Welt: Flüchtlinge, die mit schwerem Gepäck von applaudierenden Menschen an Bahnhöfen mit Wasser und Stofftieren in Empfang genommen wurden. Willkommenskultur wurde diese Freundlichkeit genannt.

Doch was wurde aus ihr? Ist sie aus dem Blick geraten? Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel "Willkommenskultur zwischen Skepsis und Pragmatik" zeigt jetzt: Die wahrgenommene Willkommenskultur ist "robust". Sie pendele sich auf einem relativ hohen Niveau ein, sagt Orkan Kösemen, einer der Autoren der Studie von der Bertelsmann-Stiftung. 2025 Personen wurden vom Umfrageinstitut Kantar Emnid zu verschiedenen Aspekten von Zuwanderung befragt. Sie sollten nicht ihre eigene Haltung oder ihren Umgang mit dem Thema beschreiben, sondern die Haltung der Deutschen zu Einwanderern und Flüchtlingen einschätzen.

Besonders bei wirtschaftlichen Themen sehen die Befragten Chancen durch MigrationBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Wirtschaft: Tendenz positiv

So glauben 79 Prozent der Befragten, dass Einwanderer, die in Deutschland arbeiten, bei Behörden mehrheitlich willkommen sind, bei Flüchtlingen liegt die Zahl bei 71 Prozent. Einwanderer gelten auch als überwiegend willkommen bei der Bevölkerung am Ort (71 Prozent), bei Flüchtlingen sind es 56 Prozent.

Beim Thema Fachkräftemangel plädieren 41 Prozent dafür, Personal aus dem Ausland zu rekrutieren. Zwei Drittel der Befragten sehen in der Zuwanderung insgesamt einen positiven Effekt für die deutsche Wirtschaft. Auch der Ansiedlung ausländischer Firmen steht eine klare Mehrheit positiv gegenüber.

Einwanderer versus Flüchtlinge

Das Bild, das sich Einheimische von Einwanderern machen, hat einen Einfluss auf die Willkommenskultur, das zeigt die Studie. In Deutschland ist das Bild von Einwanderern nicht überwiegend positiv. Dass deren Leistungen anerkannt werden, glauben nur 45 Prozent der Befragten - im Vergleich zu 2012 ist das ein Rückgang. Das könne daran liegen, dass zuletzt vor allem Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien, folgert die Studie. Die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten bringe erst mittel- bis langfristig Früchte für das Aufnahmeland. Zudem scheine die Aufbauleistung der ersten sogenannten Gastarbeiter-Generationen inzwischen in Vergessenheit zu geraten.

Migration sei kein Schwarz-Weiß-Thema, sagt Kösemen: "Es ist eine Mischung aus Chancen und Risiken - und so empfinden das die Menschen auch." Daher gibt es neben den Chancen, die viele für die Wirtschaft sehen, auch skeptische Einschätzungen. Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent findet, dass es zu viel Einwanderung gibt. Und auch bei der Frage danach, ob Deutschland an seine Belastungsgrenze gestoßen ist, zeigen sich die Befragen gespalten.

Knapp die Hälfte (49 Prozent) findet, dass Deutschland nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen kann. Das war 2017 noch anders. Da war eine Mehrheit (54 Prozent) der Meinung, dass die Belastungsgrenze erreicht sei. Im Gegensatz dazu steht, dass 37 Prozent meinen, Deutschland könne und sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen, weil es humanitär geboten sei.

Rückgang der Skepsis

Insgesamt geht die Migrationsskepsis gegenüber 2017 leicht zurück. Negative Migrationseffekte werden weiterhin wahrgenommen, aber mit rückläufiger Tendenz: 71 Prozent sehen in der Zuwanderung eine Belastung für den Sozialstaat, 69 Prozent sehen Konflikte zwischen Einwanderern und Einheimischen, 64 Prozent befürchten Probleme in der Schule und gut 90 Prozent sehen mangelnde Sprachkenntnisse der Zuwanderer als Integrationshindernis. Sie wünschen sich dort mehr Eigeninitiative.

Junge Menschen sind aufgeschlossener

Auch wenn Deutschland schon seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist, sei die Willkommenskultur in Deutschland jung, sagt Migrationsexperte Kösemen: "Deutschland ist ein junges Einwanderungsland mit einer jungen Willkommenskultur im doppelten Sinn: einerseits, weil wir uns erst seit zehn bis 15 Jahren als Einwanderungsland wahrnehmen. Andererseits, weil die junge Bevölkerung in Deutschland viel positiver auf Migration blickt als die ältere."

Denn auch das ist ein Resultat der Studie: Die junge Generation unter 30 Jahren unterscheidet sich in ihren Einschätzungen und Wahrnehmungen im Blick auf Migration und Integration deutlich von den älteren Generationen. Die Jüngeren vermuten deutlich weniger Belastungen durch Migration, weder für den Sozialstaat noch bei der Wohnungsnot. Sie fokussieren die Chancen. "Das hängt auch damit zusammen, dass der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei den 15- bis 30-Jährigen bei rund 30 Prozent liegt, während er bei den Älteren rund 20 Prozent beträgt", heißt es in der Studie. Der Kontakt und der Umgang mit Vielfalt gehört bei den Jüngeren viel mehr zum Alltag.

Positive Wahrnehmungen gibt es nicht nur bei den Jungen: 67 Prozent aller Befragten meinen, dass Migration das Leben interessanter mache. 64 Prozent sehen Einwanderung als Mittel gegen die Überalterung der Gesellschaft. Fast 90 Prozent wünschen sich, dass der Staat Sorge dafür trägt, dass Flüchtlinge in Deutschland schneller arbeiten dürfen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen